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Ausgabe:

Juli/August/2003

Spalte:

732–734

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Raeder, Siegfried

Titel/Untertitel:

Der Islam und das Christentum. Eine historische und theologische Einführung.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2001. XVIII, 284 S. 8. Kart. ¬ 24,90. ISBN 3-7887-1820-X.

Rezensent:

Klaus Hock

Bereits vor zwei Jahrzehnten in der Reihe "Christentum und Islam" erschienen, ist dieser Band nach Aussage des Autors "im ganzen ein neues Buch geworden" (VII). Besonders augenfällig wird das im Abschnitt über "Die gegenwärtige Lage in einigen islamischen Ländern" (102 ff.), wo die Darstellung der aktuellen Entwicklungen in verschiedenen islamisch geprägten Ländern bis in das Jahr 2001 führt. Stärker zur Geltung bringen will der Vf. zudem "die Notwendigkeit der Zusammenarbeit von Muslimen und Christen in gemeinsamer Verantwortung für die Welt" (IX) bei gleichzeitiger Anerkennung bleibender Unterschiede in Glaubensfragen.

Die erste Hälfte des Bandes stellt den Islam dar - unterteilt in vier Abschnitte, die sich mit Mohammed und dem Koran, der Ausbreitung des Islams, islamischem Geistesleben sowie den religiös-politischen Implikationen des Islams (Religion, Gesetz, Staat etc.) befassen, während die zweite Hälfte historisch wie systematisch die Frage nach verschiedenen Aspekten des Verhältnisses von Christentum und Islam behandelt. Nun könnte vermutet werden, dass diese Einteilung auch zwei unterschiedlichen Perspektiven entspricht, die in der Vorbemerkung erwähnt sind, wo der Vf. anmerkt, dass er "sich zum einen der religionswissenschaftlichen Methode verpflichtet [weiß] und als Theologe dem christlichen Glauben" (VIII). Vielleicht wäre es grammatikalisch angemessen gewesen, dem "zum einen" das korrespondierende "zum anderen" entgegenzusetzen. Vielleicht aber sieht der Vf. zwischen beiden Herangehensweisen auch gar keine grundsätzliche Differenz; nicht selten ist er bei seinen Ausführungen nämlich darum bemüht, Islamisches von Christlichem her aufzuschließen. Das mag im Blick auf eine christliche Leserschaft verständlich sein; aus religionswissenschaftlicher Sicht ist hier allerdings Skepsis angebracht. Zudem muss hier noch angemerkt werden, dass sich "[d]ie westliche Religionswissenschaft" nicht darauf reduzieren lässt, "die Quellen seiner [des Korans; K. H.] Verkündigung im Judentum, Christentum und in der altarabischen Kultur aufzuweisen" (VIII); die Zeiten, in denen die Religionswissenschaft darum bemüht war, "den Islam" aus anderen Quellen zu erklären, sind lange vorbei- spätestens seit J. Fücks Studie über "Die Originalität des arabischen Propheten" aus dem Jahre 1936.

Die Darstellung "des" Islams im vorliegenden Band basiert auf gediegenen Standardwerken, wenngleich nicht auf neueren, und auch nicht unbedingt auf den neuesten Auflagen - so ist etwa in der Bibliographie "Der Islam in der Gegenwart" (hrsg. von W. Ende u. U. Steinbach) nur in seiner Erstauflage verzeichnet. Für die Thematik maßgebliche Publikationen sind offensichtlich gar nicht zur Kenntnis genommen worden (so z. B. G. Riße oder M. Bauschke), was sich bei der Behandlung spezifischer Fragestellungen bisweilen als Manko erweist - im Blick auf die genannten Bücher insbesondere in den Passagen über die Rezeption christlicher Elemente in der koranischen Verkündigung und in den Abschnitten über die islamische Christologie. Von daher stellt Raeders Buch dann auch einige Sachverhalte vereinfachend-einfacher dar, als sie in Wirklichkeit sind: So ist etwa die Annahme eines "großen Bruchs" in Mohammeds prophetischer Sendung - wobei in diesem Zusammenhang ausgerechnet ein Zitat von E. Kellerhals bemüht wird (39) - bereits seit den 1950er Jahren u. a. durch Arbeiten von E.Beck und Y. Moubarac relativiert worden; und beispielsweise bedeutete Gottlieb Pfanders Kontroverstheologie eben nicht erst heute "einen Rückschritt hinter die seit dem Zeitalter der Aufklärung gewonnenen bibelwissenschaftlichen Erkenntnisse" (207) - der Clou ist doch, dass Pfanders Versuch, diese Methode anzuwenden, bereits zu seiner Zeit in einem Desaster geendet ist, als er von seinem muslimischen Kontrahenten "Mit den Waffen des Gegners" (Chr. Schirrmacher) geschlagen wurde.

Die im Vorwort konkret genannten, brisanten Themen - Menschenrechtsfrage und interreligiöse Kooperation bei gleichzeitiger Anerkennung religiöser Widersprüche - sind in der Durchführung leider lediglich als Marginalien verhandelt (237 resp. 253), und der Abschluss des Buches mit dem Hinweis auf die Bedeutung des evangelischen Sakramentsverständnisses für den christlichen Gottesdienst hinterlässt eigentlich das Gefühl, hier sei die Arbeit am Manuskript vorzeitig eingestellt worden.

Die Stärken des Buches liegen vornehmlich in den Abschnitten über die christlichen Kirchen in der islamischen Welt und in deren Einflussgebieten (133 ff.). Nicht unerwähnt bleiben soll auch, dass der Autor in etlichen Passagen um eine einfühlsame Darstellung bemüht ist - so beispielsweise in seiner Darstellung des Ringens al-Ghazâlîs um die Frage nach dem Verhältnis von menschlicher Eigenverantwortung und göttlicher Souveränität (235 u. ö.). Bedauerlicherweise werden solche "sympathetischen" Passagen bisweilen konterkariert durch Bemerkungen, in denen alte christlich-theologische Ressentiments durchscheinen gegen den "Gott Mohammeds", der "kein Gott der Gemeinschaft" ist und den "[i]m Grunde seines Herzens - hat er ein Herz? - ..." (260) das Schicksal des Menschen völlig unberührt lässt. Diese Bemerkung soll nicht das redliche Bemühen des Autors diskreditieren, klare Unterschiede zwischen islamischem und christlichem Glauben herauszuarbeiten. In der Tat wäre es unangemessen und unredlich, die Botschaft des Islams aufzuteilen "in solche Elemente, die wahr und heilig sind, und andere, die vom christlichen Glauben abweichen"; und in der Tat würde dadurch "die lebendige Einheit und Ganzheit einer Religion verkannt" (245).

Das Buch richtet sich entsprechend dem Anspruch des Vf.s an die Zielgruppe jener, die eine gewisse Distanz zum Christentum haben; darüber hinaus will es insbesondere auch "Menschen helfen, die geneigt sind, vom Christentum zum Islam überzutreten" (VIII). Ob dies mit dem vorliegenden Band tatsächlich gelingen kann, ist jedoch äußerst fraglich. Zu sehr dient es in Duktus, Sprache und Inhalt primär der Selbstvergewisserung christlicher - genauer: evangelisch-lutherischer - Theologie angesichts der Herausforderung durch den Islam und läuft bisweilen Gefahr, sich in der Gattung einer Missionspredigt zu verlieren. Das ist selbstverständlich legitim. Aber ein Schritt "Hinaus aus der Festung" (O. Schumann) ist es nicht.