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Ausgabe:

September/1998

Spalte:

886–888

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

McGrath,Alister E.

Titel/Untertitel:

Der Weg der christlichen Theologie. Eine Einführung. Übers. von C. Wiese.

Verlag:

München: Beck 1997. 617 S. gr.8. Geb. DM 78,-. ISBN 3-406-42810-X.

Rezensent:

Reinhold Bernhardt

McGraths Buch ist mehr als eine brillant geschriebene Gesamtdarstellung der Themen christlicher Theologie (Teil III, 326 S.), ihrer Methoden (Teil II, 94 S.) und ihrer großen Entwicklungslinien (Teil I, 125 S.). Es ist Teil eines Programms zur Erneuerung der reformatorischen Theologie im allgemeinen und des Anglikanismus im besonderen, zur Erneuerung durch Rückbesinnung auf die Quellen der biblischen und dogmatischen Tradition. In Ablehnung eines an den kulturellen Zeitgeist angepaßten modernistischen Liberalismus in Theologie und Kirche, in Ablehnung aber auch eines traditionalistischen Konservativismus soll ein postliberaler Evangelikalismus die Renaissance christlicher Glaubenslehre und kirchlichen Glaubenslebens befördern.

Die Erneuerung soll nicht kulturfeindlich und anti-intellektualistisch sein, wie in Teilen der amerikanischen und kontinental-europäischen evangelikalen Bewegung, sondern den christlichen Glauben und seine Tradition als plausible und kohärente und daher überzeugende und attraktive Option darstellen. Dementsprechend hat sie in der Bildungsarbeit einzusetzen, und d. h. mit der (Neu)-Vergewisserung der biblischen und theologischen Tradition zu beginnen. Vor allem in seinem 1993 erschienenen Buch "The Renewal of Anglicanism" (1993) hatte McGrath dieses Programm ausgearbeitet. "Christian Theology. An Introduction", das er 1994 herausbrachte und das 1997 nach der zweiten Auflage in deutscher Übersetzung unter dem Titel "Der Weg der christlichen Theologie" erschienen ist, bietet das Lehrbuch dazu. - Daß es jedoch selbst von namhaften Theologen, die eher dem kritisierten liberalen Flügel der anglikanischen Theologie zuzurechnen sind, als "vorurteilsloser Führer für die gesamte Disziplin der Theologie" (J. S. K. Ward) anerkannt wird, spricht für seine unzweifelhafte wissenschaftliche Qualität.

Der Autor - Rektor der Wycliffe Hall und Professor für Kirchengeschichte und Systematische Theologie an der Universität Oxford mit Lehraufträgen in den USA, Kanada und Australien- hat das Buch nicht nur in über zehnjähriger Lehrtätigkeit in der Praxis entwickelt und erprobt, sondern auch die Rückmeldungen von über 90 Systematischen Theologen aus Europa und Nordamerika eingeholt und in die zweite Auflage eingearbeitet. Realistischerweise geht er davon aus, daß Studierende, die sich heute der Theologie zuwenden, wesentlich weniger als frühere Generationen mit der Denkwelt, der Begrifflichkeit und den Inhalten dieses Fachs vertraut sind. "Alles muß eingeführt und erklärt werden". Dieser Aufgabe stellt sich McGrath. An dem sich daraus ergebenden Anspruch, ein umfassendes, die Grundlagen zum Studium der Theologiegeschichte und der Systematischen Theologie legendes Elementarbuch vorzulegen, muß sein Werk gemessen werden.

Im ersten Teil gibt er einen Überblick über die zentralen Epochen, Themen und Personen in der Geschichte der Theologie. Der Aufbau ist in den 4 Kapiteln (die patristische Epoche, Mittelalter und Renaissance, die reformatorische und nachreformatorische Epoche, die Moderne bis zur Gegenwart) ähnlich: Nach einem Aufriß der jeweiligen Epoche erklärt McGrath die zum Verständnis relevanten Begriffe, stellt die bedeutendsten Persönlichkeiten vor und skizziert die zentralen theologischen Entwicklungen. Die dabei vorgenommene Anordnung des Stoffes ist typisierend und exemplarisch: Strömungen und Bewegungen, Themen und Positionen, wichtige Personen und Ereignisse, um die sich Diskussionsstränge kristallisieren, werden zusammengestellt. McGrath’ eigene Position ist im Umfeld der sog. postliberalen Theologie (136 f., diese auch 209 f.: "narrative Theologie") und des vom Fundamentalismus konsequent unterschiedenen Evangelikalismus (137-141) anzusiedeln (Siehe dazu auch: McGraths 1994 erschienenes Buch "Evangelicalism and the Future of Christianity"). - Doch gibt er das nicht zu erkennen.

