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Ausgabe:

Juli/August/2003

Spalte:

840–842

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

1) Billington Harper, Susan 2) Hudson, D. Dennis

Titel/Untertitel:

1) In the Shadow of the Mahatma. Bishop V. S. Azariah and the Travails of Christianity in British India.

2) Protestant Origins in India. Tamil Evangelical Christians, 1706-1835.

Verlag:

1) Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans; Richmond: Curzon 2000. XXII, 462 S. m. 4 Ktn. u. 31 Abb. gr.8 = Studies in the History of Christian Mission. Geb. £ 40,00. ISBN 0-8028-3874-X (Eerdmans); 0-7007-1232-1 (Curzon).

2) Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans; Richmond: Curzon 2000. XII, 220 S. m. 4 Abb. gr.8 = Studies in the History of Christian Mission. Geb. £ 45,00. ISBN 0-8028-4721-8 (Eerdmans); 0-7007-1244-5 (Curzon).

Rezensent:

Andreas Nehring

Wir haben uns daran gewöhnt, Missionsgeschichte als europäisch-amerikanische Expansionsgeschichte zu lesen. Die Tätigkeit und die Erfolge westlicher Missionsgesellschaften und einiger herausragender Missionare sind nach wie vor im Zentrum des Interesses der traditionellen Missionsgeschichtsschreibung. Der Titel einer von Robert Frykenberg und Brian Stanley herausgegebenen neuen Reihe: "Studies in the History of Christian Missions" lässt zunächst nicht vermuten, dass hier von dem traditionellen Paradigma wesentlich abgewichen wird. Allein die beiden ersten Bände dieser Reihe, die im Folgenden zu besprechen sind, zeigen, dass hier versucht wird, der Beobachtung endlich Rechnung zu tragen, dass sich das Zentrum christlicher Aktivität längst vom Westen in die Länder der nicht-westlichen Welt verlagert hat. Die beiden vorliegenden Bände behandeln Aspekte der Christentumsgeschichte in Indien und beide Monographien dokumentieren in einer faszinierenden Detailfülle, dass indische Christen keineswegs nur Rezipienten der von den Missionaren gebrachten Botschaft waren, sondern aktiv an kulturellen Prozessen beteiligt waren, die eine indische Kirche haben entstehen lassen.

Susan Billington Harpers Rekonstruktion der bedeutenden Aspekte des Lebens von Bischof V. S. Azariah von Dornakal ist nicht nur deshalb besonders hervorzuheben, weil sie eine der faszinierendsten Persönlichkeiten des indisch-christlichen Lebens auch außerhalb des Subkontinents bekannt macht, sondern weil sie zugleich zentrale Aspekte des nationalen Religionsdiskurses verdeutlicht, wie er sich im Konflikt zwischen Mahatma Gandhi und Azariah widerspiegelt. Gandhi sah in Azariah den "Enemy Number One" (291), obwohl beide daran arbeiteten, eines der für sie zentralen Probleme der indischen Gesellschaft zu überwinden, die Kastenordnung. Die Autorin fragt zu Recht, warum Azariah, wenn er wirklich in Gandhis Augen der Feind Nummer Eins gewesen ist, in den Biographien von Gandhi überhaupt nicht erwähnt wird. "In the Shadow of the Mahatma", der Titel weist nicht nur darauf hin, dass Bischof Azariahs Tätigkeit in den letzten Jahren des British Raj in Indien von den Auswirkungen von Gandhis Swaraj-Bewegung überschattet war, sondern dass die nationale wie internationale Geschichtsschreibung in der Darstellung dieser Zeit bis heute einem Diskursmodell folgt, das allein in Gandhi den Fokus nationaler Selbstbestimmung sieht und andere Bewegungen marginalisiert. Die Darstellung des Lebens und Wirkens von Bischof Azariah ist daher auch zu lesen als ein Beispiel subalterner Geschichtsschreibung, die die Rolle der im Diskurs Marginalisierten hervorhebt und die Bedeutung von Minoritäten wie den Christen in einem Land betont, das sich zunehmend als Hindu-Nation versteht.

Dennis Hudsons Untersuchung über die protestantischen Ursprünge in Indien wird vor allem für diejenigen von Interesse sein, die sich schon länger mit der protestantischen Missionsgeschichte in Südindien befasst haben. Zahlreiche Untersuchungen dazu liegen bereits vor, aber dieser Beitrag ist der erste, der den Paradigmenwechsel von einer westlich dominierten Missionarsgeschichte zu einer Geschichte indischer Christen konsequent vollzieht. Was sahen eigentlich diejenigen, die von außen in die Fenster der ersten protestantischen Kirchen hineinblickten (52)? Der Autor trägt eine Fülle von Details zusammen, die anschaulich machen, wie die Missionare mit der südindischen multireligiösen Kultur in Beziehung getreten sind. Vor allem aber stellt er die Position der indischen Christen dar, die, verwurzelt in tamilischer Kultur und Tradition, ihre Form von christlicher Identität und Kirche ausgebildet haben. Dass diese Identitätsbildung nicht ohne Konflikte mit den Missionaren abging, ist in der Missionsgeschichte hinlänglich bekannt. Vor allem die Frage, ob indische Christen in der Kirche ihre Kastenunterschiede beibehalten können, wurde im 19. Jh. unter Missionaren heftig diskutiert. Der Autor repräsentiert ausführlich die Position derjenigen indischen Christen, die unter einer rigiden Kastenpraxis einiger Missionare zu leiden hatten und die ihre Auffassung von Einheit und Differenz in der Kirche gegenüber den Missionaren vertreten haben. Hervorzuheben ist, dass hier einmal eine Geschichte der südindischen Christen vorliegt, die nicht von der Prämisse ausgeht, allein das westliche Gleichheitsideal sei der Kirche angemessen und die auch nicht die Position der kastenlosen Dalits als die allein legitime hervorhebt, sondern die vor allem bemüht ist, die Sicht der in der Lutherischen Kirche dominanten Kaste der Vellalar wiederzugeben. Diese Geschichte der ersten lutherischen Christen in Tamil Nadu ist gut zu lesen und eröffnet eine neue Sichtweise auf die in den Missionsarchiven vorhandenen Quellen. Zu wenig reflektiert scheint mir aber, dass einen Großteil dieser Quellen die Berichte von Missionaren darstellen, aus denen die Position der einheimischen Christen nicht unmittelbar zu erheben ist. Einige Schlüsse des Autors geraten daher manchmal etwas spekulativ.

Der Reihe ist zu wünschen, dass weitere Bände folgen, die Beiträge zur Missionsgeschichte als indigener Christentumsgeschichte leisten.