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Ausgabe:

Juni/2003

Spalte:

676–687

Kategorie:

Literatur- und Forschungsberichte

Autor/Hrsg.:

Haendler, Gert

Titel/Untertitel:

Verlagswechsel, Planungsänderung und acht neue Bände bei der Reihe "Fontes Christiani"

I. Verlagswechsel und Umgestaltung der Reihe "Fontes Christiani"

Über die bisher im Herder Verlag erscheinende Editionsreihe hat die ThLZ fortlaufend berichtet. Zuletzt wurden neun Bände der Fontes Christiani in ThLZ 127, 2002 vorgestellt unter der Überschrift "Zwischen Irenäus und Abaelard" (112-122). Dort war u. a. bemerkt worden, dass die Bände unregelmäßig erschienen und mitunter ziemlich deutlich von der ursprünglich erwarteten Reihenfolge abwichen (112). Diese Probleme können aber wohl kaum der Grund dafür gewesen sein, dass die von Beginn an hoch gewürdigte Reihe vom Jahre 2002 an in einem anderen Verlag herauskommt. An Werbung hatte es der Herder Verlag nicht fehlen lassen, man hatte die neuen Bände in den Katalogen stets rechtzeitig angekündigt, sogar ein besonderer Almanach war hergestellt worden. Das von dem Freiburger Verlag her bewährte äußere Erscheinungsbild der Bände wurde mit guten Gründen unverändert beibehalten, auch der Preis hat sich nicht erkennbar verändert. Eine Begründung für diesen doch recht ungewöhnlichen Verlagswechsel habe ich nicht gefunden.

Der Kreis der Herausgeber hat sich nur an einer Stelle geändert: An die Stelle von Norbert Brox trat Franz Dünzl, die anderen fünf Herausgeber blieben dieselben: Siegmar Döpp, Wilhelm Geerlings, Sigbert Greshake, Rainer Ilgner und Rudolf Schieffer. Beim genauen Hinsehen erkennt man, dass sich die Konzeption der Reihe doch recht erheblich verändert hat. Man vergleiche dazu die Ankündigungen auf der äußeren Rückseite der Bände: Der letzte im Herder Verlag 2001 erschienene Band 30/4 versprach dort u. a. noch folgende Bände: Augustins De doctrina christiana in zwei Bänden (einst für 2002 geplant), Cassiodors Institutiones divinarum et saecularium literarum in zwei Bänden (einst für 2000 angekündigt als Band 39,1 und 39,2), Johannes Cassians De institutis cenobiorum (einst für 2001 geplant) sowie Sulpicius Severus Chronica (einst für 2000 geplant). Auf alle diese sechs Bände scheint man jetzt beim Verlag Brepols überhaupt verzichten zu wollen. Von den 2001 in Band 30/4 noch angekündigten Bänden wurde nur ein einziger in das neue Programm 2002 übernommen: Ambrosius, De fide ad Gratianum.

Dafür werden auf der äußeren Rückseite des ersten Bandes, der im belgischen Turnhout erschien - Band 42 -, gleich dreißig neue Titel angekündigt. Darunter sind neun Kirchengeschichten: Anonymus von Kyzikos, Euseb von Caesarea, Evagrius, Johannes von Ephesus, Philostorgios, Rufin, Sokrates von Konstantinopel, Sozomenos und Theodoret. Weitere Arbeiten primär kirchengeschichtlichen Inhalts stehen auf jenem Programm: Die Laudatio Barnabae und die Inventio crucis von Alexander monachus, die Schrift De morte persecutorum von Laktanz, die Abhandlung Contra Gentes von Athanasius sowie die Berichte über Martin von Tours von Sulpicius Severus, Venantius Fortunatus und Alkuin. Briefe werden angekündigt von Augustin, Hieronymus und Sidonius Apollinaris.

