Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2003

Spalte:

759–761

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Thompson, Marianne Meye

Titel/Untertitel:

The God of the Gospel of John.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2001. X, 269 S. gr.8. Kart. US$ 22,00. ISBN 0-8028-4734-X.

Rezensent:

Rainer Metzner

Die vorliegende Studie der in Pasadena (Kalifornien) lehrenden Theologin stellt sich die Aufgabe, ein vernachlässigtes Thema in der johanneischen Theologie aufzuarbeiten. Die Fülle der christologischen Studien zum Johannesevangelium hat bisher die grundlegenden theo-logischen Aspekte des 4. Evangeliums verdeckt. Typisch johanneische Wendungen wie "Sohn Gottes", "Lamm Gottes", "Brot Gottes", "Wort", "Werk Gottes", "mein Vater" und "der Vater, der mich gesandt hat" zeigen, wie stark "theologisch" das johanneische Denken bestimmt ist. Es kommt daher darauf an, die Fragerichtung umzukehren und die Christologie als Dienerin der Theologie aufzuweisen. Die fundamentale Frage des 4. Evangeliums ist, wer Gott ist und wie er sich offenbart hat.

Nach der Einleitung wird die vorgegebene Fragestellung in fünf Kapiteln entfaltet. Das erste Kapitel behandelt die Frage nach der Bedeutung des Wortes "Gott". Die zunächst grundsätzliche semantische Offenheit des Wortes "Gott" (als Prädikat im Sinne von "göttlich" oder als die Einzigartigkeit Gottes beschreibendes Appellativum) muss vom Textzusammenhang her gefüllt werden. Menschen können in biblischer Sicht und jüdischer Tradition Funktionen, Eigenschaften und Handlungen von Gott übernehmen, nicht jedoch die Rolle Gottes selbst. Der 4. Evangelist schreibt Jesus einzigartige göttliche Prärogativen wie Schöpfung, göttliches Wissen, Rettung, Verleihung des Geistes und Gericht zu. Diese Prärogativen übt Jesus als der Sohn aus, den der Vater gesandt hat. Darin erkennt die Vfn. eine inhaltliche Neuformung des Wortes "Gott": Gott ist Gott als Vater des Sohnes. Dieser relationalen Seite entspricht eine funktionale: Die Identität Gottes wird in Begriffen der Werke und Worte Jesu erfasst.

Das zweite Kapitel wendet sich der Vorstellung von Gott als dem lebendigen Vater zu. Im Unterschied zur alttestamentlich-jüdischen Vater-Theologie, die sich auf die Schöpfung, auf Israel und die Gerechten bezieht, werden im 4. Evangelium die Handlungen und Eigenschaften von Gott als Vater auf den Sohn konzentriert. In dem einzigartigen Verhältnis von Vater und Sohn ist es begründet, dass beide ihre Identität als Vater und Sohn in der Beziehung zum anderen erlangen. Die Vfn. verdeutlicht ihre Argumentation an der biblischen Vorstellung von Gott als Lebensspender, an der "realisierten Eschatologie" des 4. Evangeliums, an den Ich-bin-Sprüchen sowie an den Wendungen "der Vater, der mich gesandt hat" und "Der Vater liebt den Sohn". Hier zeigt sich, dass Jesus am ewigen Leben Gottes teilhat, dass das Leben vom Vater her durch den Sohn vermittelt wird und dass Jesus in der Vollmacht Gottes handelt. Das Wirken des Sohnes weist ausdrücklich auf das lebensspendende Wirken des Vaters zurück.

Das dritte Kapitel widmet sich der Frage nach der Erkenntnis Gottes. Hier zeigt die Vfn., dass das enge Vater-Sohn-Verhältnis die Voraussetzung für die Gotteserkenntnis ist. Weil Jesus für das 4. Evangelium die Leben spendende Macht, Herrlichkeit und Gegenwart Gottes verkörpert, ist er auch der Zugang zur Erkenntnis Gottes. Dies wird an den biblischen Motiven von Weisheit, Wort und Herrlichkeit im Zusammenhang mit der Wahrnehmung Gottes durch das "Hören" und "Sehen" verdeutlicht: In Jesus kann man die Weisheit, das Wort und die Herrlichkeit Gottes "hören" und "sehen". Diese Wahrnehmung führt zur Erkenntnis der Einheit des Werkes des Vaters im Sohn.

Im vierten Kapitel wird nach der Rolle des Geistes Gottes gefragt. Die alttestamentlich-jüdische Vorstellung vom Geist als Lebensmacht Gottes bestimmt die Geistaussagen außerhalb der Abschiedsreden (3,3.5 f.34 f.; 6,63; 7,37-39; 20,22 f.). Der Geist ist per definitionem Gottes Lebensmacht und Aktivität (6,63). Hier wird die theo-logische Dimension des johanneischen Geistbegriffes deutlich. Der Geist wirkt durch den Sohn, der das Leben Gottes durch die Gabe des Geistes weitergibt. In den Abschiedsreden ist der Geist-Paraklet eine vom Vater unterschiedene Figur, die aber ebenso auf den Empfang des Lebens bezogen ist, weil das Werk des Parakleten darin besteht, von Jesus als dem, der die Worte des Lebens hat, zu zeugen. Gott macht seine Identität als Quelle des Lebens durch das Werk des Sohnes und das Werk des Geistes bekannt, so dass in allen dreien, im Vater, im Sohn und im Geist, die Einheit des göttlichen Lebens gegenwärtig ist. Die Vfn. spricht hier von einer "unique divine identity of God" (187). Die Geistvorstellung des 4. Evangelisten steht im Dienste der spezifisch theozentrischen Akzentuierung des Evangeliums.

