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Ausgabe:

Juli/August/2003

Spalte:

736–739

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Görg, Manfred, und Günther Hölbl [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Ägypten und der östliche Mittelmeerraum im 1. Jahrtausend v. Chr. Akten des Interdisziplinären Symposions am Institut für Ägyptologie der Universität München 25.-27.10.1996. Hrsg. unter verantwortl. Mitwirkung von St. Wimmer.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz (in Kommission) 2000. VIII, 319 S. m. zahlr. Abb. 4 = Ägypten und Altes Testament, 44. Kart. ¬ 74,00. ISBN 3-447-04344-X.

Rezensent:

Ludwig D. Morenz

Dieser Sammelband geht auf ein 1996 veranstaltetes interdisziplinäres Symposion zurück. Der Mittelmeerraum im 1. Jt. v. Chr. war faszinierend multikulturell. Mehr oder weniger unter religionsgeschichtlichen Blickwinkeln werden in den Aufsätzen Texte, Bildkunst und Archäologie behandelt. Die Beiträge sind disparat, und die Herausgeber verzichteten auf eine Synthese.

Einige Aufsätze sind dominant ägyptologisch: G. Burkard bietet aus der Fülle seiner Materialkenntnis einen nützlichen Überblick über Spätzeitliche Osirisliturgien (1-21) und damit eine wichtige Textgruppe der sakralen Literatur des 1. Jt. v. Chr. Diese Texte - vor allem "Verklärungen" - waren primär im Osiriskult und insbesondere im Choiakfest verankert. Unter der Frage Warum Isis? untersucht R. Schulz (251-280) in der Analyse bildlicher und textlicher Quellen die Erweiterung des Funktions- und Bedeutungsspektrums dieser Göttin von der ägyptisch-pharaonischen über die hellenistische bis in die römische Zeit. Von den Ursprüngen des Sarapis, seinen ägyptischen Voraussetzungen und der griechisch-ägyptischen Kulturbegegnung handelt D. Kessler, Das hellenistische Serapeum in Alexandria und Ägypten (163-230). Sarapis wird als spezifisch griechisch-ägyptischer Heilsgott vorgestellt, der den Griechen die Teilnahme an den ägyptischen sakralen Festen und damit auch eine gewisse Kontrolle ermöglichte. Kessler zweifelt zwar an der üblichen Ableitung von Osiris-Apis, 189 f., doch dürften die bilingualen Gründungstäfelchen des Serapeums - erwähnt S. 196 und 202 - nach Meinung des Rez. doch eine interkulturelle Gleichung Sarapis = Osiris-Apis erweisen. Große Beachtung findet das Phänomen des Tierkults. Vor diesem Hintergrund werden die Serapeen in Alexandria und in der Chora diskutiert, und nach Kessler wären sie in den ägyptischen Festkalender eingebettet.

In anderen Beiträgen werden die kulturellen Ausstrahlungen Ägyptens in den Blick genommen: Mit der materialorientierten Problematik spätzeitlicher Aegyptiaca im östlichen Mittelmeerraum - also den Phöniziern, den Griechen und Zypern - beschäftigt sich G. Hölbl in einem gewichtigen Beitrag, dem längsten des Bandes (119-162). Grundsätzlich ist zwischen Produkten aus Ägypten selbst und Imitationen zu differenzieren, doch muss bei der (gelegentlich problematischen) Unterscheidung zwischen Original, Imitat und Eigenständigem gerade bei Werken der Kleinkunst (bes. Skarabäen und anderen Amuletten) mit fließenden Grenzen gerechnet werden (125-136). Hölbl zeigt, dass es zwar zu gewissen Verschiebungen des Sinnes kam, doch die mit den Objekten verbundenen ägyptischen Grundvorstellungen auch in der jeweils nehmenden Kultur relevant blieben. Das Phänomen von Nachahmung und Reinterpretation im Rahmen der Kulturkontakte zeigt die Elfenbeinplakette aus Ephesos mit der Adaption einer Bastet-Darstellung (131 f.). Während Hölbl allerdings von "dem Phöniker, der die Plakette herstellte" (132) spricht, scheint dem Rez. größere Zurückhaltung bei der konkreten ethnischen Zuschreibung angebracht. Phänomene wie der massive Rückgang des ägyptischen Kulturgutes während der so genannten dunklen Jahrhunderte besonders im ägäischen Raum (122-124) werden von Hölbl kultur- und sozialgeschichtlich kontextualisiert, und so wird das teilweise doch recht spröde Material als Zeugnis von Religion und Geschichte interessant. Eric Gubel, Das libyerzeitliche Ägypten und die Anfänge der phönizischen Ikonographie (69-100), untersucht die vielfältige Rezeption ägyptischer Formen in der phönizischen Kunst. Deren politische und ökonomische Bedingtheit deutet er im Sinne einer kulturellen Symbiose. Besondere Aufmerksamkeit widmet Gubel der auffälligen Prominenz der Göttin Bastet bei den Phöniziern, was er plausibel mit der Bedeutung der libyerzeitlichen Hauptstadt Bubastis für die Phönizier verbindet. Außerdem zeigt Gubel ähnlich wie Hölbl in seinem Beitrag, dass die ägyptischen Motive zum Teil verfremdet und akkulturiert, aber in der Regel nicht sinnlos übernommen wurden. Nach Günther Wirth, Hellas und Ägypten (281-319), diente das Ägyptenbild der Griechen des 5. und 4. Jh.s vor allem dem griechischen Selbstverständnis, wobei genauer zwischen verschiedenen Phasen des griechisch-ägyptischen Kulturkontaktes unterschieden wird. Mit der recht umfangreichen Literatur zu ägyptischen Elementen in der Gnosis setzt sich P. Hofrichter, Gnosis und ägyptische Mythologie (101-118), in seinem große Linien zeichnenden Beitrag zu wenig auseinander. Paradigmatisch zeigt dies der Abschnitt zu Poimandres (116 f.). Beide von ihm ungewichtet nebeneinander gestellten Etymologien p-mntre - "der Zeuge" - und p-eimi-n-Re - "die Erkenntnis des Re" (R. Marcus, The Name Poimandres, in: JNES VIII, 1949, 40-43; zuletzt in diesem Sinn: J. Holzhausen, Poimandres, in: Der Neue Pauly 10, 2001)- sind zumindest problematisch. Unter den darauf gebauten Folgerungen schwankt der Boden.