Nach der neuen Planung sollen - der alten Intention folgend - auch noch weitere exegetische Schriften der alten Kirche erscheinen: Die Pseudoklementinen, Homilien von Origenes zur Genesis, die Abhandlung De Isaac vel anima von Ambrosius, der Kommentar zum Diatessaron von Ephraem dem Syrer, ein Kommentar zu dem Propheten Jona von Hieronymus. Aber auch das Mittelalter soll weiterhin reichlich vertreten sein: Abaelards Ethik unter dem Titel Scito te ipsum, der Dialogus miraculorum des Cäsarius von Heisterbach, eine Autobiographie De vita sua sive monodiarum libri tres des Guibert von Nogent, die für die späte Karolingerzeit so wichtige Schrift De institutione clericorum des Hrabanus Maurus, die Legenda aurea des Jacobus de Voragine, der Physiologus, ein Kommentar zum Hohenlied des Rupert von Deutz. Man darf gespannt sein, wie dieses fast überreiche Programm sich verwirklichen lassen wird.

II. Fünf Bände "Fontes Christiani" 2001 im Verlag Herder

II.1 Tertullian: Gegen Praxeas1

Die Einleitung stellt den Autor Tertullian vor und stützt sich dabei auf Angaben in den Werken Tertullians sowie auf Forschungen über diesen Kirchenschriftsteller. Sieben schließt sich der modernen Meinung an, dass Tertullian auch in seinen Spätschriften niemals die Großkirche verlassen wollte. Seine kirchenkritischen Schriften sind Äußerungen eines Mannes, "der innerhalb der Kirche für die von Montanus und seiner Bewegung initiierte Reform mit der bei ihm gewohnten Schärfe und Polemik kämpft" (10). Tertullian fühlte sich bei seiner Kritik "als Mitglied einer ecclesiola in ecclesia" (11). Die Übersicht über seine Werke charakterisiert kurz die 32 uns überlieferten Schriften. Acht Titel nicht erhaltener Arbeiten lassen die Vermutung zu, dass Tertullians "schriftstellerisches Werk auf insgesamt 40 Opera angewachsen wäre" (21). Zu dem oft erhobenen Vorwurf, Tertullian habe in fast allen Schriften in bissigen Auseinandersetzungen mit anderen Menschen und deren Meinungen gestanden, macht S. mit Recht geltend, "daß ihm dieses ständige Adversus und Contra von der Situation des Christentums seiner Tage auferlegt war" (26).

S. rekonstruiert die Vorgänge zunächst nur nach den Angaben von Tertullian mit dem Ergebnis: Praxeas hat vor 207 in Rom gelehrt, Tertullian schreibt erst nach 207 als Anhänger der montanistischen Bewegung (30). S. fügt freilich hinzu, seine Rekonstruktion habe "leider einen Haken" (30): "Für Hyppolyt, den unmittelbaren Zeugen der Vorgänge um den römischen Monarchismus, gibt es also keinen Praxeas" (31). S. geht den bisherigen Lösungsversuchen nach mit dem Ergebnis: "Mag es der Forschung bisher auch nicht gelungen sein, das Rätsel um die Gestalt des Praxeas vollständig zu lösen, so ist ihre Tendenz heute doch eindeutig, mit diesem Namen eine historische Persönlichkeit zu verbinden, die, auch wenn sie unabhängig vom Zeugnis des Tertullian sonst nicht bezeugt ist, nicht identisch ist mit den von anderen Quellen bezeugten monarchianischen Theologen" (34).