Das fünfte Kapitel behandelt die Gottesfrage im Kontext der Verehrung Gottes. Im Gegensatz zum frühen Judentum bindet Johannes die wahre Verehrung Gottes nicht an Tempel, Schrift und Ritus, sondern an den Sohn Gottes, in dem sich Gott vollständig geoffenbart hat, und an den Geist, der in die wahre Gottesbeziehung und Anbetung Gottes einführt (4,23 f.). Damit stellt Johannes eine neue Orientierung für die Anbetung Gottes vor. Diese Neuorientierung konnte aus jüdischer Sicht als eine den biblischen Monotheismus bedrohende ditheistische Auffassung verstanden werden. Die Vfn. macht deutlich, dass der 4. Evangelist Jesus nicht als einen "zweiten Gott" verstanden hat, sondern als vollgültigen Offenbarer Gottes. In diesem Sinne ist das Bekenntnis des Thomas "mein Herr und mein Gott" (20,28) zu verstehen. Der Sohn ist nicht der Vater, aber er tut immer das Werk des Vaters. Weil Jesus wahrhaft das Leben Gottes in sich hat, wie es der Vater hat, der es ihm gegeben hat, kann er auch zum "Gegenstand" göttlicher Verehrung gemacht werden. Er kann wie der Vater göttlich verehrt werden, aber nicht als einer, der anstelle Gottes verehrt wird, sondern als einer, durch den Verehrung auf Gott gerichtet wird. Jesus nimmt nicht die Stelle Gottes ein, sondern er offenbart das Wort, die Gegenwart, die Herrlichkeit und das Leben Gottes.

Die Zusammenfassung bündelt die Ergebnisse und verfeinert sie durch einige Überlegungen zur Gattung des Evangeliums. Das Evangelium unterstreicht als Bericht von der Begegnung Gottes mit dem Menschen durch Jesus die Theozentrik des johanneischen Denkens. Abschließend wird das Verhältnis von Christologie und Theologie in der Weise bestimmt, dass für das johanneische Denken zwei konzentrische Kreise bestimmend sind, wobei der christozentrische Kreis im größeren theozentrischen Kreis liegt und sein Zentrum mit dem größeren theozentrischen Kreis teilt. Das 4. Evangelium beabsichtigt, seine Leser durch Christus zu Gott zu führen. Daher darf die Christologie nicht neben, sondern muss in der Theologie verhandelt werden.

Die Studie zeigt in schöner Weise, wie einzelne zentrale Themen des Johannesevangeliums auf ihre theo-logische Grundaussage hin gelesen werden können. Erhellend sind auch die konstanten Anbindungen an die alttestamentlich-jüdische Literatur und ihre Vorstellungen von Gott als Vater, als Schöpfer und Quelle des Lebens, von Gott als Weisheit, Herrlichkeit, Geist u.a., die deutlich machen, woher Johannes seine Gottesvorstellung bezieht und wie er sie in den Entwurf seiner Jesusgeschichte einbindet. Die fundamentale Bedeutung des Lebensbegriffes im Johannesevangelium, der in der biblischen Tradition an Gott gebunden ist und bei Johannes in das Wirken des Sohnes und des Geistes eingezeichnet wird, zeigt, wie sehr die johanneische Christologie und Pneumatologie vom Gottesverständnis her geprägt ist ("The God of the Gospel of John is the God of life" [230]). Das Motiv der Studie, die bisher in der Forschung vernachlässigte Theo-logie des 4. Evangeliums aufzuwerten, hat von daher ohne Zweifel seine Berechtigung. Allerdings scheint es wenig sinnvoll, das kritisierte Modell "Christozentrik" durch ein Modell "Theozentrik" zu ersetzen. Wenn es richtig ist, dass der Vater, der Sohn und der Geist nur in ihrer Beziehung zueinander zu verstehen sind, dann sollte man weder von einer Theozentrik noch von einer Christozentrik, sondern von einer "trinitarischen" Rede von Gott im 4. Evangelium sprechen (vgl. dazu M. Theobald: Gott, Logos, Pneuma. "Trinitarische" Rede von Gott im Johannesevangelium, in: H.-J. Klauck [Hrsg.], Monotheismus und Christologie [QD 138], Freiburg u. a. 1992, 41-87).

Kritisch anzumerken ist, dass die Vfn. ihre Literaturauswahl fast ausschließlich auf den englischsprachigen Raum beschränkt. Die oben genannte Studie von M. Theobald bietet wichtige Einsichten zum jüdischen Monotheismus und zur Antwort des Johannes auf den jüdischen Vorwurf des Ditheismus, zur theo-logischen Bestimmtheit der Christus- und Geistaussagen im 4. Evangelium und zur trinitarischen Explikation des Evangeliums als Anleitung zu wahrer Gotteserkenntnis, die die im Ganzen erhellende und kenntnisreich geschriebene Studie der Vfn. bereichert hätten.