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Ausgabe:

Juli/August/2003

Spalte:

748–751

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Miller, Patrick D.

Titel/Untertitel:

Israelite Religion and Biblical Theology. Collected Essays.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 2000. 715 S. m. Abb. gr.8 = Journal for the Study of the Old Testament. Supplement Series, 267. Geb. £ 60.00. ISBN 1-84127-142-X.

Rezensent:

Jürgen van Oorschot

Religion und Theologie stehen in wissenschaftlicher Debatte und universitärer Praxis für unterschiedliche Zugänge zu ein und demselben Phänomen, aber auch für kämpferisch markierte Alternativen. Wenn ein Alttestamentler, der drei Jahrzehnte eine rege akademische Forschungs- und Publikationstätigkeit in Princeton mit einer pastoralen Aufgabe verband, nunmehr Aufsätze aus den letzten 35 Jahren vorlegt, verwundert der Versuch einer komplementären Zuordnung religionsgeschichtlicher, philologischer und theologischer Perspektiven nur wenig. Mit dezidiert theologischem Interesse fragt der Professor für Alttestamentliche Theologie am Departement of Biblical Studies des Princeton Theological Seminary nach den altorientalischen Zusammenhängen, auf deren Grundlage Israels Religion und Theologie sich entwickelte. Die insgesamt 41 Beiträge lassen deutlich drei Interessen- und Forschungsschwerpunkte erkennen: der Alte Orient als Kontext der biblischen Schriften, Psalmen und Psalter sowie die Theologie des Alten Testaments.

"Part I The Bible In Its Near Eastern World" versammelt elf Beiträge, von denen sich die ersten sieben mit den Quellenfunden aus Ras Schamra/ Ugarit und ihrer Bedeutung für die alttestamentliche Exegese beschäftigen: "Fire in the Mythology of Canaan and Israel" (1965), 18-23; "El the Warrior" (1967), 24-44; "El, the Creator of Earth" (1980), 45-50; "The MRZH Text" (1972), 51-68; "Aspects of the Religion of Ugarit" (1987), 69-83; "Prayer and Sacrifice in Ugarit and Israel" (1988), 84-100; "Animal Names as Designations in Ugaritic and Hebrew" (1970), 101-114. Eine komparative ("Eridu, Dunnu, and Babel: A Study in Comparative Mythology" [1985], 115-141), zwei wissenschaftsgeschichtliche ("Israelite Religion" [1979], 142-181; "Wellhausen and the History of Israel's Religion" [1982], 182-196) und eine im engeren Sinn religionsgeschichtliche Untersuchung zu den Göttinnen in Israel ("The Absence of the Goddess in Israelite Religion" [1986], 197-207) zeigen die Breite der Interessen des Vf.s.

Weitere elf Beiträge wenden sich in Part II Psalmen und Psalter zu. Einer Studie zu "Psalms and Inscriptions" (1981), 210-232, folgen drei Aufsätze zur hebräischen Poesie ("The Theological Significance of Biblical Poetry" [1994], 233-249; "Meter, Parallelisms, and Tropes: The Search for Poetic Style" [1984], 250-258; "Poetic Ambiguity and Balance in Psalm 15" [1979], 259-268) und vier weitere zu Psalmengruppen und Psalter ("The Beginning of the Psalter" [1993], 269-278; "Kingship, Torah Obedience, and Prayer: The Theology of Psalms 15-24" [1994], 279-297; "Psalm 73 as Canonical Marker" [1996], 298-309; "The End of the Psalter: A Response to Erich Zenger" [1998], 310-317). Die Eigenart des Forschers und Theologen M. wird auch in den drei abschließenden Artikeln zu den Psalmen deutlich, in denen er Psalter und Deuteronomium in ein innerbiblisches Gespräch bringt ("Deuteronomoy and the Psalms: Evoking a Biblical Conversation" [1998], 318-336), Formgeschichte und Theologie verknüpft ("Prayer as Persuasion: The Rhetoric and Intention of Prayer" [1993], 337-344) oder Bonhoeffers Umgang mit den Psalmen beleuchtet ("Dietrich Bonhoeffer and the Psalms" [1994], 345-354).