Der zweite Teil befaßt sich mit dem Ausgangspunkt und den Quellen der Theologie. Zu diesen Prolegomena gehört die Definition des Begriffs "Theologie", die Reflexion auf das Wesen des Glaubens und der theologischen Sprache sowie die Erörterung epistemologischer Grundfragen (Offenbarung, Heilige Schrift, Vernunft, Tradition, religiöse Erfahrung). Auch hier legt er sich deutliche Zurückhaltung auf, um nicht seine eigenen Präferenzen, wie er sie in anderen Schriften dargelegt hat, in den Vordergrund treten zu lassen. So war er in "The Renewal of Anglicanism" mit Nachdruck für eine strikte Bindung der christlichen Theologie und der theologischen Lehrer an das Bekenntnis zum christlichen Glauben und an die Befassung mit seiner Geschichte eingetreten - bis dahin, daß er bei der Berufung von Professoren die Bindung an die Kirche und die Treue gegenüber der christlichen Tradition für wichtiger erachtete als die akademische Qualifikation. Auf den Seiten 181-184 ("Der Weg der christlichen Theologie") diskutiert er die Frage, in welchem Ausmaß Theologen "ihrer Sache gegenüber verpflichtet" sein sollen. Er stellt die Positionen der Verbindlichkeit und der Neutralität einander gegenüber und führt Gründe für beide an. Doch letztlich ist für ihn klar, daß eine kritische Perspektive nur "auf Kosten eines Mangels an Verständnis erreicht" werden kann (183). Dementsprechend wenig Sympathie vermag er für die amerikanischen "Fakultäten für Religion" aufzubringen. Theologie hat nach seiner Überzeugung ihren Sitz im Leben in der Kirche und kann daher nur im Geist des Glaubens und d.h. am ehesten an kirchlichen Seminaren gelehrt werden.

Im dritten Teil entfaltet McGrath die Inhalte der Theologie, die er in Anlehnung an die klassische Loci-Struktur anordnet: Gotteslehre (einschließlich Schöpfungslehre und Pneumatologie) (Kap. 7), Trinitätslehre (Kap. 8), Christologie und Soteriologie (Kap. 9-11), Anthropologie (einschließlich der Lehre von Sünde und Gnade) (Kap. 12), Ekklesiologie (Kap. 13), Sakramentenlehre (Kap. 14) und Eschatologie (Kap. 16). Unterbrochen wird der traditionelle Aufbau durch den Einschub einer Erörterung der Beziehung zwischen dem Christentum und den Weltreligionen (Kap. 15). Die Notwendigkeit dieser Einfügung ergibt sich für ihn aus der aktuellen Relevanz dieses Themas. Zu den genannten Themenkreisen faßt der Autor die relevanten Positionen zusammen, die in der Theologiegeschichte vertreten worden sind, und deutet ihre Stärken und Schwächen an. Dabei bewährt es sich, daß die Darstellung von historischen und methodischen Informationen entlastet ist. So kann sich McGrath ganz auf den inhaltlichen Kern der jeweils erörterten Fragen konzentrieren, ohne ständig Einordnungen vornehmen und erkenntnistheoretische Begründungen geben zu müssen. Immer wieder geht er auf zeitgenössische Fragestellungen ein, wie sie etwa von der feministischen Theologie oder von der Befreiungstheologie aufgebracht worden sind (etwa auf die Frage nach der geschlechtlichen Bestimmung Gottes oder nach den politischen Implikationen des Heilsverständnisses).

