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Ausgabe:

Juli/August/2003

Spalte:

799–801

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Knapp, Markus, u. Theo Kobusch [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religion - Metaphysik(kritik) - Theologie im Kontext der Moderne/Postmoderne.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2001. VI, 362 S. gr.8 = Theologische Bibliothek Töpelmann, 112. Geb. ¬ 118,00. ISBN 3-11-016806-5.

Rezensent:

Ernst Feil

Einen Sammelband zu besprechen, birgt besondere Schwierigkeiten. Denn von vornherein muss man damit rechnen, dass er verschiedene Positionen enthält, die sich allenfalls schwer, wenn überhaupt auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen. Entsprechend schwer lässt sich ein auch nur einigermaßen resümierendes Ergebnis in der Sachfrage erbringen (und dies bei einem vorgegebenen begrenzten Umfang der Rezension).

Dabei weckt ein in einem renommierten Verlag erschienener Dokumentationsband einer Tagung Interesse, der nebeneinander "Religion - Metaphysik(kritik) - Theologie" zum Thema hat, ohne dabei auf den Disput einzugehen, ob wir uns nun in der Moderne oder der Postmoderne befinden - eine Begrenzung, die schon aus Gründen der Tagungsökonomie berechtigt erscheint. Allerdings dürfte die Nebenordnung der drei Termini ein (im Band nicht reflektiertes) Problem darstellen; denn "Religion" einerseits sowie "Metaphysik" und "Theologie" andererseits liegen nicht auf derselben Ebene, da nur letztere Theoriebegriffe darstellen. Warum "(kritik)" nur zur "Metaphysik" hinzugesetzt ist, wird gleichfalls nicht erörtert.

Ein Blick in den Band zeigt: Nach zwei einleitenden Referaten über "Gott und Zeit. Theologie und Metaphysik an den Grenzen der Zeit" (J. B. Metz, 5-19) und "Metaphysik und Offenbarung" (K. Hübner, 20-37) werden fünf Themenkreise behandelt, nämlich "Religion in der Moderne" (K. Müller, 41-55; O. Schwemmer, 56-84; F.-X. Kaufmann, 85-103; Stellungnahme von W. Gräb, 104-109), "Religion und Metaphysik" (Th. Rentsch, 113-126; Fr. Ricken, 127-144; E. Runggaldier, 145-159; Stellungnahme von F. J. Wetz, 160-166), "Metaphysik und Moderne" (W. Schweidler, 169-186; Th. Kobusch, 187-203; Stellungnahme von R. Wimmer, 204-210), "Die Gottesfrage in der Moderne" (U. H. J. Körtner, 213-229; Th. Pröpper, 230-252; K.-M. Kodalle, 253-278; Stellungnahme von E. Dirscherl, 278-288) sowie schließlich "Theologie und Metaphysik" (Ch. Link, 291-306; M. Knapp, 307-332; J. Wohlmuth, 333-354; Stellungnahme von H.-L. Ollig, 355-362). - Man sieht schon an dieser Gliederung: Die ersten beiden Teile handeln von der "Religion" und, so jedenfalls die Intention, von ihr und der "Metaphysik", während die weiteren Teile über "Metaphysik", "Gottesfrage" sowie "Theologie und Metaphysik" gehen.

Sucht man nach Bestimmungen zur "Religion", so erfährt man etwa, sie lasse sich auffassen als eine "konstruktive Vermittlung der Grundstruktur selbstbewusster Subjektivität" (K. Müller, 50), ihr Begriff lasse sich "als Vermittlungsinstanz des basalen Antagonismus menschlicher Selbstbeschreibung" einführen, doch gehe er darüber hinaus in einem "Gedanken vom Ganzen, der auch noch die diesen Gedanken fassende Instanz einschließt" (51), sie sehe "das Endliche, Bedingte im Horizont des Unendlichen, Unbedingten" und sei "das Bewußtsein des Transzendenten, man kann auch sagen, metaphysischen Grundes menschlicher Freiheit" (W. Gräb, 105), das "Bewußtsein für den Sinn des Daseins" (107) oder die "Tiefendimension von Rationalität" (Th. Rentsch, 125), wenn man einmal von den Zitationen aus Hegels "Vorlesungen über die Philosophie der Religion" absieht (M. Knapp, 311-315), die hier im Hinblick auf die Trinitätslehre behandelt werden.