S. setzt sich für die Authentizität jener kurzen Formeln ein, die in den dogmengeschichtlichen Lehrbüchern häufig zitiert werden. Tertullian hat sie als Behauptungen des Praxeas objektiv zutreffend überliefert. Gleich zu Beginn wird von Tertullian die Meinung des Praxeas beschrieben: "Also, nach einer bestimmten Zeit wurde der Vater geboren, hat der Vater gelitten, wurde Gott der allmächtige Herr selber als Jesus Christus verkündet" (Adv. Prax. 1,1 = S. 69 f.). Solche und ähnliche Formeln waren "Slogans der Verkündigung des Praxeas selbst" und nicht etwa eine "böswillige Konsquenzenmacherei Tertullians" (35). Für Praxeas waren es primär drei Stellen aus dem Johannesevangelium, "die in seinen Augen die Identität von Vater und Sohn lehren": Ich und der Vater sind eins (10,30), Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen (14,9), sowie Ich bin im Vater und der Vater ist in mir (14,11). Dazu kommen Offb 1,8 und zwei Stellen aus Jesaja (45,5 und 44,24). Das ist "keine breite Palette von Schriftstellen, auf die sich Praxeas und die Seinen berufen, aber es handelt sich um Belege, die keiner komplizierten Auslegung bedurften und unmittelbar zum Ausdruck bringen, was es zu beweisen galt: Es gibt in Gott keinerlei Vielheit, keinen anderen und anderen, keinen letztlich vom Vater unterschiedenen Sohn, der Vater und der Sohn sind einer und derselbe" (37 f.).

Ähnlich dachten auch Theologen in der römischen Gemeinde. Dabei "bleibt bei aller Pointierung der Grundgedanke der Häresie, die Ablehnung einer irgendwie gearteten Vielheit in Gott, deutlich". Nach der Schrift "Widerlegung aller Häresien" des Hippolyt sagte der aus Smyrna stammende Noetus: "Diesen Vater selber nennen sie auch Sohn, er trägt zeitweise je nach den Umständen bald den einen, bald den anderen Namen" (41). Die von Hippolyt zitierten Sätze des Noet stellen die auch von Tertullian bekämpfte Irrlehre noch "deutlicher und konturenreicher vor Augen" (42).

Es war ein Missgriff, dass häufig die antitrinitarischen Theologen einfach als Monarchianer bezeichnet wurden. "Der Begriff der göttlichen monarchia steht als solcher in keiner Weise im Gegensatz zu einem dreipersönlich konzipierten Gott" (43). Dafür stehen Zeugnisse aus der ältesten Kirche: Im 1. Clemensbrief, der Didache, bei Justin von Rom und Irenäus von Lyon gibt es Stellen für ein noch unreflektiertes Bekenntnis zu "drei Namen, Vater, Sohn und Heiliger Geist, dem Inbegriff des christlichen Heils" (49).

Apologeten wie Athenagoras und Theophilus von Antiochien stützten sich auf die Lehre vom Logos, an die auch Tertullian anknüpfen konnte. "Was Tertullian mit seiner neuen Lehre von den drei Personen und der einen Substanz brachte, schließt an die hier angedeutete Logoslehre der älteren oder etwa gleichaltrigen Apologeten an, indem sie mit der Unterscheidung von Personen in Gott ein Modell liefert, das mit der Einheit in Gott nicht nur eine Zweiheit, sondern auch eine Dreiheit zusammendenkt" (52). Den Fortschritt, den Tertullian bringt, wird hoch eingeschätzt: Er korrigiert ein "Defizit der ihm vorausgehenden Versuche der Apologeten, den christlichen Gott nicht nur zu glauben, sondern auch zu denken" (52).

Detailliert untersucht S. die Schrift Contra Noetum des Hippolyt, die freilich von einem östlichen Theologen Hippolyt, nicht dem bekannten römischen Gegenbischof, stammen soll (73). Die Echtheit dieser Schrift ist angezweifelt worden, S. steht aber den Vertretern der Echtheit näher. Die Schrift Contra Noetum "wurde auf die Wende vom zweiten zum dritten Jahrhundert" datiert (77), also deutlich vor Tertullians Schrift gegen Praxeas. S. formuliert vorsichtig: "Vorausgesetzt, daß die Argumente zugunsten der Echtheit von Contra Noetum akzeptiert werden, Tertullian also von Noet abhängt und nicht umgekehrt, kommt dem Afrikaner nicht mehr der besondere Ehrentitel zu, als erster die kirchliche Trinitätslehre in aller Form und Ausdrücklichkeit gegen ihre Leugner verteidigt zu haben". Dann hätte Hippolyt - "wen immer man sich genauer unter diesem Autor vorzustellen hat" - jedenfalls Tertullian diesen Rang abgelaufen. "Es bliebe für Tertullian jedoch der Ruhm, diese Verteidigung der Trinitätslehre durch Hippolyt in vielfacher Hinsicht verbessert zu haben" (77).

