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Ausgabe:

Juli/August/2003

Spalte:

838–840

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Schenke, Hans-Martin

Titel/Untertitel:

Coptic Papyri. I: Das Matthäus-Evangelium im mittelägyptischen Dialekt des Koptischen (Codex Schøyen). Hrsg. von H.-M. Schenke.

Verlag:

Oslo: Hermes Publishing 2001. 311 S. 78 Facs. Taf. 4 = Manuscripts in the Schøyen Collection, I. Lw. NKr 850,00. ISBN 82-8034-002-5.

Rezensent:

Martin Krause

Nach einem Vorbericht (Das Matthäus-Evangelium in einer Variante des mittelägyptischen Koptischen auf Papyrus (Codex Schøyen) in der Zeitschrift Enchoria (20 [2000], 88-107) und einem Referat (Ein anderes Matthäus-Evangelium im Dialekt M: Bemerkungen zum Codex Schøyen) auf dem 7. internationalen Koptologenkongress in Leiden im September 2000 legt der Vf. seine mit großer Spannung erwartete Textpublikation vor. Sie ist untergliedert in: die Einleitung (17-34), den Text mit Übersetzung (35-191), den Index (193-278) und den Anhang (279-311). Vorangestellt ist das Inhalts-, Abkürzungs- und Literaturverzeichnis (11-15). Den Abschluss bilden Faksimiles aller Seiten des Codex (315-392).

Im Einleitungskapitel werden die Kodikologie des Codex (17-23), die Paläologie und Orthographie (23-26), die Sprache (26-30), die Textform (30-33) und die Textdarbietung (33-34) besprochen. Vom Codex sind 39 Blätter = 78 Seiten ohne den Einband in Oslo. Es fehlen die Seiten 1-10, 15/6 und 23/4. Seitenzahlen standen am oberen Blattrand, etwa in der Mitte der Seiten. Die Seiten sind, vor allem an den Rändern, schlecht erhalten. Ursprünglich maßen sie 18:24 cm, der Schriftspiegel beträgt 14-15:18 cm. Etwa 26 Zeilen waren pro Seite geschrieben. Die Papyrusqualität ist nicht gut, die Schrift, eine elegante Buchschrift, ist teilweise abgerieben, die Tinte von einer Zusammensetzung, dass auch UV-Licht nicht bei der Lesung hilfreich ist. Die Schreibfehler, auch wegen Haplographie, sind z. T. verbessert. Auf den erhaltenen Seiten war das "Evangelium nach Matthäus" geschrieben, dessen Titel auf Seite 92 nachgestellt ist. Falls es sich bei den Seiten 72/3 um die Mitte eines einlagigen Codex handelt (Übersicht 22), müsste der Codex 144 Seiten umfasst haben und dem Matthäus-Evangelium ab S. 93 eine kleinere Schrift gefolgt sein.

Die Sprache wird vom Autor als mittelägyptischer koptischer Dialekt "in einer überhaupt noch nicht bekannten, speziell nördlich orientierten Variante" bezeichnet. Er verzichtet auf weitergehende Erörterungen und konzentriert sich auf die Besonderheiten der Sprache: den Gebrauch der Vokale o und e und das Fehlen des Konsonanten s, der in der Handschrift nur in der Kontraktion des Wortes sc "Herr" vorkommt und sonst durch ch und k ersetzt wird. Schenke wies selbst (29) auch auf Beziehungen des Dialektes zu den Nachbardialekten F, B und V hin. R. Kasser (Neges Ebrix 2 [2000], 221 f. u. in seinem Beitrag für die Festschrift für H.-M. Schenke, 2002, 347) bezeichnet diesen Dialekt als "catamésokémique" und kürzt ihn mit der Sigel "C" ab.

Noch wichtiger aber als der neue koptische Dialekt ist die vorliegende Textform des Matthäus-Evangeliums. Sie weicht so sehr von den bisher bekannten Handschriften des kanonischen Matthäusevangeliums ab, dass der Herausgeber (31) zu Recht vom Vorliegen einer anderen Textqualität, der korrekten Übersetzung eines ganz anderen Matthäus-Evangeliums, spricht. Dieses sieht er im hebräischen Matthäus-Evangelium der Judenchristen, das nach der Papias-Notiz mehrmals ins Griechische übersetzt worden sein soll. Damit stellt sich für ihn die synoptische Frage noch einmal neu. Für die weitere Forschung hat er die rekonstruierte griechische Vorlage (von N. Gonis geprüft und korrigiert) für die Übersetzung des in der Schøyen-Handschrift ins Koptische übersetzten Textes als Anhang (279-311) beigegeben. Der koptische Text selbst wird 35-191 mit gegenübergestellter deutscher Übersetzung geboten. Die Abweichungen vom kanonischen Matthäus-Text werden durch Kursivdruck kenntlich gemacht.

