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Ausgabe:

Juli/August/2003

Spalte:

786–788

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Heininen, Simo, u. Markku Heikkilä

Titel/Untertitel:

Kirchengeschichte Finnlands. Übers. v. M. Quaschning-Kirsch.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2002. 239 S. m. 2 Abb. u. 5 Ktn. gr.8. Kart. ¬ 29,90. ISBN 3-525-55444-3.

Rezensent:

Gert Haendler

Kapitel I "Missionszeitalter und Kirchenorganisation" beginnt mit dem Jahr 1300: Im "heiligen Jahr" wurde der Dom zu Turku geweiht. Davor lag eine lange Vorgeschichte: Kreuze in Gräbern, sprachliche Einflüsse sowie Ansgars Reisen nach Schweden werden erwähnt. Die "Eroberungstheorie" wird abgelehnt (12). "Die Entwicklung verlief allmählich und friedlich" (15).

Kap. II "Hoch- und Spätmittelalter" beschreibt die Bischöfe von Turku: Sie beteiligten sich an weltlichen Kämpfen, waren aber primär Geistliche. Am Ende des Mittelalters wirkten 150 Pfarrer in 101 Steinkirchen (33). Sie kamen überwiegend aus dem Bauernstand, lebten auf dem Pfarrhof und hatten oft mit ihrer Haushälterin Kinder (35). Die Reformation stieß auf wenig Widerstand.

Kap. III "Das Zeitalter der Reformation" beginnt kritisch mit der "Fürstenreformation" in Schweden (56-60). Wichtiger sind "die 8 jungen Finnen, die unter Martin Skytte bei Melanchthon und Luther in die Lehre gingen" (62). Michael Agricola legte 1543 den Katechismus und 1548 das Neue Testament in finnischer Sprache vor und wurde so der "Vater der finnischen Schriftsprache" (70). Paul Juusten schrieb auf Anregung Melanchthons seine Bischofschronik und wurde damit "unser erster namentlich bekannter Kirchengeschichtsschreiber" (75).

Kap. IV "Orthodoxie und Volksbildung" betont den Anteil Schwedens: Finnland war "Teil des schwedischen Reiches und hier galten die schwedischen Gesetze" (83). In Turku amtierten schwedische Bischöfe. 1642 erschien jedoch eine Bibel in finnischer Sprache für die finnischen Kirchgemeinden. Im Dom zu Turku wurde "der Gottesdienst abwechselnd auf Finnisch und auf Schwedisch gehalten" (87). An der 1640 gegründeten Akademie Turku lehrten neun schwedische und zwei finnische Professoren (95). Die Pastoren mussten Befehle des schwedischen Königs von der Kanzel verkünden (105). "Die Kirche der Orthodoxie brachte dem finnischen Volk das Lesen bei. Das war bereits das Ziel der Reformation gewesen. Agricolas Fibel erfuhr drei Auflagen" (108). Nach der Niederlage des schwedischen Heeres 1709 geriet Finnland allmählich unter die Herrschaft Russlands. Das Domkapitel von Turku floh nach Stockholm, die kirchliche Arbeit vor Ort ging weiter, Finnen übernahmen Verantwortung. Die Arbeit kam bald der Normalität wieder vergleichsweise nahe (119).

Kap. V "Das Zeitalter der Aufklärung" geht auf die Universität Turku ein, bedeutende Naturwissenschaftler wurden hier Bischöfe (123). Eine Dissertation hatte das Thema "Was der Pastor zur Förderung der Wirtschaft tun kann" (129). Der Abschnitt "Pietismus und Volkserweckung" führt zu dem Ergebnis: "Zu den Erweckungen im Volk war es auf der Grundlage der jahrhundertalten Unterweisungstätigkeit der Kirche gekommen". Es gelang, "die Schwärmer zu beruhigen und die Bewegung innerhalb des alten und festen Kirchenchristentums zu halten" (136). Einfluss kam über das aufgeklärte baltendeutsche Luthertum. Eine Agende 1805 beschrieb als Aufgabe der Kirche, "das volle und höchste Hauptziel der Menschen zu erreichen, als da wären Sittlichkeit und Zufriedenheit". Jesu Beispiel soll "uns edel machen" (139).

Kap. VI "Erweckung und Liberalismus" geht von der Herrschaft der Zaren über Finnland seit 1808 aus. Zar Alexander I. schützte die Kirche; er erstrebte die Heilige Allianz mit Preußen und Österreich. Die Herrscher sollten ihre "Untertanen väterlich und gemäß der Lehre der Bibel" regieren (145). Die Kirche war also als "innen- und außenpolitisches Instrument von Bedeutung" (145). Zum 300-jährigen Reformationsjubiläum wurde nach dem Willen des Zaren 1817 der Bischof von Turku zum Erzbischof erhoben. Das Jahr 1848 brachte in Finnland keine Revolution, man weihte eine Glocke mit zwei Bildern: Zar Nikolai I. auf der einen und Martin Luther auf der anderen Seite (147). Die Erweckungsbewegungen in der Mitte des 19.Jh.s blieben unter Kontrolle. Zwischen 1809 und 1869 verhandelte man etwa 30 Klagen vor Gericht (157). 1828 wurde die Universität von Turku nach Helsinki verlegt. Sie gewann bald als Kaiserliche Alexander-Universität europäisches Niveau (169).

