Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2003

Spalte:

805–807

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Filser, Hubert

Titel/Untertitel:

Dogma, Dogmen, Dogmatik. Eine Untersuchung zur Begründung und zur Entstehungsgeschichte einer theologischen Disziplin von der Reformation bis zur Spätaufklärung.

Verlag:

Münster-Hamburg-Berlin-London: LIT 2001. IV, 842 S. gr.8 = Studien zur systematischen Theologie und Ethik, 28. Geb. ¬ 61,90. ISBN 3-8258-5221-0.

Rezensent:

Michael Basse

In dieser Arbeit, die im Sommersemester 2000 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität München als Habilitationsschrift angenommen wurde, wird die Begriffs- und Disziplingeschichte von Dogma, Dogmengeschichte und Dog- matik analysiert und systematisch-theologisch ausgewertet. Nach einer forschungsgeschichtlichen und methodologischen Einleitung steht zunächst das Zeitalter der Reformation im Mittelpunkt (43-189), wobei auch ein Überblick über den patristischen und mittelalterlichen Hintergrund des Dogmenbegriffs vermittelt wird. Hinsichtlich der Genese und Konzeption einer speziellen Glaubenswissenschaft wird auf lutherischer Seite Melanchthons theologischer Methode und Systematik besondere Aufmerksamkeit zuteil, während auf katholischer Seite vor allem das Verhältnis von scholastischer und sog. "positiver" Theologie (174) Berücksichtigung findet.

In einem zweiten Teil wird die Ausformung des Dogmenbegriffs und die Entwicklung der Dogmatik als eigenständige Disziplin im Zeitalter der altprotestantischen Orthodoxie, der frühen Aufklärung und der Barockscholastik dargestellt (191- 429). Von besonderer Bedeutung sind hier zunächst die Entfaltung einer Lehre von den Fundamentalartikeln und die weitere Klärung des Dogmenbegriffs in Auseinandersetzung mit dem Sozinianismus und dem Arminianismus. Damit einher gingen Veränderungen in der Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft, was dazu führte, dass der Dogmenbegriff "im 17. Jahrhundert unter neuen Paradigmen (Offenbarung, Vernunft, Religion, Wissenschaft) als satzhaft formulierte Offenbarungswahrheit begriffen" (247) wurde. Mit der Anwendung historisch-philologischer Methoden wurde ein kritischer Ansatz in der Beschäftigung mit der Dogmengeschichte entwickelt, der im Pietismus zu einer grundsätzlichen Abgrenzung zum Dogma als dem "Inbegriff eines erfahrungslosen Glaubens" (292) führte. Die katholische Theologie erörterte die Frage der Dogmenentwicklung in dieser Zeit im Horizont der Relation von Schrift und Tradition, wobei dem kirchlichen Lehramt im Zuge innerkirchlicher Auseinandersetzungen mit dem Jansenismus, Molinismus, Quietismus und Gallikanismus immer mehr die Funktion beigemessen wurde, die Glaubenswahrheit verbindlich zu formulieren. Auf der Grundlage der Neukonzeption des Dogmenbegriffs bildete sich zunächst in der protestantischen und später auch in der katholischen Theologie eine eigenständige Disziplin Dogmatik heraus. Dabei spielten die Rezeption der neuaristotelischen Wissenschaftslehre und die Einführung der analytischen Methode in Verbindung mit dem Systembegriff eine wichtige Rolle, wie vor allem im Blick auf Bartholomäus Keckermann, Georg Calixt und Johann Gerhard gezeigt wird. Den Dogmen kam die Funktion von Axiomen zu, die der Theologia dogmatica zu Grunde lagen und von denen aus sich die Gegenstände dieser Glaubenswissenschaft ausdifferenzierten. Die Abgrenzung von Dogmatik und Ethik "war Gegenstand und Katalysator weiterer Reflexion auf dem Weg zu einer eigenständigen Disziplin Dogmatik" (414).