In dem Apparat unter Text und Übersetzung werden Textergänzungen begründet und Übersetzungen des Textes ins Griechische vorgeschlagen und mit dem kanonischen Text verglichen. Dadurch erleichtert er den Neutestamentlern, die nicht über Koptischkenntnisse verfügen, ihre Arbeit. Dazu zählt auch der auf der Basis des Lemmatisierungsprogramms der Universität Laval für Konkordanzen erstellte Index, der sich von den bisher vom Herausgeber hergestellten ausführlichen Indices noch weiter unterscheidet und die Qualität einer Grammatik erreicht.

Die Stellenangaben beziehen sich nicht auf die Seiten und Zeilen der Handschrift, sondern auf Kapitel- und Verseinteilung des Matthäus-Evangeliums. Die beigegebenen Farbtafeln der Handschrift sind von ausgezeichneter Qualität.

Die weitere Auswertung dieser Handschrift und die Lösung ihrer Probleme, vor allem die angesprochene Synoptikerfrage, kann vom Herausgeber der Handschrift selbst nicht mehr gelöst werden, weil er überraschend an einer bisher unheilbaren Krankheit verstorben ist. Sein Schüler Uwe-Karsten Plisch hat auf der Basis einer älteren Lesung des Herausgebers begonnen, die Textgeschichte des Matthäus-Evangeliums zu untersuchen. Bisher liegt sein Aufsatz "die Perikopen über Johannes den Täufer in der neuentdeckten mittelägyptischen Version des Matthäus-Evangeliums (Codex Schøyen)" in: NT 43 [2001], 358-392 vor.

Der trockene Boden Ägyptens hat in der Erhaltung dieser Handschrift nach den Funden manichäischer, gnostischer und biblischer Handschriften in koptischer Sprache in den letzten Jahrzehnten unsere Kenntnisse der spätantik-christlichen Kultur wesentlich erweitert. Nach den Funden und Publikationen koptischer Bibelhandschriften im mesokemischen Dialekt können wir (nach 29) noch die Publikation der alttestamentlichen griechischen Handschriften Josua und Leviticus erwarten, die sich bereits in der Schøyen-Sammlung befinden. Außerdem sollen 19 Blätter des Buches Jesaja im koptischen mittelägyptischen Dialekt gefunden worden sein, die der Herausgeber gesehen hat. Ungeklärt ist weiterhin die Herkunft dieser Handschriften. Wir wissen nicht, ob es sich um Grabbeigaben wie beim Mudil-Psalter, handelt, der im Grabe eines Kindes gefunden wurde, oder um Teile einer Bibliothek mit koptischen und griechischen Bibelhandschriften. Wichtiger ist die Erhaltung der Handschriften, ihre schnelle Erreichbarkeit für Wissenschaftler und ihre Publikation und Auswertung.

Weil die Preise für antikes Schrifttum im Antikenhandel inzwischen Höhen erreicht haben, die von staatlichen Stellen nicht mehr bezahlt werden können, ist die Rolle von vermögenden Liebhabern alter Handschriften um so wichtiger geworden. Während in der Vergangenheit Mäzene wie Chester Beatty, von Bodmer, Pierpont Morgan als Liebhaber antiker Bücher der Wissenschaft neue Quellen für ihre Forschungen bereitgestellt haben, ist nun in Martin Schøyen, dem diese Publikation gewidmet ist, ein neuer Mäzen hinzugekommen. Der Preis der vorzüglichen und umfassenden Publikation beträgt nur einen Bruchteil des hierzulande üblichen Preises für eine derartige umfassende Publikation, was wohl vor allem dem gewährten Druckkostenzuschuss zu verdanken ist. Er ermöglicht auch jungen Wissenschaftlern, sich diese Publikation zu kaufen und an der Lösung der Probleme mitzuarbeiten, die durch die vorbildliche Publikation der Handschrift durch den Verstorbenen möglich geworden ist.