Kapitel VI bringt die Wirkungsgeschichte. Die Schrift Adversus Praxean wurde wahrscheinlich von Novatian benutzt, der den Namen Tertullian jedoch nicht nennt. Laktanz und Euseb nennen Tertullian positiv, Hilarius von Poitiers und Augustin äußern Bedenken gegen ihn. Vinzenz von Lerinum sagt über Tertullian, "einen gelehrteren Mann als ihn finde man nicht, er sei in allen Wissensgebieten gleich beschlagen und mit einer ungewöhnlichen Gabe der Sprache ausgestattet gewesen, aber zuletzt sei er zu einer Versuchung in der Kirche geworden" (81). Das Decretum Gelasianum setzte alle Schriften Tertullians auf die Liste verbotener Bücher, aber man hielt sich nicht daran. Für einen Einfluss der Schrift gegen Praxeas finden sich freilich nur Spuren (81-84). Umstritten ist der Einfluss Tertullians auf die Konzilsbeschlüsse von Nizäa und Chalkedon. S. urteilt, eine direkte Urheberschaft Tertullians für die Konzilstexte sei ausgeschlossen, doch sei "ein gewisser Einfluß" möglich, dem er im Detail näher nachgeht (89-91). Zur Wirkungsgeschichte zählen "auch die Handschriften und Drucke, die sie tradieren" (91). In der ältesten Handschrift mit Arbeiten Tertullians, dem Codex Agobardinus aus dem 9. Jh., fehlt die Schrift Adversus Praxean. Für eine Edition dieser Schrift muss man sich auf zwei Manuskripte aus dem 11. Jh. stützen, doch konnte Beatus Rhenanus bei der 1521 in Basel gedruckten Erstausgabe noch Manuskripte heranziehen, die heute als verloren gelten (92). Grundlegend war die Edition von Adversus Praxean in der Wiener Kirchenväterausgabe 1906 von Emil Kroymann, dem man freilich bei aller Anerkennung seiner Leistung "ein Übermaß an willkürlichen Streichungen, unnötigen Korrekturen und kaum einleuchtenden Konjekturen" vorwarf (94). Die Ausgabe von Adversus Praxean im Corpus Christianorum 1954 folgte einem konservativeren Text des Engländers Ernest Evans von 1948. S. folgt der neuesten Edition von Guiseppe Scarpat in der Reihe Corona Patrum (Turin 1986).

Die Übersetzung des Textes (96-254) lehnt sich eng an die Vorlage an und ist nicht leicht zu lesen. Das liegt jedoch nicht am Übersetzer. Die Schwierigkeiten der Sprache Tertullians sind oft beklagt worden, zudem sind auch die erörterten Probleme nicht gerade einfach.

Als Anhang bingt S. die Schrift "Contra Noetum" (258- 312). Der griechische Text und die Übersetzung stehen in der Ausgabe unter der Überschrift "Homilie des Hippolyt, Erzbischofs von Rom und Märtyrers, gegen die Häresie eines gewissen Noet" (258 bzw. 259). Es folgt die Edition von M. Simonetti "Contra Noeto" (Bologna 2000), der diese Schrift einem sonst unbekannten ostkirchlichen Theologen gleichen Namens zuwies (258, Anm. 1). Eine Begründung dieser merkwürdigen These erhält man freilich nicht. Über den Text Simonettis im Verhältnis zu älteren Editionen von Butterworth (London 1977) und Nautin (Paris 1949) wird nichts gesagt. Ältere Literatur wird nicht mehr genannt. Es wird glatt unterschieden: "Hippolyt (I) Contro haeresin Noeti" und "Hippolyt II (von Rom) Refutatio omnium haeresium sive philosophumena" (323).

