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Ausgabe:

Juli/August/2003

Spalte:

745–748

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Fuhs, Hans F.

Titel/Untertitel:

1) Das Buch der Sprichwörter. Ein Kommentar.

2) Sprichwörter.

Verlag:

1) Würzburg: Echter 2001. 396 S. gr.8 = Forschung zur Bibel, 95. Kart. ¬ 24,50. ISBN 3-429-02335-1.

2) Würzburg: Echter Verlag 2001. 189 S. gr.8 = Die Neue Echter Bibel: Kommentar zum Alten Testament mit der Einheitsübersetzung, Lfg. 35. Kart. ¬ 19,90. ISBN 3-429-02133-2.

Rezensent:

Jutta Krispenz

In der Reihe "Neue Echter Bibel" (NEB) ist der Band "Sprichwörter" erschienen. Sein Autor, H. F. Fuhs, hat, da der Rahmen der NEB zu begrenzt war, um die Fülle des erarbeiteten Materials zu fassen und um der Diskussion breiteren Raum zu geben, zugleich eine ausführlichere Version seiner Kommentierung des salomonischen Sprüchebuches in der Reihe "Forschung zur Bibel" (fzb) veröffentlicht. Die beiden Kommentare sind im Grundsätzlichen gleich angelegt, so dass es sich nahe legt, beide gemeinsam zu besprechen.

Die Einleitung ist in beiden Kommentaren bis auf einen Abschnitt, der in fzb zwei Abschnitte in NEB ersetzt, und ein ausführlicheres Literaturverzeichnis in fzb identisch. Beginnend mit einem Abschnitt über den "Name[n] des Buches und seine[r] Stellung im Kanon" behandelt F. "Charakter, Absicht und Ziel des Buches", "Die literarische Gestalt des Buches - Verfasser", "Was setzt der Verfasser voraus - Quellen, Entstehungszeit", "Spr in der jüdischen und christlichen Tradition", "Zur Textgliederung" und "Zu einigen wichtigen Redeformen und Stilfiguren" (fzb ersetzt die beiden letztgenannten Abschnitte durch "Ansatz und Anlage des Kommentars"), ehe er nach einem knappen (in fzb längeren, dafür aber durch das Layout recht unübersichtlichen) Literaturverzeichnis seine Kommentierung beginnt.

Das Sprüchebuch ist nach F.s Ansicht beileibe nicht so uneinheitlich, wie das in der Vergangenheit bis zum Erscheinen von H.-J. Hermissons "Studien zur israelitischen Spuchweisheit" gewöhnlich vorausgesetzt wurde.

Die von Hermisson noch recht vorsichtig skizzierte Sicht ist in den letzten Jahren zur Regel geworden: Eine breite Diskussion wurde geführt über die Frage, wie das Buch der Sprüche oder Teile desselben jenseits der Einheit "Spruch" als Ganzes gelesen werden könnte. Gewöhnlich ging man dabei bislang jedoch davon aus, dass der Eindruck, den das Buch bei den Lesern in den vergangenen Jahrhunderten hinterließ, dass das Sprüchebuch nämlich literarisch etwas anderes sei als erzählende Texte, zutreffend sei und dass die deutlich andere Art von Kohärenz, die das Buch von weiten Teilen des AT unterscheidet, auf die besondere Entstehungsweise desselben zurückzuführen sei. Dies erklärte unter dem Blickwinkel der historisch-kritischen Exegese nicht nur die Anhäufung von Sprüchen selber, sondern auch die eingestreuten Zwischenüberschriften, die manche Abschnitte anderen Autoren zuweisen (z. B. 25,1; 30,1; 31,1), sowie die en-bloc-Umstellungen der Septuaginta. Die Andersartigkeit der ersten Kapitel (1-9) sowie des Schlusskapitels (31) erklärte sich ebenfalls leicht aus dem Bemühen eines Redaktors, dessen Gestaltungswille dem Buch eine relativ geschlossene Endform verlieh und in dieser eine eigene Aussageabsicht verwirklichte. Da bei den verschiedenen Entwürfen zur Struktur der kompositorischen Einheiten häufig inhaltliche Kriterien die Entscheidung über mögliche Zusammenhänge steuerten, die inhaltliche Kohärenz aber auf der Basis der Intuition des jeweiligen Auslegers bestimmt wurde, entstand eine Reihe unterschiedlicher Entwürfe zur Komposition, die, abgesehen von der Grundannahme, dass auch im Buch der Sprüche nicht die reine Willkür zur Gestalt des Textes führte, wenig gemeinsam haben: Die Forschungslage ist hier sehr disparat.

