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Ausgabe:

Juli/August/2003

Spalte:

782–784

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Blumenthal, Uta-Renate

Titel/Untertitel:

Gregor VII. Papst zwischen Canossa und Kirchenreform.

Verlag:

Darmstadt: Primus Verlag/Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2001. XIV, 376 S. m. 8 farb. Abb. 8 = Gestalten des Mittelalters und der Renaissance. Geb. ¬ 29,90. ISBN 3-89678-198-7.

Rezensent:

Ludger Körntgen

Biographische Darstellungen mittelalterlicher Herrscherpersönlichkeiten erfreuen sich seit etwa zwei Jahrzehnten einer verstärkten und offensichtlich weiterhin ungebrochenen Zuwendung von Verlagen, Autoren und Lesern. Einen beträchtlichen Anteil daran hat die vom Würzburger Mediävisten Peter Herde herausgegebene Reihe "Gestalten des Mittelalters und der Renaissance", die mit dem vorliegenden Band erstmals einen Papst würdigt. Mit Gregor VII. wird dabei gleich eine der zentralen Gestalten der Papstgeschichte überhaupt in den Blick genommen, hat doch dieser Papst nicht nur wie kaum eine andere historische Persönlichkeit seine eigene Epoche geprägt, sondern das Papsttum in einer Weise umgestaltet, die seiner weiteren Entwicklung im hohen und späten Mittelalter den Weg gewiesen hat und sich noch auf das aktuelle Erscheinungsbild des Papstamtes auswirkt.

Die Ausbildung des päpstlichen Primats ist allerdings nicht das einzige Motiv in Kirche und Gesellschaft, das mit dem Pontifikat Gregors verbunden war; auch an den verschiedenen Reformen des religiösen Gemeinschaftslebens hat er Anteil genommen, und noch für weitere Bereiche der an Wandlungen und Neuansätzen reichen zweiten Hälfte des 11. Jh.s gilt das von Blumenthal zustimmend zitierte Urteil Horst Fuhrmanns, dass "mancher Wandel mit Gregors Namen verbunden ist, ohne daß sein Anteil äußerlich und numerisch immer deutlich wird" (15). Damit ist nicht nur die Schwierigkeit angesprochen, die Vorstellungen Gregors präzise in den zeitgenössischen Reformdiskussionen zu verorten und seinen persönlichen Anteil von dem anderer Reformer und besonders seiner Vorgänger und Nachfolger abzugrenzen; für das biographische Interesse noch problematischer erscheint die Gefahr, dass die Persönlichkeit des Papstes ganz hinter den Problemen und langfristigen Auswirkungen seines Pontifikats verschwindet.

Mit Rücksicht darauf hat B. vor allem das Thema in den Hintergrund gerückt, das wohl im Geschichtsbewusstsein zumindest des deutschen Publikums zuallererst mit Gregor VII. verbunden ist: Die Auseinandersetzung mit dem Salier Heinrich IV. und dessen Bußgang nach Canossa. Wie die anderen Probleme des Pontifikats wird dieser Konflikt nicht im chronologisch-ereignisgeschichtlichen Rahmen dargestellt, sondern in verschiedenen systematischen Kapiteln berücksichtigt, vor allem unter den Rubriken "Kaiser, Fürsten und andere Laien" (282-311) sowie "Gregor und Rom: Freunde, Feinde, Mitarbeiter" (312-326).

Chronologisch wird demgegenüber Gregors Werdegang bis zur Papsterhebung dargestellt. Dabei zeigt sich allerdings erneut, wie wenig die Überlieferung zur Herkunft und Karriere des späteren Papstes erbringt. Eine spektakuläre Neuigkeit aber will B. bieten: den Nachweis, dass Gregor bzw. Hildebrand, wie sein Geburtsname lautete, vor seinem Pontifikat nicht Mönch gewesen ist, sondern regulierter Kanoniker, also Angehöriger einer um strengere, am Mönchtum orientierten Lebensführung bemühten Klerikergemeinschaft. Damit erneuert B. eine seit etwa 100 Jahren nicht mehr diskutierte These, wobei sie sich vor allem auf Gregors Zeitgenossen Manegold von Lautenbach stützt, der dem Papst die strengstmögliche Befolgung der regulae canonicae attestiert. Ob darunter tatsächlich, wie B. annimmt, allein die damals verbreitete Auswahl von Regeltexten für Kanoniker verstanden werden konnte, dürfte weiterhin zu diskutieren sein.

Im Kontext Manegolds geht es um Hildebrands Eignung für das Amt eines päpstlichen Legaten, weshalb man den Plural, den Manegold benutzt, im Unterschied zur regula canonica im Singular wohl eher auf die allgemeine kirchenrechtliche Tradition, deren Beachtung ein päpstlicher Legat ja einfordern sollte, beziehen kann. Wenig überzeugend erscheint jedenfalls B.s Versuch, in den systematischen Kapiteln wiederholt Verbindungen zu Gregors hypothetischem Kanonikertum herzustellen: als Generalschlüssel zu Vorstellungen und Zielen des Papstes lässt sich diese These offensichtlich nicht nützen. Auch B.s systematische Darstellung der zentralen Themenfelder des Pontifikats lässt vielmehr erneut erkennen, welche besondere Bedeutung dem apostolischen Selbstverständnis des Papstes zukam, der sich konsequent bis hin zur persönlichen Identifikation auf die Apostel Petrus und Paulus berief und den absoluten Vorrang der Kirche Roms auf die Gründung durch Christus selbst zurückführte.

