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Ausgabe:

Juli/August/2003

Spalte:

734 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Yamada, Kôun Roshi

Titel/Untertitel:

Die Niederschrift vom blauen Fels Hekiganroku. Die klassische Koansammlung mit neuen Teishos. Ins Deutsche übertragen u. hrsg. von P. Lengsfeld. Bd. 1 und 2.

Verlag:

München: Kösel 2002. 535 S. m. 1 Taf. u. 472 S. gr.8. Geb. ¬ 65,00. ISBN 3-466-36593-7.

Rezensent:

Ulrich Dehn

Das Hekiganroku (chinesisch: Bi Yän Lu), neben dem Mumonkan die wohl wichtigste Sammlung von Koan aus dem Zen-Buddhismus, entstand als Sammlung mündlicher Traditionen zu Beginn des 11. Jh.s, gelangte etwa hundert Jahre später in seine Endfassung und war lange Zeit in der Übersetzung von Wilhelm Gundert zugänglich sowie in einer Auswahl durch Achim Seidl, und schließlich in der vollständigen Ausgabe von Ernst Schwarz. Hier liegt nicht eine Ausgabe vor, die in Konkurrenz zu früheren wissenschaftlichen Übersetzungen aus dem Chinesischen treten will; sie bietet zwar den vollständigen Text des Hekiganroku (vermutlich aus anderen Übersetzungen übernommen), der Akzent liegt aber auf den (ursprünglich japanischen) Kommentaren von Yamada Kôun, die von dem katholischen Theologen Peter Lengsfeld aus dem Englischen übersetzt wurden; dies geschah in Teamarbeit unter Einbezug einiger japanischer Übersetzer aus dem Dunstkreis des Tempels von Y. Weniger wichtig als die Übersetzung der berühmten einhundert Koan selbst sind somit die Erläuterungen Y.s (1907-1989), die Teishos, die den größten Teil der ca. 1000 Seiten ausmachen; und die zwei Bände sind eine Hommage an sein Lebenswerk.

Y. ist jahrzehntelang Oberhaupt der kleinen Zen-Organisation Sanbokyodan mit Zentrum in Kamakura und vier weiteren Übungshallen im Lande gewesen, die 1954 gegründet wurde und sich als Laienbewegung versteht: Y. selbst war kein ordinierter Zen-Priester, sondern Geschäftsmann. Mit der Reduktion auf die erleuchtungsorientierte Meditation zum Mantra Mu unter Absehung von Riten und dogmatischem Ballast - einem damit einhergehenden überreligiösen Anspruch - und seiner Aufgeschlossenheit auch für englischsprachige Kommunikation (und damit für Ausländer) ist der Sanbokyodan mit jetzt ca. 4000 Mitgliedern weltweit zu der unter "Grenzgängern" einflussreichsten Zen-Schule überhaupt geworden (Hugo Enomiya-Lassalle, Willigis Jäger, Willi Massa, Philip Kapleau, Robert Aitken u. a.).

Y. geht in seinen "Teishos" oder auch Dharma-Predigten aus den Jahren 1973 bis 1986 Satz für Satz am Text entlang, der sich in die jeweilige Einführung Engos (aus dem 11./12. Jh.), den "Fall" und schließlich den alten Originaltext von Setcho (Anfang des 11. Jh.s) aufteilt. Zu insgesamt 21 Koan liegen keine Einführungen Engos vor. Y.s Erläuterungen sind assoziativ, sie bieten neben aufschlussreichen Hintergrundinformationen oft Exkurse in die Geschichte des Zen-Buddhismus und holen an vielen und mitunter überraschenden Stellen die vor ihm sitzenden Zazen-Übenden gedanklich ab. Anekdoten werden geboten: Zum Vers "Der höchste Weg ist gar nicht schwer" (2. Koan, Setcho) bietet der Zen-Meister eine Geschichte des Philosophen Nishida um den Unmon-Vers "Jeder Tag ist ein guter Tag" (I, 40 f.). Querverweise zum Mumonkan und Blicke in die Geschichte der Zweige des chinesischen Zen-Buddhismus wechseln sich ab mit alltagspraktischen Hinweisen zur Körper- und Geisteshaltung beim Üben und zum Dokusan, dem Einzelgespräch beim Meister (R_shi). "Wenn ihr zum Dokusan kommt, müsst ihr genau wissen, was ihr wollt. Habt ihr nichts zu sagen oder zu fragen, ist das auch in Ordnung. Dann aber sagt klar und deutlich: Ich habe nichts zu sagen." (I, 398)

Ein Nachwort P. Lengsfelds (II, 473-452) fasst noch einmal Grundlinien der Faszination des Y.schen Werks zusammen und gibt Ausblicke auf den Dialog. Es könnte auch als Einleitung gedient haben. Hier werden Schneisen gezogen, die der deutschsprachige Leser in dem assoziativ-irenischen Stil von Y. vermisst haben mag, und es spricht hier einer der "Grenzgänger", die von den vorherigen Worten Y.s im Sesshin (Übungsseminar) in Kamakura angesprochen wurden.

Die beiden Bände stellen sicherlich mit ihrem dokumentarischen Charakter eher eine Insider-Veröffentlichung für Interessierte des Zen aus dem Sanbkyodan dar, als dass hier eine breite, am Buddhismus interessierte Leserschaft angesprochen wäre. Ein großer Reichtum von Einfällen und Einsichten ist zuweilen unprätentiös versteckt als Kommentar zu oberflächlich betrachtet unscheinbaren Versen von Engo oder Setch_. Hier ist viel Lesegeduld erforderlich, da die Bände nicht durch Register erschlossen sind. Aber die Geduld wird belohnt.