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Ausgabe:

September/1998

Spalte:

877–879

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Spener, Philipp Jakob

Titel/Untertitel:

Die Werke Philipp Jakob Speners. Studienausgabe. In Verbindung mit B. Köster hrsg. von K. Aland. Band I: Die Grundschriften, Teil 1.

Verlag:

Gießen: Brunnen 1996. XXVI, 562 S., 3 Faks. gr.8. Lw. DM 178,-. ISBN 3-7655-9401-6.

Rezensent:

Dietrich Blaufuß

Seit 1979 hat sich die Quellenlage zu Spener - spät genug - nicht wenig verbessert. Insgesamt 18 (Teil-)Bände Spener-Schriften sind publiziert, dabei P. Grünbergs dreibändiges Standardwerk zu Spener (1893/1906) und sechs Bände Briefe und Gutachten - im Durchschnitt Jahr für Jahr ein Band. All diese Texte erschienen in seit 1996 drei verschiedenen Ausgaben. Eine Fülle von Spener-Texten ist dem Studienbetrieb ebenso wie der Forschung leichter zugänglich. Manche Untersuchung zu Spener gibt Zeugnis davon. - Nun beginnt 1996 die seit 1979 dritte der genannten drei Spener-Ausgabe zu erscheinen: "Die Werke Philipp Jakob Speners. Studienausgabe". Kurt Aland hat im Jahr vor seinem Tode (13.4.1994) die Ausgabe Beate Köster anvertraut. Der Weg zur jetzt beginnenden Studienausgabe war lang und führte über die Stationen einer großen Ausgabe, einer 21bändigen Faksimile-Ausgabe mit Bänden für handschriftliche Texte und Register, einer großen kritischen Ausgabe, einer auf 10 Bände gekürzten Edition hin zur nun schließlich dreibändigen Studienausgabe.

Die Gründe und Hintergründe dieses Weges sind ein Kapitel Nachkriegs-Editions- und Kommissionsgeschichte. Diverse Irritationen auf dem Feld nötiger Kooperation und Koordination bei sich berührenden und überschneidenden Projekten würden zutagetreten.

Die beobachtende Öffentlichkeit war mitunter mehr oder weniger verunsichert darüber, daß "Philipp Jakob Spener, nach Luther (und selbst vor Schleiermacher und Karl Barth) de(r) wichtigste ... und am meisten wirkende ... evangelische Theologe der Neuzeit" (so IX), keine solide, die Kräfte zusammenführende wissenschaftliche Ausgabe erhalten sollte. In der "Einleitung" geben Aland und Köster Auskunft über die am Tage liegenden Weichenstellungen auf dem Weg zur Studienausgabe. Zusammenfassende Überblicksdarstellungen des Rez. (Pietismus-Forschungen. 1986, 1-51) und L. v. Padbergs (JETh 8, 1994, 85-117) entfalten diese etwas zerklüftete Problemlage.

Drei Blöcke wird die Studienausgabe enthalten: "Grundschriften", "Der christliche Glaube" und "Das christliche Leben". Unter der Voraussetzung, es möge "in den Vordergrund gestellt werden, was uns Spener heute zu sagen hat" (XI), ist das eine angemessene Leitlinie. In einer konzentrierenden Spener-Präsentation können die grundlegenden Texte wie die "Pia Desideria" samt den wichtigsten damit zusammenhängenden Schriften nicht fehlen. Das gilt für jede Spener-Ausgabe, wie Aland auch ausdrücklich festhält (X; die Überschneidungen mit der Beyreutherschen Ausgabe werden in StudA III geringer). Die beiden folgenden Blöcke ,Glauben - Leben’ markieren Speners eigene Themenzuspitzung seiner beiden großen Predigtreihen in Dresden "Evangelische Glaubens-Lehre" und "Evangelische Lebens-Pflichten", die mit Recht als Speners dogmatischer und ethischer Entwurf bewertet werden. (Sie erschienen 1986 und 1992 als Bde. III.1/1-2 und III.2/1-2 in Ph. J. Spener: Schriften.) Daß hier immer Wünsche offen bleiben - wenn man nur an Spener als Seelsorger denkt! -, braucht nicht zu verwundern. Es ist denkbar, daß gerade dieser Seite in einem Ergänzungsband Raum gewährt wird - vielleicht im nur auf den ersten Blick nicht naheliegenden Zusammenhang mit Spener als Kontroversisten, welcher Gesichtspunkt durch jüngst abgeschlossene/erschienene Untersuchungen (Gummelt, Gierl) neu ins Blickfeld rückt.

