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Ausgabe:

Juli/August/2003

Spalte:

831–833

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Hammer, Felix

Titel/Untertitel:

Rechtsfragen der Kirchensteuer.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2002. XXVI, 572 S. gr.8 = Jus Ecclesiasticum, 66. Lw. ¬ 79,00. ISBN 3-16-147537-2.

Rezensent:

Michael Germann

Das in Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 V-VII WRV garantierte Recht der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die finanziellen Beiträge ihrer Mitglieder in der öffentlich-rechtlichen Form einer Steuer zu erheben, wird immer wieder angezweifelt und angefochten. Schon die Assoziation von Kirche und Geld taugt als Zielscheibe für Ressentiments. Wer die Finanzen der Kirche mit Goethes Spottwort über ihren "guten Magen" moralisch abqualifiziert, kann mit einem empörungslustigen Publikum rechnen. Wer außerdem die vom Staat geleistete Verwaltungshilfe beim Kirchensteuereinzug als Ausdruck rückständiger Allianzen von Thron und Altar bekämpft, mag auch unter Kirchenleuten Sympathie finden, sofern hier und da die Zukunft der Volkskirche in einer Verschlankung zur spendenabhängigen Winkelgemeinde gesehen wird. Zum verfassungsrechtlichen Argument greift die Kritik mit der These, so, wie sich das Verhältnis von Staat und Kirche in der Kirchensteuererhebung gestaltet, habe es das Grundgesetz nicht gemeint. Dabei ist der stechende Blick auf scheinbare "Privilegien" selten durch Sachkenntnis getrübt.

Dem setzt Felix Hammer, ein Schüler Martin Heckels, in seiner Tübinger Habilitationsschrift von 1999 eine nüchterne, gründliche und wohlabgewogene Bestandsaufnahme des Kirchensteuerrechts entgegen. In vierzehn Kapiteln behandelt er unter anderem die geschichtliche Entwicklung der Kirchensteuer, ihre verfassungsrechtlichen Grundlagen und Grenzen, ihre Ausgestaltung gemäß dem staatlichen und kirchlichen Kirchensteuerrecht und den Rechtsschutz.

Im Hinblick auf die Legitimitätsfrage begründet H. eingehend die "Systemadäquanz der Kirchensteuer im Rahmen der Ordnung des freiheitlichen, weltanschaulich neutralen Staates" (185). Diesen Rahmen sieht er wesentlich geprägt vom Wandel der Staatsaufgaben: von der "Überwindung des liberalistischen Staatsgedankens" hin zum "Sozialgestaltungs-, Fürsorge- und Wohlfahrtsstaat" (160), zum "hochentwickelten Kultur-, Bildungs-, [...]" (163), "Leistungs- und Interventionsstaat" (177). Insbesondere die Leistungsdimension der Staatsaufgaben streicht H. stark heraus. Wenn er auch nicht so weit geht, aus den Grundrechten, speziell der Religionsfreiheit nach Art. 4 I-II GG, Leistungsansprüche abzuleiten, sieht er doch den Staat in einer allgemeinen Pflicht zu "materiellen Hilfen als Grundlage der Freiheitsverwirklichung" stehen: "Freiheit wird - auch - zum staatlich vermittelten und konditionierten Gut" (169 f.), daraus folge "die intensive und materiell tatkräftig fördernde Pflege des Kultur- und Sozialwesens als wesentliche Staatsaufgabe" (186). Solche Grundrechtsförderung müsse der zu Gleichbehandlung und religiös-weltanschaulicher Neutralität verpflichtete Staat auch der Religionsfreiheit zukommen lassen; deren Ausschluss käme einer Religionsbekämpfung gleich (165f. 170.172.177.186 f.). Statt unmittelbarer Finanzhilfen solle er vorzugsweise Mittel zur Selbstfinanzierung zur Verfügung stellen. In dieser Funktion erweise sich die Kirchensteuer als "ein sachgerechtes Instrument der Kultur- und Sozialpflege im modernen Leistungsstaat" (187 u. ö. in vielfachen ähnlichen Wendungen).

Diese betont leistungsstaatliche Begründung regt zum Nachdenken darüber an, ob die Kirchensteuer nicht auch ohne das gewagte Postulat einer allgemeinen Grundrechtssubventionierungsaufgabe des Staates ihre Berechtigung hat. Das Besteuerungsrecht gehört zu den Befugnissen, die mit der in Art. 137 V WRV angebotenen öffentlich-rechtlichen Rechtsform verbunden sind. Diese öffentlich-rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten befreien die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften um ihres Selbstbestimmungsrechts willen vom privatrechtlichen Formenzwang, falls die privatrechtlichen, etwa vereinsrechtlichen Formen ihrem Selbstverständnis inadäquat sind. Nicht um eine materielle staatliche Leistung geht es hier, sondern um eine selbstverständnisgerechte Ausgestaltung der bürgerlichen Wirkung religionsgemeinschaftlicher Selbstbestimmung. Dem dient auch die Kirchensteuer als öffentlich-rechtliche Variante der Erhebung von "Mitgliedsbeiträgen". Die staatliche Verwaltungshilfe verlängert das öffentlich-rechtliche Handeln der Religionsgemeinschaft in einen effektiven Verwaltungsvollzug hinein bis zur Verwaltungsvollstreckung. Ihr Leistungscharakter ist Dank der den Aufwand regelmäßig überkompensierenden Vergütung (dazu 478) frei von jedem finanziellen Subventionscharakter. Auch dieser Begründungsweg mündet in die von H. zu Recht hervorgehobene Erkenntnis, dass die Kirchensteuer in einem Staat, der im Dienst der optimalen Entfaltung der Grundrechte einschließlich der Religionsfreiheit steht, kein Fremdkörper, sondern ein "verfassungsadäquates und effektiv wirkendes Instrument der Finanzierung freier Kirchen und Religionsgemeinschaften" (504) ist.