Es ist ein Verdienst, dass die Schrift Contra Noetum hier erstmals in einer deutschen Übersetzung vorgelegt wird. Die im Vergleich zu Tertullian recht knappen Sätze Hippolyts sind in der deutschen Übersetzung klar wiedergegeben. Eine Leseprobe aus Kap. 14 soll das erhellen: "Es gibt nämlich nur einen einzigen Gott: den Vater, der befiehlt, und den Sohn, der gehorcht, und den Heiligen Geist, der alles verständig macht; den Vater über allem, den Sohn durch alles, den Heiligen Geist in allem (Eph 4,6). Anders können wir den einzigen Gott nicht denken, als daß wir wirklich an den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist glauben" (297).



II.2 Speculum virginum - Jungfrauenspiegel2

Es gehört zu den Vorzügen der Reihe Fontes Christiani, dass sie immer wieder auch relativ unbekannte Dokumente bringt. 1990 hatte die Kölner Altphilologin und Kunsthistorikerin Jutta Seyfarth die erste kritische Edition der 12 Bücher "Speculum virginum" im Band 5 des Corpus Christianorum, Continuatio medievalis, vorgelegt. Nun kann sie den Text in einer zweisprachigen Ausgabe einem weiteren Leserkreis nahe bringen. Der Text wurde schon 1739 kurz bei den Maurinern erwähnt, aber erst im 19. Jh. kam es zu einem breiteren Gespräch. Das doppelchörige Epithalamium von 129 Versen am Ende der Schrift hat "schon früh das Interesse der Philologen gefunden, während die begleitenden Bilderreihen" bei den Kunsthistorikern "vor allem in den 30er Jahren durch verschiedene Arbeiten bekannt wurden" (9).

Erhalten sind 29 Handschriften und 7 Fragmente. Die Edition stützt sich auf 10 Handschriften aus dem Zeitraum 1140- 1260, die - wie in der Reihe üblich - ausführlich beschrieben werden (48-59). Sie führen zu einem Stemma (60). Die für die Edition wichtigsten und ältesten Handschriften befinden sich in London, Köln und Rom. Am exaktesten datierbar ist ein Manuskript in Leipzig, weil es die Eintragung einer Sonnenfinsternis im Jahre 1133 bietet (14). Ein Drittel der Handschriften stammt aus dem 12. und beginnenden 13. Jh. Im 15. Jh. folgte noch ein "Rezeptionsschub" mit 13 lateinischen Textzeugen sowie weiteren 25 Übersetzungen in verschiedene Volkssprachen, die "im Umfeld der devotio moderna vor allem in und um Utrecht" konzentriert sind (12).

Neben zwei literarischen Beobachtungen hilft eine Stelle aus Buch 11 bei der Datierung: Die Dialogpartner sprechen "über das Licht im Kirchenraum, das seine Schönheit und seinen Glanz erst durch die Brechung durch Glasfenster zu entfalten vermag" (15 = III, 940). Sie erwähnen, dass die glänzenden Fenster gerade durch die neuere Bauweise hervorgebracht werde. S. bemerkt dazu: "Bekanntlich wurde im Chor von St. Denis die Lichtmetaphysik als strukturelle Idee zuerst in gebaute Wirklichkeit umgesetzt. Der Chor, 1144 geweiht, gilt als Gründung der Gotik, er muß den Zeitgenossen als ein Wunder der Baukunst erschienen sein, wie das Zitat aus dem Speculum virginum eindrucksvoll belegt" (16). Auf Grund der literarischen und kunstgeschichtlichen Argumente hält die Herausgeberin es für berechtigt, "die Entstehung des Speculum virginum um 1140 anzusetzen" (17). Umstritten war die Frage nach dem Verfasser. Lange galt Conrad von Hirsau als Autor, doch findet diese Meinung "weder im Werk selbst noch in der handschriftlichen Überlieferung eine Stütze" (17). Der männliche Dialogpartner nennt sich stets Peregrinus, das könnte ein Pseudonym sein.