Der Vf. hat in seiner Diktion den narrativen Stil der Vorlesung beibehalten; die damit verbundenen zahlreichen Redundanzen und Wiederholungen mögen didaktisch sinnvoll sein, weil sie der Festigung des bereits Gelesenen dienen. Sie leisten aber auch ihren Beitrag zum Umfang des Buches. Die Übersetzung ist relativ gut gelungen; stilistische Unebenheiten bleiben marginal. Die Zusammenstellung der "weiterführenden Literatur" erscheint etwas willkürlich; dafür enthält das Buch - als erstes, soweit ich sehen kann - eine Liste der "Informationsquellen im Internet". Durch sein detailliertes Register, die Querverweise und das Glossar am Ende des Buches läßt es sich auch als materialreiches Nachschlagewerk verwenden. - In souveräner Kenntnis der Theologiegeschichte und Komplexität gegenwärtiger Diskussionen bietet McGrath eine sorgfältig erarbeitete Überblicksdarstellung. Sie wird dem Studierenden jeden Alters ein solides Fundament und eine ,Landkarte’ der Theologie vermitteln. Die Präsentation zeichnet sich durch Mut zur einfachen Darstellung mit vielen Erklärungen und Veranschaulichungen aus. Und sie beeindruckt durch den breiten internationalen und ökumenischen Horizont sowie durch die souveräne Klarheit der Darstellung. Zweifellos gehört dieses Kompendium zu den guten Lehrbüchern, wenn man ihm auch nicht bescheinigen kann, signifikant aus diesem Kreis herauszuragen.

McGrath hebt schon im Vorwort hervor, daß es ihm nicht angelegen ist, seine eigene Position darzustellen, daß er vielmehr ein ganz und gar didaktisches Interesse verfolgt. Sein Abriß soll deskriptiv, nicht präskriptiv sein. Das Buch "versucht, den Lesern nicht zu sagen, was sie glauben sollen, sondern zielt darauf zu erklären, was Menschen geglaubt haben, um sie zu befähigen, sich eine eigene Meinung zu bilden" (14). Gehört dazu nicht aber auch die Förderung einer kritischen Kompetenz gegenüber einigen der in der Theologiegeschichte vertretenen Positionen und eine Anstiftung zum verantwortlichen Verfraglichen der dargestellten Inhalte? Muß theologische Lehre nicht auch zum innovativen Weiterdenken und zur kreativen Applikation der traditionellen Positionen anleiten? In dieser Richtung gibt McGrath zu wenig Impulse. Es bleibt dem Leser überlassen, sich in eine konstruktiv-kritische Beziehung zu den Antworten der Tradition zu setzen. Darin aber liegt nicht bloß eine methodische Selbstbeschränkung, die sich der Autor auferlegt, um den Leser zur unvoreingenommenen eigenen Urteilsbildung zu befähigen. Deutlicher als in allen expliziten Hinweisen im Text des Buchs drückt sich in dieser Konzentration auf die Darstellung der Theologiegeschichte das theologisch-didaktische Programm des Vf.s aus: Systematische Theologie als Aneignung ihres bisher durch die Geschichte zurückgelegten Weges. Denn auf diesem Weg manifestiert sich die Wirkungsgeschichte der Offenbarung Gottes in Christus. Hinter McGraths Wegbeschreibung steht eine normative Auffassung dessen, was das Christliche ist - doch sie bleibt unausgesprochen und entzieht sich damit der Auseinandersetzung.

Das Interesse des Vf.s ist es, den Leser zu motivieren, sich auf den Weg der christlichen Theologie einzulassen und ihn zu beschreiten. Dazu skizziert er die Ideengeschichte des Christentums, ohne sie in den Bezugsrahmen ihrer kontextuellen Formationsbedingungen zu stellen und ihre Entwicklung in wissenssoziologischen und sozialgeschichtlichen Hinsichten aufzuarbeiten. - Doch wird auch der, der eine andere Auffassung von Historischer und Systematischer Theologie als McGrath hat, in diesem Buch ein sehr wertvolles Hilfsmittel finden, das mit der Vielzahl der in Vergangenheit und Gegenwart beschrittenen Wegen der Theologie vertraut macht - auch wenn sich einzelne von ihnen als ausgetretene Pfade erweisen mögen.