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Ausgabe:

Juli/August/2003

Spalte:

834

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Kraus, Dieter [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Evangelische Kirchenverfassungen in Deutschland. Textsammlung mit einer Einführung.

Verlag:

Berlin: Duncker & Humblot 2001. 1031 S. gr.8. Geb. ¬ 74,00. ISBN 3-428-09893-5.

Rezensent:

Friedemann Merkel

Kraus hat bei seiner kirchenrechtlichen Forschung das Fehlen einer Sammlung der jeweils die Landeskirchen normierenden Verfassungen als gravierendes Desiderat erfahren. In der Tat war man bislang darauf angewiesen, bei den obersten kirchlichen Verwaltungsstellen sich ein Exemplar des jeweiligen "Grundstatus" zu erbitten, da diese in der Regel im Buchhandel nicht zugänglich waren. (Beim Rez. hatten sich über die Jahre neun solcher Texte zusammengefunden!) Nunmehr hat der Herausgeber die Verfassungen der 24 Gliedkirchen der EKiD und der kirchlichen Zusammenschlüsse: die EKiD selbst, EKU, VELKD, Reformierter Bund, Niedersächsische Konföderation und Arnoldshainer Konferenz sorgfältig ediert. Als Anhang werden die Barmer Erklärung und die Leuenberger Konkordie angefügt. Historische Verfassungstexte treten hinzu: die Verfassungsurkunde der APU (1922), die Verfassung der DEK (1933), die Ordnung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (1969) sowie die Grundordnung der EKD (1974).

Mit diesem stattlichen Band kann jeder, der an heutigen Verfassungsproblemen wissenschaftlich arbeiten möchte, auf zuverlässig edierte Quellentexte zurückgreifen. Es zeigt sich allerdings, dass nur eine gute Hälfte der Gliedkirchen strikt von einer Verfassung spricht, während andere von Grundordnung, Ordnung, Kirchenordnung und Kirchengesetz sprechen. Ebenso uneinheitlich ist die Bezeichnung der kirchlichen Zusammenschlüsse.

Dabei geht es nicht nur um eine terminologische Differenz. Das wird schon am Umfang und damit am Grad der Entfaltung der Urkunden deutlich. So findet z. B. die Verfassung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers auf 35 Seiten, die Kirchenordnung der benachbarten Evangelischen Kirche von Westfalen auf fast doppelt so vielen Seiten Platz. Dieser Unterschied beruht vor allem darauf, dass in Westfalen (wie in der Kirche im Rheinland) die sog. Lebensordnung Bestandteil der Verfassung, der Kirchenordnung, ist. K. hat einführend festgestellt, dass es nicht die "Sache einer Kirchenverfassung" (sei), in alle Einzelheiten gehende Regelungen vorzusehen, vielmehr soll sie sich darauf beschränken, die "Grundstrukturen für die kirchliche Rechtsordnung und Leitlinien für deren weitere Gestaltung aufzustellen" (13).

In Westfalen hat etwa die Frage, ob katholische Christen das Patenamt in der evangelischen Kirche übernehmen können, Verfassungsrang. Eine Änderung solcher "Einzelheiten" bedarf der qualifizierten Mehrheit in der Landessynode und des presbyterial-synodalen Gesetzgebungswegs. Nicht ohne Grund heißt dieses Dokument Kirchenordnung und nicht Kirchenverfassung.

Die "Verfassungen" im Rheinland und in Westfalen stehen eben nicht in der Tradition von Verfassungen, zu denen sich eine gewisse Analogie zum modernen Verfassungsstaat konstatieren lässt. K. tut dies sehr kompetent in seiner Einführung. Die beiden westlichen Gliedkirchen fußen auf den Kirchenordnungen des 16. Jh.s, die durchaus Einzelheiten regeln, und speziell auf der rheinisch-westfälischen KO von 1835. Es werden also durchaus nicht nur Leitlinien und Leitungsstrukturen niedergelegt, sondern das ganze kirchliche Leben wird rechtlich strukturiert. Wie verschieden auch die einzelnen Ordnungen sein mögen, so bewährt sich im Ganzen die oben zitierte Definition.

Die Gunst des Kalenders nutzend, werden die Texte in der Form wiedergegeben, die zu Beginn des Jahrtausends (1. Januar 2001) in Geltung waren. Hoffentlich halten sich die Änderungen in Zukunft in Grenzen, damit diese Sammlung nicht allzu rasch obsolet wird.