Gefragt wird nach der Gemeinschaft, in deren Umfeld diese Schrift entstand. Die ältesten Handschriften bringen Autorenbilder: Theodora erscheint "deutlich in geistlicher Tracht und Peregrinus als Priester mit Tonsur" (20). In Buch 8 wird Benedikt als "sanctus pater noster" bezeichnet. Die Schrift war besonders bei den Zisterziensern verbreitet. Das könnte "seinen Grund in der hohen Handschriftenproduktion und der straff organisierten Skriptorientätigkeit dieses Ordens haben" (23). Die Einleitung führt dann in eine andere Richtung: "Das Speculum virginum ist eine Lehrschrift für die virgines Christi, entstanden aus den praktischen Bedürfnissen der cura animarum und in dieser Zielsetzung ein typisches Zeugnis seiner Zeit" (23). Für die Zistercienser bedeutete die cura animarum wenig, wohl aber stellten sich die Regularkanoniker "den Anforderungen der Zeit und speziell den Problemen der weiblichen Konvente, wo sie ein weites Feld einflußreicher Tätigkeit fanden" (24).

Der Schluss des Werkes nimmt nochmals zentrale Themen auf: "Die Verheißung zukünftiger Herrlichkeit, das Gebet und den Lobpreis als einzig mögliche Formen der Annäherung an die Gottheit". Die Themen werden in kühnen Bildern abgehandelt: "Zur Beschreibung der paradiesischen Verheißung werden in Metaphern die Realien der Natur (Pflanzen, Blumen, Edelsteine) ebenso zitiert wie die Empfindungen ihrer Wirkung in Wahrnehmung von Wohlbefinden und Schrecken. Dabei wird die Freude am Detail keineswegs ausgeklammert, wenn etwa das Hochzeitsgewand der Braut im Luxus seiner teils textilen und farblichen Ausstattung und mit der Verzierung kostbaren Goldschmucks beschrieben wird" (27). Die im Speculum verwendeten Quellen sind "ein vielschichtiges Problem" (39). Neben der Bibel steht die Tradition der Väter, die unter den Kirchenvätern besonders auf Ambrosius, Augustinus und Hieronymus zurückgreift, "was sich aus deren spezieller Beschäftigung mit dem Thema der geistlichen Jungfrauenschaft ergibt" (41 f.). Auch Theologen des späteren 9. Jh.s werden genannt: Paschasius Radbertus und Johannes Scotus Erigena.

Wichtig ist das sprachliche Ausdrucksmittel des Dialogs, "der sicher über den üblichen Gebrauch als rhetorische Kunstform hinausgeht und durch szenische Lebendigkeit überzeugt. Dabei ist es nicht nur der häufige Wechsel (480 mal) der Dialogpartner in Frage und Antwort, sondern es ist die lebendige Neugierde in der Frage, die Frische unmittelbare Argumentation in der Antwort, die nahelegen, das Gespräch zwischen Peregrinus und Theodora als Spiegel einer realen Lebenssituation zu sehen, die den Leser unmittelbar in das Geschehen einbezieht" (29). Den Gesamtplan erschließen zwei Bilder am Anfang und Ende, die "das gleiche Thema von der Wurzel Jesse und den Gaben des heiligen Geistes sowohl intonieren als auch variieren und damit das Werk als eine Ganzheit erweisen, die in der gleichen Thematik begonnen und beschlossen wird.

