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Ausgabe:

Juli/August/2003

Spalte:

777 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Lössl, Josef

Titel/Untertitel:

Julian von Aeclanum. Studien zu seinem Leben, seinem Werk, seiner Lehre und ihrer Überlieferung.

Verlag:

Leiden-Boston-Köln: Brill 2001. XVI, 406 S. gr.8 = Supplements to Vigiliae Christianae, 60. Geb. ¬ 96,00. ISBN 90-04-12180-3.

Rezensent:

Simon Gerber

Seit Albert Bruckners Monographie über Julian vom Jahr 1897 (TU 15/3) gilt der Bischof von Aeclanum in Apulien, der 418 abgesetzt wurde, da er sich der Verurteilung Pelagius' und Caelestius' widersetzte, der seitdem im Osten und Westen des Reichs im Exil lebte und dessen Werke meistenteils aus fremden Werken rekonstruiert werden müssen, für mehr als nur eine Fußnote in der Geschichte des Pelagianischen Streits und in der Biographie Augustins. Josef Lössl setzt in seiner Münsteraner Habilitationsschrift diese Tendenz fort. Er würdigt Julian als einen Denker, der nach Herkunft, Milieu, Bildung und theologischem Ansatz gegenüber dem die Geistesgeschichte dominierenden lateinischen Kirchenvater Augustin ganz eigenständig sei. Julian sei keineswegs ein säkularer Rationalist gewesen (so z. B. Adolf von Harnack), vielmehr ein christlicher Humanist von zu seiner Zeit ökumenischer Bedeutung, der schon auf Thomas von Aquino vorausweise.

In sechs Studien von unterschiedlichem Umfang behandelt L. 1. Forschungsgeschichte und Quellenlage (1-18), 2. Geburtsdatum und Herkunftsort (19-43), 3. Jugend und Hochzeit (44-73), 4. das geistige Profil (74-146), 5. Exegese und Hermeneutik (147-249) und 6. Verbannung und Ende (250- 329). Diesem folgt auf zwei Seiten eine Zusammenfassung mit Ausblick. Schwerpunkt der Arbeit sind also zunächst Julians Lebenslauf (die verstreuten biographischen Zeugnisse über Julian werden ausgewertet, darunter das Hochzeitslied Paulins von Nola für Julian und seine Braut Titia), sodann auf diesem Hintergrund Bildung, Milieu, Weltbild, Kenntnisse und philosophische Grundeinstellung Julians, schließlich Julians Einordnung in die Geschichte der Schriftauslegung. Das, was man gemeinhin "Theologie" nennt, also Julians Rezeption des Dogmas, seine Soteriologie, Ekklesiologie, Sakramentenlehre, Ethik und Eschatologie, auch sein "Pelagianismus", wird nicht gesondert behandelt.

Julian gehörte zur Honoratiorenschicht Unteritaliens, war zugleich "kirchlich sozialisiert" (sein Vater Memor war Bischof) und recht umfassend gebildet: Er kannte die Werke Ciceros, Aristoteles' und Vergils und wusste in den Naturwissenschaften erstaunlich gut Bescheid. Er glaubte an Gottes Gerechtigkeit und Güte, an die Willensfreiheit und Vernunft des Menschen. Augustins Erbsündenlehre erschien ihm als manichäische Verteufelung der gut eingerichteten Schöpfung und als unerhörte Neuerung; er stritt wider sie mit aristotelisch-stoischer Logik. Man wird fragen, ob Julians Protest gegen die 180-Grad-Wendung Zosimus' von Rom im Streit um Pelagius und Caelestius tatsächlich nur in der Anfechtbarkeit des Verfahrens seinen Grund hatte (so L. 276-286.331). L. betont zwar zu Recht Julians Eigenständigkeit auch gegenüber Pelagius. Dieser hatte aber andererseits gerade in den aristokratischen Kreisen, denen auch Julian angehörte, die wärmsten Befürworter seiner Ideen gefunden. Eine Verwandtschaft zwischen Julians und Pelagius' theologischen Positionen ist eben doch nicht von der Hand zu weisen.

Julian der Exeget gehört nach L. der antiochenischen Richtung an. Dass die strenge Einteilung der Schriftauslegung im 4./5. Jh. in die alexandrinisch-allegorische und die antiochenisch-historische Richtung in etlichen neueren Arbeiten in Zweifel gezogen wurde, nimmt L. zur Kenntnis, hält aber daran fest (16 f.). Besonders die Verwandtschaft Julians mit Theodor von Mopsuestia möchte L. aufweisen. Dabei beruht seine Kenntnis von Theodors Exegese offenbar wesentlich auf den Arbeiten Rudolf Bultmanns (1912; erst 1984 gedruckt) und Ulrich Wickerts (1962). Theodor nahm den exilierten Julian eine Zeitlang bei sich auf und griff in den Pelagianischen Streit mit einer Schrift zu seinen Gunsten ein; die von Marius Mercator berichtete Verurteilung Julians auf einer Synode in Kilikien unter Zustimmung Theodors dürfte wohl erfunden sein. Bekannt ist auch, dass Julian den Psalmenkommentar Theodors ins Lateinische übersetzt hat. Ein spezifisch antiochenisches Profil der Exegese Julians sieht L. in dem Bemühen, einen Text je aus seinem Zusammenhang zu verstehen, ihn historisch und rhetorisch zu analysieren; statt mit einem mehrfachen Sinn des Textes (Allegorie) werde bei beiden mit einem höheren Zusammenhang der Ereignisse (Typologie) gerechnet, wobei Julian wie Theodor sich sehr zurückhalte, alttestamentliche Prophetien auf Christus zu beziehen. In einem eigenen Abschnitt sammelt L. die exegetischen Ausführungen Julians über die Paulusbriefe aus den polemischen Werken gegen Augustin. L. versucht, auch zwischen Theodors und Julians Anschauungen über Sünde und Gnade eine Verwandtschaft aufzuweisen (158 f.224.276 u. ö.).

Hier wird man aber zurückhaltender urteilen müssen. Es gibt wohl Stellen, an denen Theodor sich "pelagianisch" oder "julianisch" äußert, aber eben auch Stellen, an denen Theodor von einer von Adam her stammenden Sterblichkeit, Schwäche und Sündhaftigkeit des Menschen redet und von der Unfähigkeit des Gesetzes, daran etwas zu ändern (eine ererbte Schuld kennt Theodor allerdings nicht). Über den Kausalzusammenhang zwischen Sünde und Sterblichkeit macht Theodor widersprüchliche Aussagen; anders als Julian lag es dem Mopsuestener offenbar fern, an Aussagen zu diesem Thema den Maßstab logischer Stringenz und Widerspruchslosigkeit anzulegen. Sünde, Schuld, Sterblichkeit und Gesetz machen für ihn die Sphäre des Alten aus, das durch den von Christus heraufgeführten neuen Äon abgeschafft wird.

Die fußnotenreiche Arbeit (über weite Strecken nehmen die Fußtexte mehr als die Hälfte des Seitenumfangs ein) ergibt insgesamt wohl kein grundlegend neues Bild von Julian (man vergleiche zum Forschungsstand den jüngst im Reallexikon für Antike und Christentum erschienenen Artikel von Matthijs Lamberigts [Band 19, 2001, 483-505], den L. nicht mehr einarbeiten konnte), enthält aber zahlreiche detaillierte Untersuchungen, die das Bild abrunden und vertiefen und die neue Forschungen über den Bischof von Aeclanum und großen Gegner Augustins anregen werden.