Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2003

Spalte:

827–829

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Schweitzer, Friedrich, Englert, Rudolf, Schwab, Ulrich, u. Hans-Georg Ziebertz

Titel/Untertitel:

Entwurf einer pluralitätsfähigen Religionspädagogik.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus; Freiburg: Herder 2002. 260 S. 8 = Religionspädagogik in pluraler Gesellschaft, 1. Kart. ¬ 27,95. ISBN 3-579-05295-0 u. 3-451-27495-7.

Rezensent:

Günther R. Schmidt

"Pluralität" ist nach Auffassung der Autoren "die Situation von gesellschaftlicher, kultureller, religiöser, weltanschaulicher usw. Vielfalt", "Pluralismus" "ein reflektiertes Verhältnis" dazu. "Im Übergang von der Pluralität zum Pluralismus liegt eine grundlegende Orientierungsleistung, zu der eine pluralitätsfähige Religionspädagogik beitragen kann." "Pluralitätsfähigkeit" ist nicht nur ein Lernziel für die Adressaten religionspädagogischen Handelns, sondern zuerst eine Forderung an die religionspädagogische Theoriebildung. - Das Buch gliedert sich in die drei Teile "Notwendigkeit", "Konturen" und "Konkretionen einer pluralitätsfähigen Religionspädagogik".

Im ersten Teil wird dargelegt, dass sich die Kategorie der "Pluralisierung" eher zur Analyse der gegenwärtigen religiösen Situation eignet als die bisher vorherrschende der "Säkularisierung". Meint die These der "Säkularisierung" den unaufhebbaren Gegensatz zwischen moderner Welt und Religion, der ihr allmähliches Verschwinden unvermeidlich mache, dann hat sie sich als falsch erwiesen. Zwar hat das kirchlich institutionalisierte Christentum zweifellos an Terrain verloren, aber nicht einfach zu Gunsten von Religionslosigkeit. Religion tritt vielmehr in zahlreichen neuen, allerdings oft weniger leicht fassbaren Formen auf. Religiös plural ist nicht nur die Gesellschaft durch die Vielzahl der in ihr vertretenen Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen, sondern auch jede Religion und Konfession in sich. Dazu kommt die unterschiedliche religiöse Ladung künstlerischer Ausdrucksformen. Auch die Weisen des Umgehens mit der Pluralität sind selbst wieder plural. Plural sind endlich die Formen, in denen der Einzelne mit dem konkreten religiösen An-spruch, dem er sich stellt, zurechtkommt. Sie reichen von der Totalidentifikation mit der amtlichen Fassung der entsprechenden Religion ("Lehre der Kirche") bis zur höchst beliebigen subjektiven Auswahl.

Im zweiten Teil geht es besonders auch um die Zielfrage. Religionspädagogik muss vorsichtig zwischen Relativismus und Dogmatismus hindurchsteuern. Sie muss einerseits der Vergleichgültigung der Wahrheitsfrage entgegenwirken, andererseits "sich von der Vorstellung verabschieden, dass religiöse Lernprozesse nur dann erfolgreich verlaufen seien, wenn es zur Ausprägung eines bestimmten Gehalts religiöser Überzeugungen oder einer bestimmten Gestalt religiöser Identität kommt" (96). Die Auseinandersetzung mit der religiösen Vielfalt, in der "die jüdisch-christliche Tradition nach wie vor eine hervorragende Rolle" spielt, ist als "Medium der Wahrheitsfindung" und "der Identitätsfindung" zu sehen. "Die Religionen und ihre Wahrheitsansprüche werden einander nicht gleich gemacht, sondern bilden den Lerngegenstand." (131) Dazu ist die Fähigkeit zu entwickeln, sich in unterschiedliche "Perspektiven" zu versetzen (Innensicht - Außensicht). Der Lernende ist als Subjekt seiner religiösen Stellungnahme zu achten und zu einer solchen zu befähigen. Dazu muss seine religiöse Sprachfähigkeit gefördert werden. So können von der Religionspädagogik entwickelte Vorstellungen von religiöser Bildung mit in der Allgemeinen Pädagogik vertretenen in Einklang kommen.

Im dritten Teil werden Folgerungen für die einzelnen Lernorte gezogen. "Pluralitätsfähigkeit im Sinne religiöser und weltanschaulicher Urteilsfähigkeit gehört deshalb zu den konstitutiven Zielen pluralitätsfähiger Religionspädagogik." (162) Dieser Zielvorstellung kann "am ehesten ein kooperativer Religionsunterricht" gerecht werden. Kirchliche Kinder- und Jugendarbeit muss das Negativimage eines Ortes religiösen Anpassungsdrucks überwinden. Erst recht leidet religiöse Erwachsenenbildung unter dem Vorurteil, sie ziele nur auf "kirchliche Propaganda und Indoktrination". Sie hat "die Einübung in den Umgang mit religiöser Pluralität als eine Schwerpunktaufgabe zu begreifen".

Wachsende Aufmerksamkeit muss die Religionspädagogik den Medien zuwenden, die in großer Menge sowohl kirchlich-konnotierte als auch implizit religiöse Inhalte darbieten. Hier ist die Kirche aufgefordert, "ihre Bildungsverantwortung zu betonen und ihre diesbezüglichen Leistungen herauszustellen". Die christliche Religion kann sowohl zur "Personwerdung des Menschen" als auch zum "Aufbau einer menschlichen und gerechten Weltgemeinschaft" beitragen.

Den Abschluss des Buches bildet ein Ausblick auf "Religiöse Pluralisierung als internationale Erscheinung" und religionspädagogische Versuche, damit umzugehen.

Besonders die ersten beiden Teile bringen auch dem fachlich vorgebildeten Leser nicht wenige neue Einsichten sowie die Präzisierung bereits gegebener. Es bleiben ihm aber zwei Fragen: Bringt der pluralitätstheoretische Aufwand in den ersten beiden Teilen als Konkretionen im dritten nicht fast nur Überlegungen, die in der gegenwärtigen Religionspädagogik auch sonst weithin selbstverständlich geworden sind?

Müsste nicht bei dem mit Recht herausgestellten besonderen Gewicht des Christentums gegen die Gefahr seines Verfließens mehr betont werden, dass damit seine Selbstinterpretation durch normative Texte (Schrift, Dogma, Bekenntnis) und klassische Theologumena gemeint ist? Schließlich braucht das religiöse Subjekt zu seiner Entwicklung ein klar umrissenes und in vieler Hinsicht auch sperriges Gegenüber, an dessen Autoritäts- und Wahrheitsanspruch es sich abarbeiten kann. Des Weiteren stellt sich die Frage, ob Pluralität und Pluralismus von den normativen Grundlagen des Christentums her ausschließlich positiv zu werten sind.