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Ausgabe:

Juli/August/2003

Spalte:

775–777

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Jakab, Attila

Titel/Untertitel:

Ecclesia alexandrina. Evolution sociale et institutionelle du christianisme alexandrin (IIe et IIIe siècles).

Verlag:

Bern-Berlin-Bruxelles-Frankfurt am M.-New York-Oxford: Lang 2001. XVI, 374 S. 8 = Christianismes anciens, 1. Kart. SFr 86,00. ISBN 3-906767-79-5.

Rezensent:

Wolfgang Wischmeyer

Die neue Reihe Christianismes anciens startet mit einer Arbeit des zweiten Herausgebers Attila Jakab, die auf eine Doktoratsthese der Université Marc Bloch - Strasbourg II von 1998 zurückgeht: Chrétiens d'Alexandrie. Richesse et pauverté aux premiers temps du christianisme (1er-3e siècles). Essai d'histoire sociale. Die ursprünglich drei Bände sind als zwei Bände 1999 bei Presses Universitaires du Septentrion mit 1036 Seiten erschienen. Das ist in der Tat eine Menge, gemacht aus "tous ces petits riens", wie der erste Herausgeber Alexandre Faivre formuliert, der im Vorwort auf seinen Lehrer Cyril Vogel und auf dessen klassische Antwort zur Frühgeschichte des Christentums in Alexandria oder Carthago verweist: "puisqu'il n'y a aucun document, tu ne trouveras rien."

Aus diesem Nichts sind in jüngster Zeit zwei Arbeiten entstanden. Neben dem zu besprechenden Werk muss hier das aus einer Dissertation der University of Michigan hervorgegangene Buch von Christopher Haas, Alexandria in Late Antiquity. Topography and Social Conflict, Johns Hopkins University Press 1997, genannt werden, das zwar seinen Schwerpunkt deutlich im 4.-6. Jh. besitzt, aber doch auch die Zeit davor ausführlich berücksichtigt, wie etwa das Kapitel über die Jewish Community (91-127) zeigt. Dass dies von J. nicht wahrgenommen wird und ebenso z. B. jeder Hinweis auf die einschlägig wichtige Arbeit von C. Andresen, Siegreiche Kirche im Aufstieg des Christentums, ANRW II 23,1,1979, 387-459 fehlt, zeugt von einer sich stetig verstärkenden wissenschaftsfeindlichen Unsitte: Barbara non leguntur - Fremdsprachliches wird nicht mehr gelesen. Oder sollte so etwas das in diesem Fall sehr unglücklich Ergebnis der Reduktion auf "l'essentiel des références" sein?

J. beginnt mit einer kurzen Darstellung der Geschichte und besonders der Sozialgeschichte der Stadt Alexandria ad Aegyptum bis zum Beginn des zweiten nachchristlichen Jh.s. Er referiert kurz zu Topographie und Urbanistik, zur Bevölkerung, zu ihrer Zahl und ihren unterschiedlichen Rechten. Dabei liegt ein besonderer Akzent auf dem alexandrinischen Judentum. Ob man aber für die Zeit nach 117 so ungeschützt von "déclin et fin du judaïsme", ja von einem "fin tragique" und von "la disparition des Juifs d'Egypte et de Alexandrie" (30-34) reden kann? Jedenfalls geht J. damit auch viel weiter als Joseph Mélèze Modrzejewskis Darstellung (Les Juifs d'Egypte de Ramses II à Hadrien (Collection des Nereides), Paris 1991, (Quadrige 247, 21997), auf die sich J. sonst mit Recht beruft.

Das vielfach in der Forschung angesprochene Rätsel der dunklen Urgeschichte des alexandrinischen Christentums sucht J. in gewiss konventioneller Weise, aber durchaus zu Recht damit zu lösen, dass er auf die große Bandbreite des hellenistischen Judentums in Alexandria hinweist. Hier sieht er "un carrefour socio-ethnique, mais aussi intellectuel et spirituel" und gleichzeitig einen "carrefour social (les honestiores de plus tard)", der Basis der Kontinuität zwischen Judentum und Christentum in Alexandria wird. Beweis ist ihm dafür der Übergang des "esprit philonien" in die christliche Tradition und auf Origenes.

Das ergibt nun für J. im Unterschied zur These von Walter Bauer "une communauté plurielle" des Anfangs. Diese Feststellung ist sicher ebenso richtig wie ihre soziale Verortung. Man kann aber mit dem Verf. darüber streiten, ob man dann die Welt so fein säuberlich teilen kann in einen "courant gnostique" mit "maîtres gnostiques" und der nichtgnostischen Strömung einer spiritualisierten Religion, die ihren Ausdruck finden in einem christlichen Schulbetrieb seit Pantainos und Clemens, der - hier wird ein richtiger Gedanke von Gustave Bardy aufgenommen - zur "école officiellement constituée" wird, als Demetrios 202/3 den jungen Origenes "à la tête de la catéchèse" (Bardy) gestellt hat. Was hat das aber für das kirchliche und für das intellektuelle Leben in Alexandria bedeutet und welche Weiterungen hat das aus sich herausgesetzt?

Ausgehend von einer Darstellung zu Leben und Werk der drei Lehrer entwickelt dann J. im 8. Kapitel die ekklesiologischen Vorstellungen und betont mit Albert Faivre, dass bei Clemens zum ersten Mal der Ausbau der Gemeindeorganisation und ihre Funktionsteilung zur "barrière laique" (187 f.) führte. Bei der Theologisierung des Funktionsunterschiedes spielte in weiten Kreisen das Bildmotiv des Jerusalemer Tempelvorhangs eine Rolle. Schärfer noch lässt sich dann bei Origenes auf der einen Seite die Idee eines allgemeinen Priestertums und ihre Spiritualisierung verfolgen und auf der anderen Seite beobachten: "au sein de la communauté chrétienne un group social (le future klêros qui imposera des exigences et des conditions d'admission, afin de se protéger) se définit et s'isole" (209). Aber wieweit ist das typisch alexandrinisch, ganz abgesehen von der Frage der Lokalisierung der jeweiligen Origenesschrift? - Im anschließenden Kapitel wird dann als Exempel die Bischofsgeschichte Alexandrias anhand von Demetrios, Heraklas und Dionysios bis zur Friedenszeit unter Gallien dargestellt.

Ähnlich kritische Fragen nach dem Lokalkolorit und dem Lokaltypischen lassen sich natürlich auch bei der Extrapolierung des Bildes vom täglichen Leben der reichen Christen aus dem Paidagogos des Clemens stellen (257-292). Weiter geht die andere Frage nach dem Verhältnis theologischer und ethischer Texte, die der Autor wirklich sehr fleißig gesammelt hat, zur konkreten Lebenswelt. Die Antwort scheint uns nicht in der Spaltung zu liegen, die J. feststellt: "Avec la vie quotidienne, celle ecclésiastique constitue le second aspect majeur de la vie des chrétiens d'Alexandrie" (292), und auch nicht darin, dass jemand, der ein zweites Mal heiratet - unklar bleibt, um was für eine Art von zweiter Ehe es sich handelt - nicht in der kirchlichen Hierarchie aufsteigen kann (307).

La vie quotidienne, das Alltagsleben mit seinen sehr unterschiedlichen Dimensionen von einer Sozial- zur Mentalitätsgeschichte, ist ein altes Thema der französischen Altertums- und Kulturwissenschaften. J. hätte an solchen Meisterwerken wie von Jérôme Carcopino lernen können, wie man es anfasst. Ohne den Rückgriff auf materielle Überreste geht es nun einmal nicht.