F. lässt nun auch den bisherigen Konsens, das Buch der Sprüche sei eine Sammlung von zumindest zum Teil bereits vorliegenden Textbestandteilen, hinter sich: "Eine derart in sich geschlossene Konzeption, die voranschreitend von der These in 1,7 zur Synthese von Weltweisheit und JHWH-Glauben führt, ist nicht das Werk von Sammlern und Redaktoren, sie setzt vielmehr den bewussten Gestaltungswillen eines Verfassers voraus, der, da das Buch in poetischer Sprache gefasst ist, als Dichter zu bezeichnen ist" (NEB, 8; fzb, 15). Dass die Begriffe "poetische Sprache" sowie "Sammler und Redaktoren" versus "Verfasser" hier neuralgische Punkte bilden, liegt auf der Hand. F. behandelt, und das prägt seine Kommentare entscheidend, das Sprüchebuch als einen Text, auf dessen Kohärenz der Leser sich in derselben Weise verlassen kann, wie er das tut, wenn er z. B. Goethes "Werther" liest. Derartige Texte hatte auch M. M. Bachtin im Blick, auf den sich F. beruft, um die spürbare hintergründige Bezogenheit der Proverbientexte auf vorliegende Spruchtexte zu erklären: F. erläutert, die "Rede-in-Rede-Technik" (NEB, 9; fzb, 16) führe Teile des Textes als Zitate oder Zitate von Zitaten ein, dies aber sei eher eine Technik des Autors als Reflex einer tatsächlichen historischen Tiefendimension des Textes. Bachtins Anliegen allerdings ging eher darauf, diejenigen Texte, die dem zitierenden Text als Dialogpartner dienten, aufzufinden und durch die Differenz von zitiertem Text und Zitat die Eigenart des zitierenden (Roman-) Textes zu erarbeiten.1 Als mögliche Dialogpartner zum Buch der Sprüche nennt F. die "Weisheitstraditionen Ägyptens, Mesopotamiens und Kanaans", von denen er dann aber lediglich die ägyptischen Texte und den (ägyptisch-)aramäischen Achikar explizit in der Einleitung nennt (NEB, 10; fzb, 16 f.). Alle diese Werke habe der Dichter des Sprüchebuches jedoch mit so großer Souveränität behandelt, dass sich mit literarkritischen Mitteln keine Abschnitte mehr herauslösen ließen und auch Abhängigkeiten von ganz bestimmten Texten nicht mehr nachweisbar seien. Entgegen dieser Einschätzung weist F. in Prv 22,17 ff. dann aber doch eine ganze Reihe von Sentenzen bestimmten außerbiblischen Quellen - besonders natürlich der ägyptischen Lehre des Amenemope - zu (NEB, 143 ff.; fzb, 322, ff.). Auch ein Echo anderer biblischer Texte meint F. im Buch der Sprüche noch differenziert vernehmen zu können: Die Nähe zu Kohelet insbesondere belegen ihm drei Vorkommen des Wortes "Windhauch" (hæbæl) und die Skepsis, die der Dichter des Sprüchebuches mit Kohelet teile (NEB, 10; fzb, 17). Der Rezn. scheint diese Brücke etwas schwach, besonders, da die von F. sehr stark in Anschlag gebrachte Komposition des Buches doch zu einem großen Teil auf der Wahrnehmung semantischer Kohärenz durch den Ausleger beruht und diese Wahrnehmung nicht methodisch an ein systematisches Beobachtungsraster rückgekoppelt ist, das gewährleisten könnte, dass die wahrgenommenen Zusammenhänge sich nicht der Sinnbezogenheit des Auslegers verdanken, sondern dem Ausdruckswillen des Dichters.

