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Ausgabe:

Juli/August/2003

Spalte:

758 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schmitt, Tassilo

Titel/Untertitel:

Paroikie und Oikoumene. Sozial- und mentalgeschichtliche Untersuchungen zum 1. Clemensbrief.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2002. VIII, 161 S. gr.8 = Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche, 110. Lw. ¬ 58,00. ISBN 3-11-017257-7.

Rezensent:

Wolfgang Schenk

Die Aufnahme dieser Untersuchungen zum 1Clem in diese Reihe sieht der Verfasser "als Althistoriker und Katholik" als "ein Geschenk großherziger Ökumene" (V), und der Leser dankt es dem Herausgeber. Denn die derzeit verbreitete Grundannahme, dass ein gegenüber dem Imperium freundlich gestimmter Brief vorliege, wird entschieden auf den Prüfstand gestellt. Die Argumentationen und Analysen sind darüber hinaus auch für Arbeiten in anderen Bereichen methodisch anregend und vorbildlich: "Wie jede historische Analyse ist auch diese notwendig nicht nur von den Kenntnissen und der Sorgfalt des Arbeitens, sondern auch von den theoretischen Vorentscheidungen abhängig. Wie aber kann man verhindern, daß diese Standortgebundenheit nicht bereits die Ergebnisse maßgeblich präjudiziert? Dazu genügt es nicht, über die eigenen Voraussetzungen nachzudenken und diese im Hinblick auf kritische Nachfragen offenzulegen. Genauso wichtig ist es, so gut es geht, den inneren und äußeren Zusammenhang der untersuchten Quellen, Intra- und Intertextualität und die pragmatischen und grundsätzlichen Handlungschancen und Handlungsintentionen der Autoren und Akteure sowie die Regelmäßigkeit oder Besonderheit zu bestimmen" (22). In der Sache geht es auf Schritt und Tritt darum zu zeigen, "daß das Selbstbewußtsein des Briefes weder in einem theologischen noch in kultursoziologischem Sinn als römisch erwiesen werden kann. Es ist Zeit, einen Weg der Forschung entschieden zu vermeiden, der in eine Sackgasse führt" (99).

Nach der problemgeschichtlichen Einführung angesichts der Forschungslage (1-6; zur Datierung 117-122) wird zuerst die These von der "Kirche in Rom als Autorin des 1. Clem" begründet (7-21). Es ist als ein durchgehend im Wir-Stil verfasstes Kollektivschreiben anzusehen (Korintherbrief der römischen Gemeinde); alle Bezüge auf einen Einzelautor "Clemens" sind nachträglich und zweifelhaft. Die grundsätzliche Einstellung zum Imperium (21-60) ist Fremdheit (programmatisch im Präscript: 135-137). Schon 1,1 ist auf Verfolgungen der römischen Gemeinde zu beziehen und weist nicht auf innergemeindliche Konflikte hin (22-25.122-125). Das Ordnungsmodell "Heer" Kap. 37 bezieht sich nicht auf das römische, sondern auf das messianische (26-36). "Unsere Führer" bezeichnet immer und nur die innerkirchlichen. Das gilt ebenso für das Gemeindegebet Kap. 59-61 als Höhepunkt der Argumentation (36-60). Auch aus ihm kann darum keine Staatsfreundlichkeit abgelesen werden, da hier keine Fürbitte für die weltliche Obrigkeit eingelesen werden darf. Die Autorität und Lösungskompetenz der Autoren wird nicht von ihrem Ort in der Welthauptstadt abgeleitet, sondern aus der Überzeugungskraft ihrer Argumentation mit ihrer "Theologie der Oikoumene" (81-95). Der Presbyter-Konflikt in Korinth (Kap. 2; 56) ist exemplarisch, so dass die Ekklesiologie der Kommunikation "dazu beiträgt, ein allgemeines zeitgenössisches Defizit zu beheben" (5). Ist "die Kirche in Rom auf dem Weg zur Römischen Kirche" (97-113)? Der Rückgriff auf gesellschaftliche Selbstverständlichkeiten erfolgt nicht unkritisch und unbewusst aus einer Romidee, sondern in kritischer Auseinandersetzung und bewusster Reflexion und Auswahl von Bildungsgütern nach den vorgegebenen christlichen Maßstäben. Nicht die Autorität der Kirche in Rom bestimmte den Erfolg des ältesten römischen Schreibens. Wohl aber trug dessen breite Rezeption (Abschriften, Gottesdienstlesung, Argumentationslieferant) als Humus zum Werden der Römischen Kirche bei.

Auf die Zusammenfassung (115 f.) folgen neun Anhänge (117-137) zur Entlastung der vorherigen Anmerkungen. Der sprachliche Reichtum der Beobachtungen wird durch die Indices (151-161: Stellen, Namen, Begriffe und Sachen) vorzüglich erschließbar. Das Literaturverzeichnis (139-149) lässt die Fruchtbarkeit dieser Studie aus der Hand eines Altphilologen gegenüber manchen Fehleinschätzungen von Theologen nochmals deutlich hervortreten.