Der bei weitem umfänglichste "Part III Old Testament Theology" umfasst 19 Aufsätze zu zentralen Text- und Themenbereichen des Alten Testaments: "Syntax and Theology in Genesis 12.3a" (1984), 492-496, vier Beiträge zum Deuteronomium ("The Way of Torah"[1987], 497-507; "The Wilderness Journey in Deuteronomy: Style, Structure, and Theology in Deuteronomy 1-3" [1990], 572-592 ; "God's Other Stories: On the Margins of Deuteronomic Theology" [1999], 593-602) sowie drei zur Prophetie ("The World and Message of the Prophets: Biblical Prophecy in its Context" [1995], 508-525; "The Prophetic Critique of Kings" [1986], 526- 547; "Toward a Theology of Leadership: Some Clues from the Prophets" [1992], 658-666). Die stärker thematisch angelegten Aufsätze spiegeln einerseits das Forschungsinteresse M.'s, andererseits die alttestamentlichen Debatten der zurückliegenden Jahrzehnte: "God the Warrior" (1965), 356- 364; "God and the Gods: History of Religion as an Approach and Context for Bible and Theology" (1973), 365-396; "The Divine Council and the Prophetic Call to War" (1968), 397-405; "The Sovereignty of God" (1986), 406-421; "Cosmology and World Order in the Old Testament. The Divine Council as Cosmic-Political Symbol" (1987), 422-444; "Prayer and Divine Action" (1998), 445-469; "Creation and Covenant" (1995), 470-491; "Israel as Host to Strangers" (1988), 548-571; "The Canon in Contemporary American Discussion" (1988), 603-628; "Faith and Ideology in the Old Testament" (1976), 629-647; "The Old Testament and Christian Faith" (1993), 648-657; "Judgement and Joy" (2000), 667-687. Ein Stellen- und Personenregister erschließen den umfänglichen Band.

In mehreren Studien entfaltet M. die zentrale Rolle, welche die Vorstellung vom "divine council" als "the mythopoetic conception of the heavenly assembly" (419) spielt. Wird Gott alttestamentlich als König, Richter und Krieger angesprochen, so bindet das Konzept der himmlischen Ratsversammlung diese politischen Kategorien zusammen ("The Sovereignty of God" [1986], 406-421). Göttliche Herrschaft wird in dieser Weise als "a transcendent ordering and governing of the universe" ausgesagt, "of which all human governments and institutions are a reflection" (419). Analog zum irdischen Herrscher agiert Jahwe darin als König und Rechtsherr (414-416). Das Symbol des Kriegers steht dabei für die göttliche Macht, die im Exodus und im Sieg Christi biblisch ausgesagt wird (411). Die Prophetenrolle entwickelt M. ebenfalls von dorther. Der Prophet agiert "as mediator of the relationship between Yahweh and the human king, the relationship between divine government and human government" (413). Inhaltlich kündet er von Gottes Gerechtigkeit und seinen Rechtsentscheiden (415). In der Trias von König, Richter und Krieger bzw. "divine assembly, kingship, and prophecy" (412) erschließen sich die entscheidenden Symbole der israelitischen Religion sowie der biblischen Gottesrede.