Der dritte Teil befasst sich mit der Entwicklung des Dogmenbegiffs und der Konzeptionen von Dogmatik im 18. Jh. (431-667). Das Dogmenverständnis musste sich nunmehr nicht nur mit dem rationalistischen Anspruch der Leibniz-Wolffschen Philosophie und den kritischen Ansichten des Deismus auseinandersetzen, sondern auch dem historischen Denken gerecht werden, das seit den 1720er Jahren bestimmend wurde. Die lutherische Orthodoxie kam hier an ihr Ende, auch wenn Hollaz, Löscher und Buddeus die Lehre von den Fundamentalartikeln noch weiterentwickelten. Richtungsweisend war die Dogmenkritik der Neologie, deren Ziel die "Reduktion der Inhalte der geoffenbarten Religion auf die der natürlichen Religion" (469) war und die ihr Augenmerk vor allem auf die lebenspraktische Relevanz der Dogmen legte. Mit Semlers Unterscheidung von Privat- und Kirchenreligion sowie von Kerygma und Dogma wurden die Dogmen zu Lehrsätzen, die nur noch für Theologen und Kleriker verbindlich waren. Dem entsprach die Herausbildung einer Dogmengeschichtsschreibung, wie sie dann in der Nachfolge Semlers fortgeführt und der die Dogmatik "überantwortet" (509) wurde. Die generelle Ausrichtung der Dogmenkritik fand schließlich ihre Zuspitzung in Kants Kritizismus mit dessen paradigmatischer Abgrenzung zu jeglichem Dogmatismus. Die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Konzeptionen des protestantischen Dogmenverständnisses bewegte auch die katholische Aufklärungstheologie. Dabei wurde einerseits die Konklusionstheologie weiter ausgebaut und andererseits ein "Lehramtspositivismus" (529) begründet, indem die Rolle der Kirche als "autorisierte Vermittlerin und Interpretin der Offenbarung" (552) herausgestellt und der Traditionsbegriff präzisiert wurde. Parallel zum Wandel des Dogmenverständnisses bürgerte sich im 18. Jh. die Dogmatik als Bezeichnung und Methode einer theologischen Disziplin ein. Hier war vor allem Buddeus wegweisend, der die analytische durch eine systematische Methode ablöste. Mit der Aufklärungstheologie wurde die "moralische Tendenz der Dogmatik" (622) verstärkt. Die Bezeichnung dogmatische Theologie wurde auch in der katholischen Theologie rezipiert, wobei unterschiedliche terminologische Abgrenzungen vollzogen und auch verschiedene Konzepte entwickelt wurden, Dogmatik als "apologetische Konklusionstheologie" (648), als Synthese positiver und scholastischer Theologie, als wissenschaftlich-systematische Glaubenslehre oder auch als "Theorie der Religion" (657) zu begründen und zu entfalten. Dem korrespondierte eine grundlegende Studienreform in den 1770er Jahren, die vor allem das Verhältnis von Dogmatik und Pastoraltheologie zu klären versuchte.

Im abschließenden vierten Teil (669-755) liefert der Vf. eine "systematische Zusammenschau der Forschungsergebnisse im Rahmen der Ökumene und künftiger Aufgaben" (669). Die These, die Reformatoren hätten dem Dogmenbegriff "den Bekenntnisbegriff entgegen[gesetzt]" (674), wird jedoch weder von der vorangegangenen Analyse gestützt noch entspricht sie dem assertorischen Charakter vor allem von Luthers Dogmenverständnis. Insgesamt ist aber die zusammenfassende Darstellung der historischen Entwicklung des Dogmenbegriffs sowie der Entstehung der Disziplinen Dogmatik und Dogmengeschichte prägnant, und sie vermittelt ein problemorientiertes Gesamtergebnis, während der Hauptteil der historischen Analysen darunter leidet, dass vor allem in den Abschnitten über die Entwicklung der Dogmatik vieles wiederholt wird, was bereits zur Genese des Dogmenbegriffs erläutert wurde. Nach einem groben Überblick über die "Weiterentwicklung der Dogmen- und Dogmatikverständnisse" (695) wird schließlich die Aufgabe umrissen, den Dogmenbegriff und die Dogmatik angesichts der theologischen Herausforderungen der Gegenwart neu zu akzentuieren. Hier geht es dem Vf. in ökumenischer Perspektive um eine "Dogmenhermeneutik des gelebten Glaubens", die den Dogmenbegriff aus seinem "Sprachgefängnis" befreien soll (731). Dazu werden verschiedene Aspekte und Funktionen von Dogma herausgearbeitet, um dann die "Dogmatik als Wissenschaft vom (kirchlichen) Dogma" (744) zur Geltung zu bringen. Ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Personenverzeichnis schließen die Arbeit ab. Diese umfasst insgesamt eine Fülle von detaillierten Analysen und kann historisch- wie systematisch-theologisches Interesse beanspruchen.