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Ausgabe:

Juli/August/2003

Spalte:

729 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Keul, István

Titel/Untertitel:

Hanuman, der Gott in Affengestalt. Entwicklung und Erscheinungsformen seiner Verehrung.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2002. X, 334 S. m. Abb., 49 farb. Abb. auf Taf. gr.8 = Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten, 47. Geb. ¬ 98,00. ISBN 3-11-017187-2.

Rezensent:

Rainer Neu

Im Jahre 1990 lässt der für interreligiöse Verständigung werbende Sai Baba im südindischen Puttaparthi eine 23 Meter hohe Statue des Affengottes Hanuman anfertigen und weihen. Am 6.12.1992 reißen militante Hindus die muslimische Babri-Moschee im nordindischen Ayodhya ein und bezeichnen diesen barbarischen Akt als Hanumans Werk. Ob im Norden oder Süden des indischen Subkontinents, ob für interreligiöse Versöhnung oder religiös-nationalistische Ziele - die Popularität Hanumans erfreute sich in den vergangenen Jahrzehnten eines ständigen Aufschwungs.

Dabei begann die Karriere dieses Affenhelden vor rund 2000 Jahren eher unscheinbar als Berater eines Exilkönigs im Epos Ramayana. Eine lückenlose Aufklärung seines spektakulären Aufstieges durch die Jahrhunderte ist auf Grund unvollständiger Belege zwar nicht möglich, doch lassen sich die großen Stationen des Prozesses seiner Vergöttlichung deutlich erkennen. In ihrer frühen Phase war die Verehrung Hanumans auf der Grundlage des Epos Ramayana eng an die religiöse Bedeutung Ramas geknüpft, als dessen hingebungsvoller Verehrer er galt. Am Ende des ersten, zu Beginn des zweiten Jh.s n. Chr. wurden in verschiedenen Teilen Indiens Tempel des Affengottes gegründet und Bilder aufgestellt und in Inschriften ließen sich Könige immer öfter mit Hanuman vergleichen. Die islamische Bedrohung Nordindiens seit dem 11. Jh. führte in bestimmten Regionen zu einer stärkeren Ausprägung und Betonung der kriegerischen Aspekte des Affengottes. Es wäre jedoch verkürzt, den Kampfgefährten Ramas nur als eine wichtige Identifikationsfigur von Hinduherrschern in ihrem Abwehrkampf gegen die islamischen Invasoren zu interpretieren. Zugleich erwies sich Hanuman als ein treuer Begleiter Ramas auf dessen Weg in die Herzen der Anhänger devotionaler Ramabewegungen. Am Ende dieser Entwicklung wurde Hanuman nicht nur als Verehrer Ramas, sondern als "der Verehrer" schlechthin gesehen. Im epischen Kontext erlangte der Affengott ein immer stärkeres Eigengewicht. Durch Tulsidas' Nachdichtung der Ramageschichte im 16. Jh., dem populären Ramcaritmanas, gewann die Verehrung Hanumans besonders in Nordindien weiterhin an Bedeutung. Tulsidas griff besonders den Aspekt des idealen hingebungsvollen Verehrers auf. Die individuellen und mitunter derben Züge des Affenhelden traten in den Hintergrund und gaben einer bedingungslosen Ergebenheit "dem Herrn" gegenüber Raum. Die göttlichen Attribute Hanumans nahmen zu und er galt schließlich als derjenige Gott im dunklen Zeitalter Kaliyuga, der Wünsche erfüllt und Schwierigkeiten aus dem Weg räumt. Die Zahl der Hanuman-Tempel und -Bilder stieg in den folgenden Jahrzehnten kontinuierlich. Spätestens im 18.Jh. hatte sich die Verehrung Hanumans in ganz Indien verbreitet. Seit einigen Jahrzehnten lassen sich landesweit Erweiterungen und Neugründungen von Tempeln und Schreinen Hanumans beobachten.

Nun darf man sich diese Entwicklung der Hanumanverehrung nicht als einen gradlinigen Prozess vorstellen. Nicht nur geschichtlich, sondern auch regional wurde die Gestalt Hanumans zum Träger unterschiedlicher Botschaften. Neben den von Herrschaftsideologen und religiösen Führern geprägten Lehren entwickelte sich eine Vielzahl individueller Sichtweisen, die sich nicht immer an den vorgegebenen mythologisch-epischen Rahmen hielten und zur Erweiterung der Wirkungsfelder, Kompetenzen und Kräfte Hanumans entscheidend beitrugen. Um das Erscheinungsbild der Hanumanverehrung für die Gegenwart aufzuschlüsseln, lässt der Vf. seiner historischen Untersuchung eine empirische Studie folgen. Im Jahre 1998 befragte er Besucher von ausgewählten Hanumantempeln in Benares nach ihrem sozialen Hintergrund, nach ihren Gedanken und Vorstellungen zu dem Gott, dessen Verehrungsstätte sie aufgesucht hatten, sowie nach ihren rituellen Verrichtungen während ihres Tempelbesuches. Hanuman ist nicht (mehr) der Gott der kleinen Leute, als der er früher gern betrachtet wurde. Seine Verehrung geht quer durch alle sozialen Lager, Altersgruppen, Bildungsschichten und Kasten. Er gilt als ein Gott für Krisenzeiten, der in Krankheit, finanzieller Not und bei Sorgen um Saat und Ernte ebenso hilft wie bei Schulprüfungen und Eheproblemen. Man wendet sich an ihn in allerlei Alltagssorgen und seine Verehrung ist durchaus diesseitsorientiert.

Hanuman ist auch nicht mehr der größte unter den kleinen Göttern Indiens, wie er früher einmal bezeichnet wurde, sondern er ist zu einer der großen Göttergestalten Indiens geworden, deren unauffällige Karriere vermutlich noch weitergeht. So gilt Hanuman inzwischen als ein mächtiger, wenn auch demütiger Gott. Von seinem früheren Herrn Rama ist er weitgehend abgekoppelt worden, wenn ihm auch nach wie vor eine gute Verbindung zu diesem Gott wie zu den anderen Göttern nachgesagt wird - was seine Mittler- und Helferfunktion noch unterstreicht. Inhaltlich sind die Vorstellungen von Hanuman nach vielen Seiten offen: religiös zum Vishnuismus, Shivaismus und Shaktismus, sozial zu Stadt und Land, arm und reich, politisch zu Toleranz und Militanz. An dieser Stelle entzieht sich die Gestalt Hanumans allen Klassifizierungsversuchen.

So zeigt uns diese gründliche Studie, wie das gewaltige Gebiet der Religionsgeschichte durch monographische Untersuchungen unter einem bestimmten Aspekt eindrücklich erschlossen werden kann. Die Vorgehensweise des Vf.s überzeugt durch die Vielfalt der verwendeten Methoden: neben archäologischen, architektur- und kunstgeschichtlichen sowie literaturgeschichtlichen Untersuchungen stellt er eine sorgfältig durchgeführte empirische Feldforschung und trägt ein ausführliches Quellenmaterial zur gegenwärtigen Hanumanverehrung zusammen. Keul zeigt zudem, dass eine präzise wissenschaftliche Recherche durchaus mit einem frischen literarischen Stil präsentiert werden kann. Zu bedauern ist lediglich, dass die Qualität der im Text integrierten Schwarzweißfotos dem übrigen Qualitätsstandard dieses Werkes nicht entspricht.