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Ausgabe:

Juli/August/2003

Spalte:

773–775

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Irvin, Dale T., u. Scott W. Sunquist

Titel/Untertitel:

History of the World Christian Movement. I. Earliest Christianity to 1453.

Verlag:

Edinburgh: Clark 2001. XVI, 519 S. gr.8. kart. £ 24,99. ISBN 0-567-08866-9.

Rezensent:

Jörg Ulrich

Es handelt sich ausweislich des Vorworts um eine explizit christliche Christentumsgeschichte (xi), die die Geschichte der Kirche(n) und der Christen bei aller wissenschaftlich gebotenen Distanz zunächst einmal mit grundsätzlicher Sympathie und positiver Anteilnahme begleitet. Dabei zeigt schon der Titel "History of the World Christian Movement", dass der Schwerpunkt auf der Ausbreitung des Christentums in die Welt liegen soll. Eine globale Perspektive sei für den Ansatz des Unternehmens maßgeblich (vii). Berichte aus möglichst vielen und vielfältigen Regionen der Welt, in denen das Christentum geschichtlich Gestalt gewonnen hat, sollen die Darstellung tragen, wobei die gegenüber der ursprünglichen "Botschaft Jesu" je neuen religiösen Ausdrucksformen, Kultformen, institutionellen Strategien und Glaubenspraktiken in ihrem Wandel durch die Jahrhunderte und Regionen in den Blick zu nehmen seien (2). Gerade bei der Darstellung der Anfänge der "Christentumsbewegung" erheben sich aber einige Einwände gegen das oft allzu unkritische Umgehen namentlich mit den biblischen Texten. Bei aller Rücksicht darauf, dass bei einer kurzgefassten Darstellung Detailprobleme außer acht bleiben müssen, ist die allzu homogene Zeichnung der Jesusbewegung und des Urchristentums so nicht akzeptabel.

Der Eingangspassus zeichnet die Entstehung der Jesusbewegung aus dem (in seiner Vielfalt eindrücklich dargestellten) Frühjudentum nach. Ob man die "Jesusbewegung" selbst schon unter die "christlichen Anfänge" zählen sollte (23 f.), ist fraglich; die Bedeutung von Kreuz und Auferstehung wird unterbetont, und die Rekonstruktion der Historie aus den Evangelien ist unkritisch. Auf Widersprüche in den synoptischen Berichten und sich hieraus ergebende Konsequenzen für die Rekonstruktion wird der Leser nicht aufmerksam gemacht. Unkritisch folgt der Passus über die Ausbreitung des Evangeliums zu den Heiden der Apostelgeschichte; dass es z. B. bei den sich in Apg 6 niederschlagenden Konflikten nicht primär um das Witwenproblem gegangen sein kann, wie die Verfasser einfach nacherzählen, ist eigentlich schon bei aufmerksamer Lektüre der Apg in jeweiliger Landessprache evident. Besser gelungen ist die Auseinandersetzung zur Frage, was für die paganen Zeitgenossen an der neuen, in vieler Hinsicht fremden Religion interessant war und worin die Gründe für den "Erfolg" der Christentumsbewegung gelegen haben könnten; hier wird auf knappem Raum ein differenziertes Bild geboten (32- 37), das den Schwerpunkt auf die Attraktivität der sozialen Implikationen der neuen Religion legt. Dass bei allen regionalen und auch theologischen Differenzen das Bekenntnis zu Christus als dem Herrn die einheitsstiftende Mitte des jungen Christentums gewesen sein muss, wird gut herausgearbeitet (42 f.).

Die Darstellung zeichnet sodann die Entwicklung der Kirche im 2. und 3. Jh, nach, wobei das Primärinteresse auf der Ausbreitung des Christentums in die Welt liegt. Dass das junge Christentum trotz der Verfolgungen sich in seiner Missionstätigkeit zunächst ganz an "Rom" gebunden sah, wie die neuere Forschung gezeigt hat, kommt nicht in den Blick. Dafür werden die "klassischen" Themenbereiche (Gnosis, Markion, Montanismus) wie auch die Entstehung des kirchlichen Amtes recht umsichtig dargestellt. Über die innerchristlichen Kanonisierungsprozesse hätte man gern mehr erfahren. Der nächste Hauptteil ("The Age of the Imperial Church") bietet knappe, aber zuverlässige Ausführungen zur Konstantinischen Wende und (bei einigen Kritikpunkten, s. u.) zum arianischen und christologischen Streit. Dass man für Augustin nur gut zwei Seiten übrig hatte, schmerzt (23 2 f.). Dafür kommt das Reich Justinians ausführlich zur Darstellung. Das Auftauchen des Islam und die Folgen bestimmt dann den Eingang des Hauptteils "New Challenges, New Beginnings" (257-381): eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Geschichte des Christentums "unter" dem Islam in den verschiedenen Regionen wie auch mit seiner Entwicklung in Afrika, Spanien, Indien, Zentralasien und China. Für den Westen sind die iroschottische und angelsächsische "Mission" und die Merowinger- und Karolingerzeit recht holzschnittartig dargestellt, während Ostrom und die Ausbreitung des Christentums gen Norden bis zur Christianisierung Islands im Jahre 1000 eine breitere Würdigung erfahren.