Zentral für die Interpretation ist die Passage im zweiten Kapitel des ersten Traktats des Corpus Hermeticum mit der Antwort des Gegenübers an Hermes auf dessen Frage, wer er sei: "Ich bin Poimandres, der Nous der Autentia". Neuere Deutungen erkennen hierin Maat des Re (H. J. Thissen, Demotistik und Ägyptologie, ZÄS 117, 1990, 63 ff., 66; H. M. Jackson, A New Proposal for the Origin of the Hermetic God Poimandres, ZPE 128, 1999, 95 ff.). Von daher könnte sogar an p3w-m3c n(te)-Rc - "die wahre Gestalt des Re" - oder b3-m3c n(te)-Rc - "die wahre Seele des Re" - gedacht werden. Zu p3w-m3c vgl. das in der ägyptischen Sakralsprache übliche p3w-tpj - "erste/uranfängliche Gestalt" -, doch ist ein koptisches Äquivalent dafür bisher noch nicht belegt. Dies könnte am Überlieferungszufall liegen. Demgegenüber ist b3 (demot. by) = bai bezeugt, und der b-p-Wechsel bietet lautgeschichtlich kein Problem. Andererseits sollte hierfür eher die Vokalisation bi erwartet werden. Die notwendige etymologische Diskussion kann hier selbstverständlich nicht in extenso geführt werden.

Wie auch immer konkret aufzulösen, wird mit dem Namen Poimandres und dessen Exegese jeweils die Hypostase des Sonnengottes (Re) bezeichnet. Der mutmaßlich ägyptisch fundierte Name Poimandres lässt sich griechisch problemlos als "Männerhirte" verstehen. An welche Optionen der von griechischer Philosophie geprägte antike Modell-Leser denken sollte - eventuell an beide -, können wir nur vermuten. Zumindest steht zu erwarten, dass griechisch-sprachige empirische Leser eher - und vielleicht einzig - die griechische Etymologie verstanden. Sofern er eine ägyptische Komponente trägt, kann der Name Poimandres als ein konkretes Produkt griechisch-ägyptischer Begegnung gefasst werden. Der vermutliche ägyptische Untertext stimmte zumindest gut zu der Geheimheitsaura der hermetischen Texte. So gewiss ägyptische Spuren in der Gnosis zu finden sind, muss doch bei der religionsgeschichtlichen Spurensuche die Unsicherheit von Beziehungen betont werden, insbesondere wenn keine plausible Überlieferungskette rekonstruiert werden kann. Dies gilt sowohl für Etymologien als auch theologische Spekulationen. In diesem komplexen Feld wäre konkrete interdisziplinäre Zusammenarbeit besonders zu wünschen. Letzteres gilt auch für die von J. Kügler behandelten Spuren ägyptisch-hellenistischer Königstheologie bei Philo von Alexandrien (231-249). So wahrscheinlich vermutet werden kann, dass das "Werk des alexandrinischen Juden Philo Spuren ägyptischer Königstheologie aufweist" (247), zeigt Kügler doch nur sehr allgemein und unspezifisch bleibende Ähnlichkeiten auf. Trotz des Stichwortes literarische Archäologie (232) wird keine Diskursanalyse geboten. Zudem staunt der ägyptologische Leser über Sätze wie "Und doch bearbeitet er ein ähnliches Problem wie die altägyptische Theologie, nämlich die Frage, wo und wie der Mensch seine SOTERIA, das wahre Leben, findet." (242). Wenn dies auch für viele Religionen und Philosophien mehr oder weniger zutrifft, kann ausgerechnet die ägyptische Kultur für diesen Gedanken weniger gut reklamiert werden. Eine Auseinandersetzung mit ägyptologischer Literatur bleibt in diesem Aufsatz fast aus, und selbst eine konzise Skizze des hellenistisch-ägyptischen Königsdogmas fehlt leider.