Hinsichtlich der "Metaphysik" stößt man auf Feststellungen, dass sie als "Ontologie" nichts anderes ist als "Lehre vom Sein" (K. Hübner, 20), dass der "Logos der Metaphysik" vom "Logos der Offenbarung" zu unterscheiden ist und die "Metaphysik" scheitert mit dem Versuch, eine "theologike epistéme" zu sein (37), dass "nichtontologische Wirklichkeitsauffassungen ... ontologisch nicht widerlegbar" sind (27) oder dass auch dem "Logos der Offenbarung" eine "mythische Verfassung" attestiert werden kann (35). Formuliert wird die These, "das Göttliche des Mythos" werde dadurch "zum Gott der Religion", dass es eine "symbolische Existenz gewinnt" (O. Schwemmer, 80, im Hinblick auf E. Cassirer). Wir stoßen auf eine "negative Metaphysik", insofern uns das, "was erkenntnismäßig theoretisch unerkennbar, pragmatisch entzogen und unverfügbar ist, ... den endlichen Freiheitsspielraum praktischer Anerkennungsvollzüge der Transzendenz-Aspekte in der Immanenz einer humanen Welt [bildet und eröffnet]" (Th. Rentsch, 121 f.), wobei die Annahme einer "Welt I" und einer "Welt II" eine "vorhandenheitsontologische bzw. vorhandenheitssemantische, metasprachliche Fehldeutung religiöser Rede und Praxis" wäre (114). Sozusagen im Gegenzug stößt man auf die Zuversicht, auf dem "Hintergrund der analytischen Philosophie "Metaphysik" betreiben zu können (E. Runggaldier, 146). Bei der Suche nach der "Wahrheit der Grenze" - inwiefern eigentlich "Wahrheit"? - findet man Hinweise zu metaphysischen Implikationen nichtmetaphysischer Wissenschaftskonzeptionen, aber gleichwohl verbunden mit einem Scheitern der Philosophie, mündend in die Aufforderung, sehr wohl auf diesen "Unsinn lauschen" zu müssen (W. Schweidler, 186, so mit einem Wittgenstein-Zitat). Es gibt den Versuch, "metaphysische Voraussetzungen" für einen modernen Freiheitsbegriff am Modell von "Intersubjektivität und Freiheit" zu entwickeln (Th. Kobusch, 185, vgl. 202f.). Und wenn man im Anschluss an Pascals Antagonismus vom Gott der Philosophen und dem Gott Abrahams zu einer grundlegenden "Aporie metaphysischen Denkens" gelangt, kommt man gleichfalls nicht über die "vielfältig diskutierte These vom vermeintlichen Ende der Metaphysik" hinaus (U. Körtner, 228 f.). Im Hinblick auf J. Habermas wird auf Schuld und insbesondere die Notwendigkeit einer "Kultur der Reue" hingewiesen (K.-M. Kodalle, 276), wobei er sich fragt, ob die Annahme eines "unbedingten Seins" (260) bei Habermas schon mehr ist als ein implizites Zugeständnis an die Unzulänglichkeit einer diskursiven Letztbegründung (so wenig man für diese eine universale Konzeption wird finden können). Insgesamt aber geht Theologie über Philosophie auch in ihrer Gestalt als "Metaphysik" hinaus (Ch. Link, 306), lässt sie sich doch nur als "theologische Eschatologie" konzipieren, lediglich "solidarisch mit Metaphysik im Augenblick ihres Sturzes" (M. Knapp, 332, mit einem Zitat von Adorno). Schließlich lässt sich die chalkedonische Christologie nur in einem Überschritt "auf das Trans-ontologische der Person Jesu von Nazaret" auslegen (W. Wohlmuth, 354). Auch der Versuch, die "Rede von Gott" theoretisch zu verantworten, weist auf "ein Unbedingtes im Menschen", ohne welches "weder Gott uns unbedingt angehen noch der Gottesgedanke in autonomer Einsicht erreicht werden" könnte- und dies "nach Wegfall der ontologischen Basis der traditionellen Analogielehre" - (Th. Pröpper, 251).