Die Bilder markieren im Zitat eines nahezu identischen Bildtyps Thema und Zusammenfassung des Werks, wobei auch hier wieder der Autor selbst im Text auf diese Funktion hinweist, indem er Theodora am Schluß der Erörterung an das auf dem Titelbild angezeigte Thema erinnern und seine Lösung einfordern läßt (36).

Buch 4 verweist auf die Bäume bzw. ihre Früchte und verwendet dazu das Schema von Tugend und Laster: "Siehst du, Tochter, da hast du nun, worüber du dich freuen kannst, wenn du von der besseren Frucht kostest und im Blick auf das Bessere das unterläßt, was schlechter ist; du hast aber auch Grund zur Trauer, wenn du das Gute, das du hast, übermütig in die Tiefe wirfst. Hier wird dir nun die zweifache Frucht vor Augen gestellt, auf der einen Seite Gefahr für das Leben und das Bild allen Elends, auf der anderen Seite Rettung und Gnade durch das Geschenk der verschiedenen Tugenden". Theodora nimmt dieses Bild auf: "Du hast im Bild und in der Beschaffenheit der beiden Bäume das Vorrücken von Tugenden und Lastern bis hierher einleuchtend beschrieben ..." (293).

Eine zentrale Rolle spielt Maria als Vorbild für die Jungfrauen, die besonders ausführlich in Buch 5 zum Ausdruck kommt. Eine weitere Leseprobe soll die strenge Anlehnung der Übersetzerin an die lateinische Sprachform ebenso zeigen wie auch die Art jenes Gesprächs. Die Schülerin Theodora bittet ihren Lehrer Peregrinus, er möge sich beim Lob der Maria länger aufhalten und begründet dann diesen Wunsch: "Denn es ist unmöglich, daß die Dienerinnen einer so großen Herrin vom Weg abweichen, wenn sie aus der Verherrlichung der Herrin, die ihnen voranschreitet, ersehen, daß der Weg zu Wahrheit und Reinheit für ihre Nachfolgerinnen offensteht" (365). Peregrinus hält es zunächst für anmaßend, sich zu einem so hohen Thema zu äußern. Aber dann beruft er sich auf Bibelstellen: "In dieser Jungfrau, nach der du fragst, erfüllen sich die Geheimnisse göttlichen Erbarmens, die Himmel neigten sich ihretwegen, die Wasserquellen zeigen sich und die Fundamente des Erdkreises werden enthüllt" (Ps 18,16; Vg. Ps 17,16). Kurz darauf beruft sich Peregrinus auf das Hohelied: "Diese also ist des ewigen Königs Braut, diese die Tochter, Mutter und Jungfrau, Taube, Schwester und Freundin (Hld 5,2), des einzigen Gottes einzige Mutter, im Himmel schon als Mutter des Gottessohnes vorbestimmt, bevor sie geboren war; diese ist die Freude und Herrlichkeit der Engel, weil sie die friedenstiftende Mittlerin zwischen dem Obersten und Untersten ist, sie ist Morgenröte, Sonne, Mond und Stern, und zwar Morgenröte darum, weil sie in ihrer Geburt der Sonne der Gerechtigkeit (vgl. Mal 3,20) voran ging ..." (367).

Peregrinus geht in seiner Bibelexegese noch weiter: Er sieht eine Beziehung der Maria zum brennenden Dornbusch (Ex 3,2) sowie zum Stab Aarons (Num 17,6). Theodora nimmt diese Beweise an und stellt zum Abschluss fest, es sei "wirklich ein würdiger, geistlicher Vorgang, daß alle bemerkenswerten und tieferen Geheimnisse, die dem alten Volk geweissagt waren, auf Mariens Schönheit und Anmut verweisen, aus der die Schönheit der Gerechtigkeit (Jer 31,23 Vg.) sichtbar hervorging, in der die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt (Kol 2,9)" (371).

