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Ausgabe:

Juli/August/2003

Spalte:

741 f

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Silberman, Neil Asher, and Ernest S. Frerichs [Eds.]

Titel/Untertitel:

Archeology and Society in the 21st Century. The Dead Sea Scrolls and Other Case Studies.

Verlag:

Jerusalem: Israel Exploration Society/The Dorot Foundation 2001. VI, 210 S. m. zahlr. Abb. gr.8 Geb. US$ 28,00. ISBN 965-221-045-5.

Rezensent:

Jesper Høgenhaven

Der vorliegende Band enthält die Beiträge einer Konferenz, die 1997 in New York (50 Jahre nach der Entdeckung der ersten "Schriftrollen vom Toten Meer" 1947) veranstaltet wurde. Das Thema der Konferenz war die Bedeutung der Qumran-Handschriften für das Verstehen der Ursprünge jüdischer und christlicher Traditionen sowie für das Verstehen unserer modernen Auffassung vom Altertum. Diese auf die breitere gebildete Öffentlichkeit zielende Konferenz beabsichtigte es, die Qumran-Handschriften darzustellen "as metaphors, examples, and perhaps as cautionary examples of the universal human fascination with antiquity" (2).

Die Struktur des Buches spiegelt den Aufbau der Konferenz wider: Fünf Hauptthemen werden behandelt: 1) "The Politics of the Past". 2) "Presenting the Past to the Public". 3) "Decipherment of Ancient Scripts". 4) "Aspects of Modern Antiquities Laws". 5) "Modern Philosophical Approaches to the Past". Innerhalb der fünf Hauptabschnitte stehen Aufsätze über Qumran und die Qumran-Handschriften neben Beiträgen von Forschern in anderen Gebieten, die vergleichbare Probleme und Fragestellungen aufweisen.

Im ersten Hauptabschnitt werden die vielfältigen Beziehungen zwischen der Qumran-Forschung und politischen Ereignissen der modernen Zeit in Neil Asher Silbermans Aufsatz aufgewiesen.

Irene Silverblatt führt Beispiele für den Einfluss politischer Verhältnisse der Neuzeit auf die Rezeption der Vergangenheit aus dem lateinamerikanischen Raum an: In Mexiko wurde eine kulturelle Mischung indianischer und spanischer Elemente als für die Nation konstituierend angesehen. In Guatemala hingegen wurde die vor-kolumbianische Vorzeit als "barbarische" Epoche betrachtet, die durch die Zivilisation abgelöst wurde. Wiederum anders war die Rezeption jener Vorzeit in Peru, wo die Inka-Traditionen schon in der spanischen Zeit von den Eroberern politisch und ideologisch zur Legitimation ausgenützt wurden. Die veränderte Perspektive für die Archäologie Südafrikas, die sich durch die neue politische Lage des Landes gibt, ist das Thema von Martin Halls Beitrag.

Adolfo Roitmann informiert über die Methodik hinter den Ausstellungen der seit 1947 gefundenen Handschriften, die schließlich in den Besitz des israelischen Staates gelangten. Dabei gibt er u. a. Auskünfte über die Debatte, die der Konstruktion einer der Qumran-Handschriften gewidmeten Ausstellungshalle ("Shrine of the Book") in West-Jerusalem vorangegangen sind. Ghazi Bisheh führt Beispiele für den Schutz und die Bewahrung ausgegrabener antiker Gebäude in Jordanien auf; und Christos G. Doumas weist auf griechische Beispiele der modernen Bewahrung und "Einrahmung" der antiken Denkmäler wie auf die dahinterliegenden Motive hin.

Der Handel mit archäologischen Objekten und die damit in engem Zusammenhang stehenden unautorisierten Ausgrabungen bzw. Plünderungen sind der Gegenstand des vierten Hauptabschnittes, der vor allem wegen der sich gegenseitig widersprechenden Beiträge von Herschel Shanks und Ellen Herscher bemerkenswert ist. Shanks vertritt die "pragmatische" Ansicht, durch praktische Legalisierung des "grauen" Antiquitätsmarkts und durch systematischen Verkauf von Gegenständen "zweiten Ranges" im Besitz der Museen könne über diesen Markt eine gewünschte Kontrolle gewonnen werden; die pragmatische Weise, in der man über die Qumran-Handschriften mit den Beduinen und ihren Zwischenhändlern eine Übereinkunft erreicht hat, wird als Beispiel angeführt. Herscher hingegen weist auf die in Zypern gemachten Erfahrungen hin und warnt vor jeder Duldung des Handels und der damit verknüpften Vorgänge. Beispiele aus den USA werden angeführt von Hester A. Davis.

Die Rekonstruktion, Entzifferung und Veröffentlichung der Qumran-Handschriften ist das Thema, das in einem kurzen, aber sehr informativen Aufsatz von Emanuel Tov abgehandelt wird. Daneben stehen Aufsätze (von Donald B. Redford und George E. Stuart) über neue Deutungen altägyptischer Texte und Schreiberpraxis wie über die Entzifferung der Maya-Hieroglyphen. Der jüdische Charakter der Qumran-Texte - welcher in der frühen Forschung nicht immer gebührend ernst genommen wurde - wird durchsichtig dargestellt von Lawrence H. Schiffmann, während Paula E. Hyman (aus einer feministischen Perspektive) und Davis Lowenthal die philosophischen Aspekte unserer modernen Zugänge zur Vorzeit und zur Geschichte ins Auge fassen. Eine Übersicht über die vielen "battles of the scrolls" liefert schließlich wieder L. H. Schiffmann.

Mit seinen zahlreichen kurzgefassten Aufsätzen gibt das Buch in die verschiedenen Bereiche der Archäologie und Altertumskunde einen notwendigerweise begrenzten Einblick. Andererseits tragen die hier gesammelten Artikel vorzüglich dazu bei, die Qumran-Forschung und ihre Probleme in einen breiteren Zusammenhang hineinzustellen, wobei u. a. auch deutlich wird, wie manche der mit der Erforschung und Rezeption der Qumran-Handschriften verknüpften Fragestellungen auch in verwandten Bereichen Analogien haben und somit nicht etwa aus besonderen Umständen der Qumran-Forschung (geschweige denn aus etwaigen modernen "Verschwörungen") entstanden sind.