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Ausgabe:

Juli/August/2003

Spalte:

810 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Moltmann, Jürgen

Titel/Untertitel:

Wissenschaft und Weisheit. Zum Gespräch zwischen Naturwissenschaft und Theologie.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 2002. 227 S. 8. Kart. ¬ 19,95. ISBN 3-579-05194-6.

Rezensent:

Michael Plathow

Das Gespräch zwischen Theologie und Naturwissenschaft auf dem wissenschaftlichen Weg in Kontinuität und Wandel fokussiert sich in den neuerschienenen Aufsatzbänden der beiden namhaften Theologen Karl Rahner: Verantwortung der Theologie, hrsg. von Hans-Dieter Mutschler. Sämtliche Werke, Bd. 15, Freiburg 2002 und Jürgen Moltmann: Wissenschaft und Weisheit, Gütersloh 2002. Ein Signal für die immer wieder neue Aktualität und Bedeutung dieses Themenfeldes. Nur auf den Aufsatzband von Jürgen Moltmann mit Beiträgen aus mehr als drei Jahrzehnten wird an dieser Stelle eingegangen.

Gegenüber dem Konfliktmuster, das traditionell - vor allem im 19. Jh. - das Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft charakterisierte, bewegen sich heute viele Naturwissenschaftler - bei weitem aber nicht die Mehrheit - im Kohärenzrahmen naturwissenschaftlichen Erklärens und theologischen Verstehens wie z. B. C. Fr. v. Weizsäcker, G. Howe, W. G. Pollard, J. C. Polkinghorne, A. R. Peacock usw. Theologischerseits findet sich eine komplementäre Zuordnung bei Ch. Link, J. Hübner, E. Schlink usw. und eine mehr integrative bei Th. F. Torrance, W. Pannenberg, A. Ganoczy und auch J. Moltmann.

Die Konvergenz im Gespräch zwischen Naturwissenschaft und Theologie (45) hat für J. Moltmann ihren Grund darin, dass theologische Einsichten heute für naturwissenschaftliche Erkenntnisse kompatibel sind und zugleich zu einer Neuformulierung der Theologie in naturwissenschaftlicher Hinsicht führen. Diese als "neue Theologie der Natur" verstandene "natürliche Theologie" impliziert eine neue Schöpfungsspiritualität; dabei entfaltet sich die Konvergenz von Naturwissenschaft und Theologie als "allgemeine Weisheitslehre" (11), d. h. als Lebensweisheit in ihrer lebensdienlichen Bedeutung: "Ein neuer Versuch, Naturwissenschaft und Theologie im Kontext des gemeinsamen Lebens zu sehen, wird auf der Ebene der Weisheit gemacht" (39). Diese umfasst Wissen und Moral, Erstaunen und Demut (172 ff.) vor der göttlichen und kosmischen Weisheit und stellt die menschliche Weisheit in die Verantwortung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse für das, "was dem Leben dient" (185). Treffend lautet der Titel des Aufsatzbandes darum "Wissenschaft und Weisheit".

Sein breites Themenfeld "Theologie und Kosmologie" (45- 150) geht in den einzelnen Beiträgen auf die Kompatibilität naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und theologischer Einsichten ein: "Schöpfung als offenes System" (45 ff.) und "Gottes Selbstbeschränkung und die Geschichte des Universums" (68ff.) verbinden das Kenosis- und Schechina-Modell und zeichnen diese in eine kosmologische Schöpfungslehre ein. "Eschatologische Perspektiven auf die Zukunft des Universums" (83 ff.), "Was ist die Zeit und wie erfahren wir sie" (102ff.), "Ursprung und Vollendung der Zeit im ursprünglichen und im eschatologischen Augenblick" (117 ff.) sowie "Gott und Raum" (131 ff.) verknüpfen das von G. Picht, C. Fr. v. Weizsäcker, G. Howe und K. A. M. Müller bestimmte eschatologische Modell einer "Theologie der Zeit" mit einer von J. Lurias Zimzum-Verständnis geprägten "Theologie des Raumes": die Einwohnung des dreieinen Gottes. Diese Beiträge erstellen und erhellen die theologischen Leitgedanken, Modelle und Metaphern, die J. Moltmann in anderen Büchern z. T. breiter expliziert wie z. B. "Gott in der Schöpfung", München 1987 (3), "Der Geist des Lebens", München 1991, "Das Kommen Gottes", München 1995.

Im systematischen Begründungszusammenhang von "Wissenschaft und Weisheit" erfahren besondere Aufmerksamkeit die Beiträge "Was wär' ein Gott, der nur von außen stieße, das All der Welt am Finger laufen ließe. Der Fall Giordano Bruno" (190 ff.) und "Tao - das chinesische Geheimnis der Welt. Laotse's Tao-te-king mit westlichen Augen gelesen" (203 ff.).

G. Bruno, dessen Lebens- und Wirkungsgeschichte in der letzten Zeit besonderes Interesse gilt, wird vom Vf. als Vorbote "eines postmodernen Paradigmas für eine überlebensfähige menschliche Welt im organischen Einklang mit dem Geist als Selbstorganisations-Dynamik auf den diversen Ebenen des Universums" charakterisiert (202); wie in der Überschrift des Beitrags signalisiert, zeigen sich so Analogien zu J. W. v. Goethes Naturphilosophie an.

Die taoistische Kosmogonie und der biblische Schöpfungsbericht erweisen bei einer Konzentration auf das Verständnis der Lebenskraft als zum einen Ch'i und zum andern Ruah für den Vf. Nähe und Ferne für einander. "Das chinesische Weisheitsbuch ist dem Buch der Weisheit der Juden und Christen nah und fern zugleich. Je näher es uns kommt, desto mehr erkennen wir die Differenzen; je mehr wir Differenzen wahrnehmen, desto besser verstehen wir es. Gemeinsam bleibt die geheimnisvolle Natur, deren Übereinstimmung wir mit unserer Lebensführung suchen" (222); dies entfaltet der Vf. in religionstheologischem Kontext einer "allgemeinen Weisheitslehre".

J. Moltmann gibt in den auf die Kosmologie konzentrierten Beiträgen auch für eine breitere Leserschaft erhellende Einblicke in die Konvergenz von Naturwissenschaft und Theologie als "Weisheitslehre", die naturwissenschaftliche Erkenntnisse und theologische Einsichten integriert und als "Schöpfungsspiritualität" Lebensweisheit und Lebensdienlichkeit verbindet: ein aktuelles Themenfeld als Ertrag eines langen wissenschaftlichen Weges angesichts heutiger Herausforderungen. Der Theologe wird zusätzlich die argumentativen Explikationen des Autors in seinen systematisch-theologischen Büchern heranziehen.