Blickt man von den gesamten Beiträgen her auf die einleitenden Überlegungen zur "Gotteskrise", zur "anamnetischen Vernunft" sowie zum "Leidapriori" auf Grund von Auschwitz (J. B. Metz), so wird man in den einzelnen Beiträgen nicht eben viel hiervon finden. Allerdings fragt sich, ob man dieses Ereignis so universalisieren kann, wie gegen die Fundamentalschriften von Habermas eingewandt wird (14). Welche Relevanz hat dieses Ereignis etwa für eine - so es sie schon gäbe - indische christliche, vielleicht auch indische katholische Theologie? Zum Tragen kommen könnte es letztlich ja nur noch einmal in der Rückbindung eines "Leidensuniversalismus" (16) an die Leidensgeschichte Jesu, mehr aber noch an seine Auferstehung und die aus ihr resultierende Hoffnung.

Sehr aus dem Rahmen aller Darlegungen fallen die religionssoziologischen Überlegungen (F. X. Kaufmann, 85), in denen die Undefinierbarkeit der "Religion" (87) anhand der üblichen "Rede von der Religion" (85) diagnostiziert wird, so dass ein Verzicht der christlichen Theologie auf den "Unbegriff der Religion" angemessen erscheint (99). Interessant ist nun, dass bereits in der kritischen Stellungnahme hierzu gerade diese fundamentale These nicht aufgenommen wird, sondern stattdessen auch für diesen Text von "Religion" die Rede ist (W. Gräb, 108). Auch die bemerkenswerte Aussage, nicht von "Religion", sondern von der "Tugend des Glaubens" reden zu wollen (F. Ricken, 127), wird stattdessen wiederum unter dem Stichwort "Religion" resümiert (F. J. Wetz, 163). Offensichtlich ist das jeweilige Vorverständnis so massiv von "Religion" bestimmt, dass solche doch gravierende Nuancierungen bzw. Negierungen überhaupt nicht auffallen - wobei übrigens zu fragen ist, warum nicht einfach statt von "Religion" vom "Glauben", sondern vom "religiösen Glauben" die Rede ist (fides religiosa bei Thomas von Aquin?).

So bleibt noch einmal eine Aussage des Religionssoziologen aufzunehmen, die sich auf die den Referenten gegebenen - auf weite Strecken freilich außer Acht gelassenen - Vorgaben für den jeweiligen Beitrag beziehen; sie werden hier als "ziemlich naiv" bezeichnet, nämlich mit ihrer "Fragestellung dieses Kongresses nach der Funktion und Universalisierbarkeit der Religion und nach dem inneren Zusammenhang von Religion, Theologie und Metaphysik" (94).

Nicht versagen kann ich mir den Hinweis auf diese Vorgabe für die Referenten mit der These, erst in der "Moderne" hätte die "Religion" den "ihr seit alters zukommenden Status einer selbstverständlichen gesellschaftlichen Einrichtung" längst verloren, nämlich die "der Religion als psychischem System zugeschriebenen Funktionen der Affektbindung, der Angstbewältigung, der Verarbeitung von Kontingenzerfahrungen ..." (1). Außer dem Religionssoziologen hat nach diesem "alten ... System" offensichtlich niemand gefragt. Und niemand sonst hat konstatiert, dass "religio" bis etwa 1750 schlicht "modus colendi Deum" bedeutete (Ch. Wolff). - So findet sich auch nirgends die Frage, ob in der "Moderne" tatsächlich eine "Flucht in die Religion, eine Wiederkehr der Religion unverkennbar" ist (1). Wäre nicht die These Hans Blumenbergs zu erörtern, ob es sich hier nicht nur um Überhangsprobleme einer christlichen Tradition handelt?