Der menschliche Verstand ist darauf ausgerichtet, die Welt - und auch jede Textwelt - als sinnvollen Zusammenhang zu lesen, und lässt von diesem Ziel, sinnvolle Zusammenhänge zu konstruieren, erst ab, wenn er unmissverständlich scheitert. Semantiker wissen, wie schwierig es ist, einen sinnlosen Satz zu formulieren (selbst das bekannte Beispiel "colourless green ideas sleep furiously" lässt bei längerer Überlegung noch einen gewissen Sinngehalt zu). Aus diesem Grunde scheint der Rezn. bei den Sentenzensammlungen im Sprüchebuch die Notwendigkeit zu bestehen, Zusammenhänge nicht allein an unseren möglichen Kohärenzerfahrungen und den uns geläufigen literarischen Gestaltungsmustern zu messen. Für eine wissenschaftliche Behandlung dieser Texte muss darüber hinaus wahrscheinlich gemacht werden, dass hinter Zusammenhängen der Art, wie sie im Sprüchebuch gefunden werden, der Gestaltungswille eines antiken Autors steht und nicht der Kohärenzwunsch eines modernen Auslegers, es muss wahrscheinlich gemacht werden, dass ein antiker Leser gewohnt war, die festgestellten Zusammenhänge zu erkennen. Die derzeitige Forschungssituation mit ihren durchaus uneindeutigen Ergebnissen spricht eher gegen allzu klar erkennbare große Zusammenhänge. Diese Forschungssituation kommt bei F. außer im Literaturverzeichnis praktisch überhaupt nicht in den Blick. Auch in fzb begnügt sich F. damit, seine eigene Position zu den einzelnen Textabschnitten ausführlich (und hier gelegentlich durch graphische Schemata verdeutlicht) darzulegen, wozu ihm in NEB kaum Raum bleibt (die Gliederungsübersicht NEB, 13 f. zeigt immerhin die großen Linien), die Ergebnisse anderer Exegeten zur Strukturierung der Sentenzensammlungen diskutiert F. ebenso wenig, wie er eine Vorstellung davon gibt, auf welche Weise derartige Texte denn konstituiert zu denken seien. Die "Redeformen und Stilfiguren", die er in NEB 15-19 auflistet und beschreibt, können - bei aller Nützlichkeit der Liste - diese Lücke nicht schließen. Analoges gilt für die kürzere Zusammenstellung formaler Kohäsionskriterien in fzb (21), bei der vor allem das Kriterium "Stichwortverbindungen über große Entfernungen" Misstrauen hervorrufen kann. F.s Strukturvorschlag für das ganze Buch der Sprüche kann man glauben, wenn man mag.

Dass auch der ausführliche Kommentar sich nicht ausschließlich an Exegeten wendet, wird in der Entstehungsgeschichte beider Bücher seinen Grund finden. Die Frage, ob das Interesse an einem Proverbienkommentar unter Religionslehrern und theologisch-exegetischen Laien so groß ist, dass der umfangreichere Kommentar von dieser Lesergruppe angenommen wird, wird die Zukunft ebenso beantworten, wie die, ob F.s Ziel, "das Buch als literarisches und theologisches Kunstwerk wiederzuentdecken und für die aktuelle Diskussion über Grundwerte einer solidaren Gesellschaft in einer globalisierten Welt fruchtbar zu machen" (fzb, 5), erreicht werden wird. Die Rezn. möchte sich dem letztgenannten Wunsch F.s nicht anschließen: Die Prügelpädagogik - die F. etwa in Prv 29,15 schönredet (NEB, 176; fzb, 378) - scheint ihr als Grundlage von Solidarität nicht verheißungsvoll, und ob ein biblisches Buch, das als weibliche Rollenmuster zwischen dem der staatsgefährdenden "Weiber" (NEB, 183; fzb, 387) und der Existenz als metaphorischem Abstraktum (Prv 31,10-31) wenig Auswahl bietet, gerade in der Diskussion um die Grundwerte einer solidarischen Gesellschaft die beste Hilfe bietet, darf angezweifelt werden.

Exegeten des Alten Testamentes werden in F.s ausführlicherem Kommentar den expliziten Bezug auf den hebräischen Text möglicherweise ebenso vermissen wie die Diskussion abweichender Strukturvorschläge.

Nun ist die Frage des formalen Gesamtzusammenhanges und der Gesamtbedeutung des Buches, die derzeit in der Forschung am stärksten diskutiert wird und die auch F. in seiner Einleitung in den Vordergrund stellt, für den Benutzer eines Kommentars nicht allein entscheidend. Der Leser jedes der beiden Kommentare erhält ein Werk, das den Text der Einheitsübersetzung zu Grunde legt und diesen, basierend auf einer Analyse des hebräischen Textes (der gelegentlich dann doch auch in Umschrift zu Worte kommt), in den vertrauten Bahnen durchaus solide und informativ auslegt, im Detail eher der Tradition, in der Gesamtsicht stärker aktuellen Strömungen verpflichtet.

Fussnoten:

1) Vgl. dazu M. M. Bachtin, Das Wort im Roman. In: R. Grübel (Hrsg.), Die Ästhetik des Wortes, Frankfurt a. M. 1979, 154-300.