Kap. VII informiert über "Die Kirche zur Zeit der Entstehung der Nationalgesellschaft". Der bürokratische Griff des Zarenreiches wurde enger (1719). Die Kirche begann, "sich der finnisch gesinnten und konservativen Nationalbewegung sowie dem vom Pietismus gefärbten Erweckungschristentum anzugleichen" (173). Ein Erlass 1901 sah vor, dass Finnen zum Militärdienst in Truppen einberufen werden konnten, die in anderen Teilen des Zarenreiches stationiert waren. Der Erlass musste in den Kirchen verlesen werden. Die Kirche erschien nun als "Unterstützerin der Nachgiebigkeitsfront" (188). Die orthodoxe Kirche wurde zum "Einfallstor der Russifizierung". 1892 wurde in Viborg ein russisch-orthodoxes Bistum gegründet, "der finnische Senat mußte sich dem Willen der russischen Kirchenbehörden beugen". Viele finnische Orthodoxe lehnten jedoch die "Einheit von Russentum und orthodoxem Glauben" ab (189).

Kap. VIII "Kirche und Gesellschaft in der Krise" nennt die Jahre 1905-1918 "ein goldens Zeitalter für Vereine und religiöse Bewegungen" (190). Erzbischof Johansson lehnte die neuen Bewegungen ab. Für ihn gab es nur die Kirche und "nicht ihre Anpassung an die gesellschaftlichen Veränderungen. Vereine, die zur Cliquenbildung neigten, und Erweckungsbewegungen mit zweifelhaftem Kirchenbegriff verursachten Separatismus und Parteienwirtschaft" (195). Er lehnte auch die Weltkirchenkonferenz des Erzbischofs Söderblom in Stockholm 1925 ab. Die Ökumene hielt er für ein "Zeichen christlicher Kraftlosigkeit" (197). Die Verfassung Finnlands 1919 erklärte die Religionsfreiheit zu einem Grundrecht. Zugleich schrieb sie den öffentlich-rechtlichen Status der Lutherischen Kirche fest. Die lutherische Kirche blieb die "Kirche der breiten Mehrheit des Volkes", weithin anerkannt als "Erzieherin des Volkes und Bewahrerin der bürgerlichen Moral" (200). Minderheitskirchen unterlagen staatlicher Kontrolle.

Im Winterkrieg 1939 war die Kirche eine Säule der Gesellschaft. Sie zeigte sich "als erfahrene seelsorgerische Instanz an der Heimatfront inmitten von Niederlagen und bitteren Verlusten sowie in vorderster Linie bei drohender Gefahr". Der Friede von Moskau 1940 zwang die Kirche noch mehr zum sozialen Dienst (204). Ende Juni 1941 wollte Finnland nach dem Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion in einem "Fortsetzungskrieg" die 1940 verlorenen Gebiete zurück gewinnen. Manche Christen empfanden diesen Krieg als "eine Art Kreuzzug des christlichen Westens gegen den atheistischen Bolschewismus" (205). Man erfuhr aber auch von der Kirchenfeindlichkeit in Deutschland; auch der Widerstand im besetzten Nachbarland Norwegen hinterließ Eindruck in Finnland.

Kap. IX "Vom Wiederaufbau zum Wohlfahrtsstaat" geht von der Niederlage Finnlands im September 1944 aus. Die Kirche blieb auch nach dem verlorenen Krieg volkstümlich. Der Pfarrer begegnete den Menschen im Alltagsleben. "Diakonie gewann an Wertschätzung" (210). Es gab auch Warnungen vor solchem Kurs: Soziale Aktivität dürfe nicht die geistliche Aufgabe übertönen. Um Ausgleich mühte sich Martti Simojoki, der 1959 Bischof des neu gegründeten Bistums Helsinki und 1964 Erzbischof wurde. Innerkirchliche Kritiker an der Demokratisierung der Kirche befürchteten einen Bruch mit der Autorität der Bibel und der Lehre Luthers (213). Die Ordination von Frauen wurde 1976 für möglich erklärt, aber erst 1988 wurden die ersten Frauen ordiniert. Eine neue Übersetzung der Bibel rief zunächst Widerspruch hervor und wurde erst 1992 genehmigt.

Die Kirche Finnlands gehörte von Anfang an zum Lutherischen Weltbund (LWB) und zum Ökumenischen Rat der Kirchen. 1963 kamen zur 4. Vollversammlung des LWB 800 Delegierte nach Helsinki. Erzbischof Simojoki wurde Vizepräsident des LWB. 1970 wurde Professor Mikko Juva, der spätere Erzbischof, Präsident des LWB. Finnland fand Kontakte zu den unterdrückten Kirchen in Ungarn und Estland sowie auch "zur Geburtsstätte der Reformation, der damaligen DDR" (222). Die Kirche verwaltet sich weithin selbst, nur ein kleiner Teil kirchlicher Angelegenheiten wird noch "den Staatsorganen zur Genehmigung und Entscheidung überlassen" (226).

Das Buch schließt mit einer Statistik: Am Ende des Jahres 1999 gehörten 85,2 % der Bevölkerung zur Finnisch-Lutherischen Kirche (229). Die 14 Titel "Quellen und Literatur" sind knapp: Es fehlen z. B. die Bücher von Gert Sentzke sowie die Beiträge von Ingun Montgomery und Pentti Laasonen im Handbuch des Pietismus (Bd. 2, 1995). Die persönliche Anteilnahme der Autoren führt sie manchmal zu einem sympathischen "Wir-Stil" (54.62.75). Das Buch sollte auch in Deutschland einen breiten Leserkreis ansprechen.