Angesichts dessen kann man die Frage stellen, ob es überhaupt angemessen und lohnend sein kann, nach der Persönlichkeit Gregors jenseits seines Pontifikats zu suchen; der besondere Gewinn gerade des vorliegenden Werkes dürfte auch weniger in neuen biographischen Erkenntnissen liegen als in der detaillierten, von souveräner Quellenkenntnis gespeisten Diskussion der wichtigsten Forschungsprobleme zum Pontifikat Gregors. Die Grundlage bildet eine vom biographisch-chronologischen zum systematischen Teil überleitende Darstellung der von Gregor abgehaltenen Synoden bzw. Konzilien, deren Themenspektrum die zentralen Fragen der Zeit umfasste (139-201).

Weitere systematische Kapitel gelten den Legaten, die Gregors Vorstellungen und Entscheidungen europaweit Geltung verschaffen sollten (202-219), dem Verhältnis des Papstes zur kirchlichen Hierarchie, vor allem zu den Bischöfen (220-248), der Klosterpolitik (249-281) sowie, nach den schon erwähnten Kapiteln zu den Laien und zur Situation in Rom, dem Tod und vor allem der Heiligsprechung des Papstes. Die erfolgte erst im Jahr 1583, im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit der humanistischen und reformatorischen Wiederentdeckung anti-gregorianischer Schriften (327-338).

Gerade in der systematischen Darstellung wird deutlich, wie wenig dem Pontifikat Gregors und dessen Leitvorstellungen mit systematischer Stringenz beizukommen ist. Wenn es galt, den eigenen Autoritätsanspruch durchzusetzen und das, was er für das Wohl der römischen Kirche hielt, konnte sich der rigorose Kirchenreformer als sehr pragmatisch erweisen; das zeigt sich nicht zuletzt im ambivalenten Verhältnis gegenüber den Laien. Wurde im Zuge der Reformen erstmals deutlicher der Vorrang der Kleriker gegenüber den Laien herausgestellt, so hat gerade der Papst doch immer wieder das Engagement der Laien für die Forcierung der kirchlichen Reformen reklamiert. In diesem Zusammenhang sollte auch der Konflikt mit Heinrich IV. nicht als letzte Konsequenz einer grundsätzlich negativen Einstellung des Papstes zum weltlichen Herrschertum verstanden werden: "Die Angriffe, einschließlich der Absetzung Heinrichs, die auch seinen Anhängern äußerst schwach begründet erschienen sein muß, sind aber keineswegs typisch für Gregor, der einen wachen Sinn für das hierarchische Gefüge seiner Zeit besaß und vor allen Dingen auch realistisch den Wert der Unterstützung der Kirche durch die Laien sehr hoch veranschlagte" (293). Gradmesser für die Wertschätzung durch den Papst war auch im Falle der Könige der Gehorsam gegenüber Gregors Autoritätsanspruch: "Ein gehorsamer Laie war Gregor VII. selbstverständlich wesentlich genehmer als ein ungehorsamer Bischof oder König" (289).

Jenseits der häufig festgestellten Klerikalisierung der Kirche in der Reformzeit, der Aufwertung des Priestertums oder der Entsakralisierung des Herrschertums wird deutlich, dass Gregors päpstlicher Autoritätsanspruch eine Nivellierung aller anderen Rangansprüche mit sich brachte. Das galt nicht zuletzt für die Bischöfe, von denen der Papst Gehorsam und Unterordnung auch unter seine Legaten erwartete. Von der freien Wahl der Bischöfe "hielt Gregor wenig", und "er zögerte nicht, Vorschläge verwaister Diözesen beiseite zu schieben, wenn ihm der Kandidat nicht zusagte" (234). Anders verhielt es sich mit der Durchsetzung der kanonischen Wahl in den Klöstern: Dem Papst ging es dabei nicht nur, wie es Paul Schmid (1926) grundsätzlich für Gregors Bemühungen um die kanonische Wahl angenommen hatte, um den römischen Primat, sondern vor allem "um die Sicherung der einzelnen Klöster vor Beeinträchtigung durch Laien, aber auch durch Bischöfe, und um die Beachtung der Regel" (271). Nur in Einzelfällen wurde die vom Papst garantierte klösterliche Freiheit, die libertas Romana, auch auf die "Exemtion vom Weihe- und Aufsichtsrecht der Bischöfe" (280) ausgedehnt; deren Rechte wurden grundsätzlich nicht angetastet, zumindest, sofern sie "in Eintracht" mit dem Papst lebten (281).

Solche Präzisierungen und Nuancierungen des Forschungsstandes machen den besonderen Wert des Buches aus, das ohne Zweifel die weitere Forschungsdebatte anregen wird. Dem Leser wird allerdings eine grundlegende Vertrautheit mit den Problemen der Epoche und der Forschungsdiskussion abverlangt; das Niveau einer einführenden Darstellung überschreitet das vorliegende Werk, das auf jahrzehntelanger Forschungsarbeit der Autorin beruht, weit.