Eröffnet wird der Band mit Speners eigenhändigem Lebenslauf, noch in Frankfurt/Main geschrieben (47) und mit Recht zusammen mit "Der Klagen ... Mißbrauch" 1684/85 den Rahmen der Grundschriften bildend. Autobiographische Äußerungen Speners verdienen die Aufmerksamkeit unter verschiedenen Gesichtspunkten, nicht zuletzt im Blick auf das Selbstverständnis in Fragen seines Beitrages zu einer Reform der Kirche (45,28 f.: "... zur Besserung bey mir die Krafft und nöthige Gabe nicht gefunden ..."). Die "Pia Desideria" bilden den Hauptteil des Teilbandes. Ins Auge springen drei Unterschiede zu Alands schon 1939 als Dissertation vorgelegter Ausgabe, die in drei weiteren Auflagen und nicht wenigen Nachdrucken weite Verbreitung findet. Die beiden Gutachten der Schwager Johann Heinrich Horb und Joachim Stoll sind enthalten. Die lateinische Ausgabe von 1678 ist voll im Paralleldruck geboten. Der erst seit 1678 (deutsch 1680; vgl. Spener: Schriften I. 1979, 491-536) beigegebene Anhang zur Bekehrung der Juden als einem Ereignis der sich ankündigenden "besseren Zeiten für die Kirche Gottes auf Erden" (352-397; 1686/88 in der "Glaubens-Lehre" fortgeführt: s. Spener: Schriften III.1/1, 46-49; vgl. Rez. in PuN 14, 1988, 98-101) ist die gegenüber 1939 ff. dritte Erweiterung der vorliegenden Pia-Desideria-Ausgabe. Das ist ein respektabler Zuwachs an Texten und macht gerade in neuerer Zeit diskutierte Fragen zu den Anfängen und zu Grundprägungen des Pietismus auch gegenüber der Ausgabe von 1979 durch die Kommentierungen nochmals besser nachprüfbar. Nicht übersehen sei der Anteil an Fremd-Texten (258-350; auch 48-53 C. H. v. Canstein). Das wird nochmals besonders zu beachten und zu analysieren sein im Zusammenhang des dritten Titels dieses Teilbandes, des "Geistlichen Priestertums" (v. a. 476-549; Luther-Passus 479-509).

Der Spenerforschung stellen sich hier manche Fragen, wenn man weiterhin den Wurzeln der Theologie Speners nachspürt. Man möge nur die von Spener angezogenen Gewährsleute für seine Stellung zur Judenbekehrung zusammennehmen mit den zitierten Autoren in "Geistliches Priestertum" - von den in den Briefen zitierten Schriften ganz zu schweigen (die in "Ph. J. Spener: Briefe" 1992 ff. leider nicht in einem gesonderten Verzeichnis angeführt werden wie in der Leibniz-Akademie-Ausgabe).