M. Görg, Genesis und Trinität (47-68), postuliert für den biblischen Schöpfungstext eine Trinitätsvorstellung und sieht eine triadische Struktur als Grundschema. Im Anschluss daran behandelt er die Triade Amun, Re und Ptah in Ägypten, wobei er aufweist, dass diese ramessidische Reichstriade bis in die Ptolemäerzeit fortlebte. Diese in Israel rezipiert und reinterpretiert worden. Görg ist vorsichtig genug, keine unmittelbare Abhängigkeit zu postulieren, sondern meint, "daß die trinitarische Konzeption der Ägypter lediglich ein Modell darstellt, dessen man sich auch in der Alten Kirche bedienen konnte" (67).

Mit Die "Söhne Ägyptens" in der sogenannten Völkertafel legt M. Görg eine neue, interessante Interpretation der Namensliste Gen. 10,13 f. vor (23-50). Hier wird Mizraim-Ägypten in Form einer genealogisch interpretierten Liste vorgestellt. Geographische Bezeichnungen weisen verschiedenste Interpretationsprobleme auf, und auch in diesem Fall kann nicht jede Erklärung völlig gesichert werden - etwa Naptuhim oder Kaptorim, wofür jeweils zwei Deutungsmöglichkeiten plausibel bleiben (29-31.43-45). Görg favorisiert die folgenden Gleichungen:

Name (in Pluralform)ägyptische EtymologieBedeutung

Ludim rwd (westliche) Seite

Anamimc-nmjwSeite der Nomaden

Lehabimnj-3bw Zugehörig zu Elephantine

Patrusimp3-t3-rsjSüdland

Naptuhimn(w)t Pth Stadt des Ptah (= Memphis)

Kasluhimgs n wh3.t Seite des Oasengebietes

Pelestim prstPhilister

KaptorimkftjwKreter

Die Vorschläge Görgs aufgreifend, glaubt der Rez. in dieser Liste ein sinnvolles geographisch-politisches Konzept zu erkennen, sofern Kern-Ägypten (Patrusim und Naptuhim) und sechs Nachbarvölker aus den vier Himmelsrichtungen (je zwei im Osten und Norden) genannt werden. In dieser Gesamtinterpretation weicht der Rez. allerdings von Görg ab, der schrieb, dass die Bevölkerungsgruppen "sämtlich im Bereich des ägyptischen Territoriums angesiedelt werden können" (45). Einerseits zeigt diese Liste die alte ägyptische Vorstellung von Ägypten im Zentrum, das von den Völkern aus den vier Himmelsrichtungen umgeben wird, während andererseits aus hebräischer Interessenlage heraus der Osten, die Kreter und Philister sowie das Gebiet von Elephantine (jüdische Kolonie mit Jahwe-Tempel) besonderes Interesse genießen. Mit Kernägypten im Zentrum kann die Reihenfolge folgendermaßen schematisiert werden: Osten (Ludim und Anamim) - Süden (Lehabim) - Zentrum (Patrusim und Naptuhim) - Westen (Kasluhim; die großen Oasen lagen im Westen Ägyptens)- Norden (Philister und Kaptorim). Die Nennung nach den Philistern spricht gegen Görg (43-45) für eine Ansetzung der Kaptorim nördlich der Philister. Mit Görg (25) könnte die Liste im 7. Jh. geschaffen worden sein, und die Mizraim-Gruppe erweist sich - falls die angesetzten Etymologien und die hier vorgeschlagene Gesamtinterpretation korrekt sind - in ihrer Systematik als ein interessantes Produkt des hebräisch-ägyptischen Kulturkontaktes.

Die Forschungen zu Ägypten und dem östlichen Mittelmeerraum im 1. Jt. v. Chr. sind zum Teil sehr spezialisiert, einem Einzelnen kaum noch überblickbar. Andererseits stellen gerade Kulturkontakte einen wesentlichen Faktor in der Kulturgeschichte dar, und dies macht sie für verschiedenste Forschungsrichtungen relevant. Den Autoren und Herausgebern sei für ihre Mühe gedankt, denn wohl jeder Leser kann neue Informationen und Anregungen bekommen.