Der letzte Hauptteil nimmt unter dem Titel "New Political Horizons" das Hochmittelalter in den Blick. Der Abschnitt wird von den Ereignissen der Kirchentrennung von 1054 und der Eroberung Konstantinopels 1453 eingerahmt. Die Kreuzzüge werden auch in ihrer Motivation differenziert dargestellt. Die von den monastischen Zentren ausgehende spirituelle Erneuerung wird spärlich behandelt, und dass ausgerechnet die Zisterzienser wenig (411) und die Prämonstratenser gar keine Beachtung finden, erstaunt angesichts der expliziten Zielsetzung des Buches, die Ausbreitung des Christentums zum Zentrum der Darstellung erheben zu wollen. Die Scholastik wird als intellektuelle Erneuerung im Westen in den Jahren 1100-1300 der spirituellen Erneuerung in problematischer Weise gegenübergestellt und an ausgewählten Denkern etwas oberflächlich expliziert. Dass am Ende dieses Scholastikkapitels ausgerechnet auf Hildegard von Bingen eingegangen wird (437-439), wirkt chronologisch und inhaltlich plump. Die folgenden Kapitel beschäftigen sich gründlich mit der Entwicklung des Christentums in Byzanz, in Asien unter mongolischer Herrschaft sowie in Nordafrika, ehe ein Blick auf das 14./15. Jh. in West (476- 491) und Ost (492-504) das Werk abschließt, das in einem zweiten Band über die Zeit nach 1453 fortgeführt werden wird.

Aus den Einzelheiten sei folgendes herausgegriffen: Insgesamt kommt in der Darstellung die Theologiegeschichte arg kurz (Augustin). Beim Thema Arianismus ist das Athanasiusbild unkritisch gezeichnet (178 f.), die Kappadokier-Theologie mit Neuinterpretation des Nizänums fällt für den trinitätstheologischen Teil weg (182 f.) und kommt erst im christologischen (186 f.) zum Zuge; der Passus über den christologischen Streit enthält wiederum Unschärfen: dass Jesus Christus sowohl menschlich als auch göttlich ist, wird man nicht als das besondere Profil von Chalkedon ausweisen dürfen (193), und der terminus "in a union of two natures" ist missverständlich, denn in Chalkedon heißt es "en duo physesin", was für die Monophysiten den entscheidenden Anstoß bedeutete (besser 193 unten "distinction in natures without seperation"). Die filioque-Debatte wird nicht deutlich (370), die Linie von Cluny bis Gregor VII. nicht klar (der Begriff "libertas ecclesiae" fehlt). Die Kapitelabgrenzung mit dem Jahr 1000 ist willkürlich (besser nach wie vor 910). Auch in der Scholastik ist einiges zu hinterfragen: dass für Abaelard "sin was fundamentally a problem of the human will" (428) ist missverständlich; überhaupt kommt Abaelards Theologie zu kurz hinter der Liebesgeschichte mit Heloise (427f.). Albertus Magnus und Alexander Halesius fehlen, Thomas kommt sehr verkürzt weg. Die Frauen des 13. Jh.s kommen abgesehen von Klarissen und Beginen gar nicht vor (z. B. Helfta). Institutionengeschichtlich hat die Darstellung Stärken: die politischen Implikationen des Schismas von 1054 werden klar erfasst (392 f.) und auch die des großen abendländischen Schismas (481 f.). Die Sensibilität für frömmigkeits- (z.B. 348 f.) und sozialgeschichtliche (408 f.) Aspekte ist erfreulich.

Wie bei einem Buch angelsächsischer Provenienz nicht anders zu erwarten, ist die Darstellung flüssig geschrieben, spannend zu lesen und trotz aller Komplexität übersichtlich. Durch den Einsatz eines internationalen Fachberatergremiums ist sie hinsichtlich der inhaltlichen Qualität weitgehend abgesichert und auch vor konfessionellen Einseitigkeiten geschützt. Einige komplexe theologische Distinktionen werden gut erklärt (trotz mancher unzulässigen Vereinfachung und Fehler, s.o.). Manchmal finden sich erhellende Querverweise (370). Nicht nur den deutschen Rez. wird stören, dass die Erträge der europäischen Kirchengeschichtsforschung, jedenfalls sofern sie in den jeweiligen Landessprachen veröffentlicht wurden, unberücksichtigt blieben; ob sich hier ein amerikanisch(sprachig)er akademischer Provinzialismus einzuschleichen beginnt, der nicht-englischsprachig publizierte Forschung schlicht ignoriert? Die "recommended readings" am Ende eines jeden Abschnitts, die sich verständlicherweise auf englische Titel beschränken, sind gut ausgewählt und aktuell. Dass die Darstellung bei der Zitierung der Quellen mit Übersetzungen arbeitet, ist verständlich; statt Ancient Christian Writers und Ante-Nicene bzw. Nicene and Post-Nicene Fathers hätte man aber neuere Übersetzungen benutzen müssen. Das Buch hält einige gut ausgewählte Karten und Illustrationen bereit. Register erleichtern die Orientierung, wenn man nur einmal kurz etwas nachschlagen will.

Die Stärke des Buches schließlich ist zugleich seine wichtigste Schwäche: Man kann sagen, dass die "History of the World Christian Movement" einer "Eurozentierung" der frühen und mittelalterlichen Kirchengeschichte zu wehren und ihre "Globalisierung" durchzuführen versucht. Diesen im Prinzip anerkennenswerten und zudem spannend ausgeführten Ansatz haben die Verfasser freilich stellenweise übertrieben, und zwar an den Punkten, an denen Entwicklungen, die zum "christlichen Abendland" führten und gerade das Mittelalter kirchen- und theologiegeschichtlich in kaum überschätzbarer Weise bestimmten, viel zu verkürzt dargeboten werden.