Der Inhalt dieser drei Schriften, am meisten natürlich bezüglich der "Pia Desideria" in der Forschung behandelt, braucht hier nicht im einzelnen wiedergegeben zu werden. Hier werden - endlich - wichtige und wirkende Texte Speners wissenschaftlich bearbeitet und verantwortet präsentiert. Daß dies nun in Form einer "Studienausgabe" geschieht, signalisiert die Einladung, sich auf die Texte einschließlich ihrer jeweiligen Überlieferung einzulassem. Das ist nicht eine Aufteilung in Formales und Inhaltliches. Inhaltlich gewichtige Schriften haben nicht selten eine breite Überlieferungsgeschichte. Der Aufgabe, Texte einschließlich ihrer Überlieferungsgeschichte durchschaubar zu präsentieren, stellt sich diese Edition. Die Auflagen/Ausgaben werden nachgewiesen, ein doppelter Apparat, Textkritik und Sacherläuterungen enthaltend, ist erarbeitet. Genaue Zitierungen sind durch Zeilenzähler möglich. Bezugnahmen auf die alten Ausgaben sind durch deren am Rand angebrachte Paginierungen mühelos in vorliegender Edition zu finden. - Die Einführungen zu den drei Schriften wünscht man sich oft dichter an den Texten, gelegentlich auch Hinweise aus der Literatur aufgreifend. Zum Beispiel wäre man durch eine kurze Auswertung der S.412 genannten Briefe, aber auch einiger zusätzlicher (aus den Spener: Schriften XVI. 1989, 80* zusammengestellten) das "Geistliche Priestertum" betreffender Schreiben auf eine Reihe von Korrespondenten gestoßen, so J. L. Hartmann (s. 428,18-22), A. Fritsch, Gottfried Wegner, NN/Gießen, möglicherweise B. Köpke und J. W. Petersen (ihm werden am 4.10.1678 fünf Exemplare gesandt). Auch wären Spuren der frühen Verbreitung des "Geistlichen Priestertums" zu nennen gewesen: Niederlande (?), Colmar (2 Personen), an Schwarzburg angrenzendes Gebiet, Gießen (?), Brandenburg (?). Auch weist das im März 1678 berichtete, äußerst kritische Echo des zu der Zeit mit J. F. Mayer und Caspar Sagittarius in literarischer Fehde liegenden Marc Schoenmann SJ (1614 - Erfurt 1683) unter Umständen eine interessante Spur. Doch verhindern solche Defizite nicht das Studium der Texte selbst.

Drei weitere Wünsche seien genannt: Auf Text- und Sachanmerkungen hätte man durch Buchstaben- und Zifferanmerkungen im Text selbst aufmerksam machen können (was den Blick gezielt in die Apparate lenken würde). Bei den "Pia Desideria" wären die entsprechenden Seiten und Zeilen der Ausgabe in KlT 170 nun hier auf Seite 86 bis 254 und 396 bis 398 [gerade Seiten] jeweils am rechten Innenrand der Balkenüberschrift anzubringen gewesen; das hätte ein sofortiges Auffinden von KlT-Zitaten ohne den Umweg über den (verdienstvollen!) Seiten-Schlüssel auf Seite XXV f. ermöglicht. Auch hätte man die lange erarbeiteten, gegenüber der deutschen Fassung begegnenden Varianten der lateinischen Ausgabe kennzeichnen sollen (s. Aland: Spener-Studien. 1943, 11-21).

Im Kontext der forschungsgeschichtlich, wissenschaftspolitisch und editionswissenschaftlich alles andere als eindeutigen Lage gilt es, sich der nun begonnenen Spener-Studienausgabe mit ruhiger Vorsicht und geduldiger Bedachtsamkeit zuzuwenden. Es kann kein Zweifel sein, daß hier Spener-Texte kritisch erforscht und sachlich erläutert vorgelegt sind. Das hat seit 1939 niemand außer - schon damals - Kurt Aland in Angriff genommen. Der Fortschritt der Studienausgabe, gerade auch in der parallelen Präsentation der lateinischen Version der "Pia Desideria", aber auch der erläuterten Edition der beiden Anhänge von Horb und Stoll, ist ja nicht wenig. Und der Weg in ein breites Feld von theologischer und aszetischer Literatur, die Speners "Geistliches Priestertum" heranzieht, ist in einer an Umfang und Qualität nicht oft zu findenden Weise geebnet.

Ausdrücklich im Vorwort gewürdigte Hilfe erfuhr dieser Teilband auch durch Gerhard Schäfer (Stuttgart) und Martin Brecht (Münster).