An anderer Stelle zeichnet er die Funktionsweise dieses "cosmic-political symbol" (423) nach ("Cosmology and World Order in the Old Testament. The Divine Council as Cosmic-Political Symbol" [1987], 422-444). Damit erhebt er diese Vorstellung in den Rang einer synthetischen Kategorie, die sowohl für die Religionsgeschichte als auch für die Theologie eine Zusammenschau vorbereitet. Jahwe, der göttliche Herrscher vom "divine council" her, macht für M. die besondere Rolle der Boten Gottes im Pentateuch und im Deuteronomistischen Geschichtswerk ebenso verständlich wie diejenige der Propheten. In der Rede von Gottes schöpferischem Tun zur Grundlegung der Welt (Gen 1,26; Gen 3,22; Dtn 32) bedient Israel sich genauso dieser Vorstellung wie bei der Beschreibung der kosmischen Ordnung (Ps 82) und Gerechtigkeit Gottes bzw. ihrer Problematisierung (Hi 1-2). Bis hin zum letztendlichen Ziel und Sinn der Schöpfung, dem Lob Gottes (Jes 6; Ps 103,2-22; 148,2; 29,1), erweist sich dieses Symbol in seiner integrativen Kraft. Damit kommt ihm nicht nur eine religionsgeschichtliche Bedeutung als Bindeglied zwischen altorientalischer Mythologie wie Kosmologie und Altem Testament zu, sondern auch eine theologische. Die Grundlinie der Argumentation M.s wird durch neuere Arbeiten zur Traditions- und Religionsgeschichte, wie die von F. Hartenstein1, gestützt.

Die in den gerade umrissenen Zusammenhängen sichtbare Befruchtung von Religionsgeschichte und Theologie des Alten Testaments fokussiert M. an anderen Stellen programmatisch ("Israelite Religion" [1979], 142-181; "God and the Gods: History of Religion as an Approach and Context for Bible and Theology" [1973], 365-396).

Dabei lässt er sich durch die Religionsgeschichte in das Zusammenspiel von Kontinuitäten und Diskontinuitäten zwischen Jahwe und den Göttern einweisen, das er dezidiert auch als "theological datum" (393) versteht. Systematisch-theologisch müsse der israelitische Jahwe der Eisenzeit als der in Jesus Christus geoffenbarte Gott gedacht werden. M.s religionsgeschichtliche Synthesen, die sich begrifflich oft auf der Grenze zu einer alttestamentlichen Theologie bewegen, bereiten diese christlich-theologische Arbeit vor. "Yahweh out of the Gods", der als Gott Israels religionsgeschichtlich selbstverständlich eine Herkunft und somit einen Anfang hat, aber theologisch gesprochen als Gott ohne Anfang ist (378 ff.), "The Gods in Yahweh" als Formel für die integrativen Tendenzen der kanaanäisch-israelitischen Religionsgeschichte mit einer zunehmenden Konzentration von göttlicher Macht und Autorität auf Jahwe (381ff.), und "Yahweh against the Gods" als Konzept der Dominanz und Abgrenzung von den heidnischen Göttern - dies sind Versuche einer Zusammenschau im Dienst von Religionsgeschichte und Alttestamentlicher Theologie. Immer erneut bemüht M. sich dabei um einen Wechsel zwischen diesen Hinsichten, wie etwa, wenn er aus der Unterscheidung von Religionsebenen (offizielle Religion; Orts- und Familienreligion) folgert: "The theological problem of relativism that arises when Israel's religion is seen in commonality with the world of ancient Near Eastern religions now moves internally into the picture of Israelite religion. What is the true religion of Israel, and what is the theological significance of the answer or the inability to answer that question?" (162).

In der Summe beeindruckt die Breite und die partiell erreichte Tiefe des Opus, als das diese Zusammenstellung von Arbeiten aus 35 Jahren anzusprechen ist. Einzelne Beiträge werden zwar ein eher forschungsgeschichtliches Interesse finden, wobei auch in den älteren Aufsätzen überraschende Hinsichten gelingen. Jenseits der Aktualität gegenwärtiger Forschungsdiskussion legt der Band gerade in seiner breiten Zusammenstellung Grundfragen offen, die sich sowohl dem Religionswissenschaftler und Philologen als auch dem Theologen stellen.

Fussnoten:

1) F. Hartenstein, Die Unzugänglichkeit Gottes im Heiligtum. Jesaja 6 und der Wohnort JHWHs in der Jerusalemer Kulttradition, WMANT 75, Neukirchen-Vluyn 1997.