Auch "Probleme der religiösen oder theologischen Legitimation der Kirchensteuer" kommen kurz zur Sprache (193-203). Über sie haben allein die Religionsgemeinschaften selbst zu urteilen. Hiergegen darf der Staat weder das Allgemeininteresse an solide kirchensteuerfinanzierten Wohlfahrtsträgern noch umgekehrt eine binnenreligionsgemeinschaftliche Opposition ausspielen. Angesichts innerkirchlich zuweilen geäußerter Bedenken dagegen, dass die Kirche die vom Staat angebotene Finanzierungsform der Kirchensteuer nutzt, weist H. überzeugend auf die Nachteile alternativer Finanzierungsformen hin. Hinsichtlich der bei der Kirchensteuer erforderlichen Zusammenarbeit mit dem Staat wagt er die - erstaunlicherweise immerhin vierfach skrupulös formulierte - Feststellung, "daß der soziale und freiheitliche demokratische Staat der Gegenwart zumindest für die großen christlichen Kirchen kaum als generelles Übel oder grundsätzlicher Feind anzusehen sein dürfte" (201).

Umfassend behandelt H. die verfassungsrechtlichen Grenzen der Kirchensteuererhebung (249-395). Neben den Tatbestandsvoraussetzungen des Besteuerungsrechts und der Kirchensteuerpflicht sowie deren Begrenzung durch das Kirchenaustrittsrecht geht es insbesondere um die Grundrechte (289- 389). Sie verpflichten zwar nur den Staat. Aber weil die Kirchensteuererhebung durch den grundrechtsgebundenen Staat von der Grundrechtskonformität des Besteuerungsakts insgesamt abhänge, treffe die daran interessierten Religionsgemeinschaften eine Obliegenheit, auch ihrerseits bei der Ausübung ihres Besteuerungsrechts die Grundrechte zu beachten (292). Entgegen der zunächst missverständlichen Rede von einer "umfassenden" (295) mittelbaren Grundrechtsbindung der Religionsgemeinschaften ist es richtig, dass diese sich auch bei der Ausübung ihres Besteuerungsrechts auf Religionsfreiheit und Selbstbestimmungsrecht berufen können (305, s. auch 295165 und 410 f.) und insofern eben nicht auf dieselben Grenzen stoßen wie der Staat bei seiner Steuererhebung. Unter dieser Maßgabe steht etwa die Konkretisierung des Gleichbehandlungsgebots im Gebot sachgerechter Besteuerung (342-384) und insbesondere im Leistungsfähigkeitsprinzip (344-365). Von den staatlichen Maßstäben darf sich das kirchliche Steuerrecht grundsätzlich abkoppeln (355.358-360); eine Mindestkirchensteuer mit Zugriff auf das Existenzminimum wäre allerdings verfassungswidrig (360 f.386); eine Kappung der Kirchensteuerprogression und Einrichtung einer Proportionalzone (für sozusagen austrittsgefährdete Einkommensbereiche) wäre zulässig, entsprechende Billigkeitsmaßnahmen im Einzelfall zum gleichen Zweck hingegen nicht (362-365); ein allzu grober Staffeltarif für das Kirchgeld verstößt gegen das Gebot sachgerechter Besteuerung (379, s. auch 475 f.477 f.), die Nichtberücksichtigung von Kindern beim Kirchgeld gegen das Gleichbehandlungsgebot und den Schutz der Familie (465-468). Eine territorial differenzierte Besteuerung verstößt nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot, denn sie ergibt sich einerseits aus der Partikularität der steuererhebenden Religionsgemeinschaften und somit aus deren Selbstbestimmungsrecht, andererseits aus der föderalen Gliederung der staatlichen Kirchensteuergesetzgeber (383). Genau genommen ist nur der jeweils beteiligte staatliche Hoheitsträger für sein Handeln an den Gleichheitssatz gebunden. Diese Einsichten hätten jüngst Beachtung verdient, als das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein und das Bundesverfassungsgericht die verschiedenen Kirchensteuer-Hebesätze der Nordelbischen Kirche in Hamburg und Schleswig-Holstein kurzschlüssig für gleichheitswidrig erklärten.

Damit sei die Fülle der von H. erörterten Einzelfragen nur angedeutet. Wissenschaft und Praxis, aber auch darüber hinaus alle staatskirchenrechtspolitisch und kirchenpolitisch Interessierten finden in seinem Buch auf die weiterhin aktuellen Fragen nach dem Sinn des Kirchensteuerrechts, nach seiner Legitimität und nach seiner Umsetzung klare Antworten.