Peregrinus kann jedoch auch auf heidnische Frauen hinweisen, z. B. auf die Tochter Catos, die nach dem Tode ihres Mannes eine neue Verheiratung ausschloss. Es ging darum, "in Worten und Beispielen den Frauen der Kirche Anreize zur Keuschheit einzuschärfen. Wenn sich nämlich die Männer und Frauen, die dem Heidentum unterworfen waren, um Keuschheit bemühten, um wieviel mehr werden dann diejenigen die fleischliche Liebe überwinden, denen das Himmelreich versprochen ist" (Buch 7, 617).

Auf den Seiten 61-66 wird ein Überblick über den Inhalt der zwölf Bücher gegeben, der für manchen Leser einen nützlichen Einstieg in das umfangreiche Werk bieten kann. Die Bildquellen (1052), Abkürzungen, eine Bibliographie mit Quellen (1061- 1070) und Literatur sowie umfangreiche Register (1080-1107) beschließen diese gründliche Ausgabe, die letzte in der Reihe Fontes Christiani, die im Herder-Verlag erschienen ist.

III. Drei Bände Fontes Christiani 2002 im Verlag Brepols

III.1 Tertullian: De praescriptione haereticorum3

Den Band mit seinen 326 Seiten nimmt man mit etwas Erstaunen zur Hand, denn Tertullians Schrift De praescriptione haereticorum gehört zu seinen bekanntesten Schriften, die in vielen Editionen und Übersetzungen vorliegt: In der Bibliographie werden nur neun Texte und Übersetzungen genannt, ältere Ausgaben werden nicht berücksichtigt (343 f.). Es fehlt auch die in vielen Bänden der Fontes Christiani übliche Textgeschichte. Der gebotene Text ist nicht neu, Schleyer folgt der Ausgabe von R. F. Refoulé im Corpus Christianorum Latinorum I (1954), 185-224. Dazu werden sieben Abweichungen vom Text im CCL genannt, in vier Fällen wird auf besondere Lesarten in einer etwas späteren Edition Refoulés in den Sources Chrétiennes 46 (1958) verwiesen. Tertullians Arbeit De praescriptione ist eine relativ kurze juristische Untersuchung, die in 44 Paragraphen gegliedert ist. Text und Übersetzung nehmen 98 Seiten ein (230-327), doch bleibt mancher freie Raum auf der Seite des lateinischen Textes, denn die deutsche Übersetzung ist länger als der lateinische Text, wie es auch in anderen Fällen üblich ist. Die Übersetzung wurde neu erarbeitet, bleibt aber doch nahe an der Übersetzung, die 1915 von H. Kellner und H. G. Esser in der Bibliothek der Kirchenväter in Band 24 vorgelegt worden war. Die Übersetzung erstrebt "zwei Ziele, die erfahrungsgemäß häufig nur schwer miteinander zu vereinen sind: Texttreue im Sinne einer möglichst weitgehenden formalen und inhaltlichen Äquivalenz und gute Verständlichkeit, verbunden mit einer stilistisch annehmbaren Übersetzung". Bei Zweifelsfällen wurde "die inhaltliche Äquivalenz der formalen vorgezogen" (221). Die langen Sätze Tertullians wurden dabei mitunter aufgelöst. Der Zusammenhang der deutschen Übersetzung mit dem lateinischen Text Tertullians dürfte jedoch auch für Benutzer ohne Lateinkenntnisse stets erkennbar bleiben.

Nachstehend seien Passagen aus der Übersetzung des Textes wörtlich wiedergegeben, die für den Gedankengang Tertullians und auch für die deutsche Übersetzung exemplarische Bedeutung haben. Tertullian beschreibt, wie fruchtlos ein Streit um Bibelstellen sein kann: "Was wirst du ausrichten, der du so gewandt bist im Umgang mit der Schrift? Wenn du nämlich etwas verteidigst, bestreitet man es auf der Gegenseite, und wenn du etwas bestreitest, so verteidigt man es. Du aber wirst im Streit nur deine Stimme verlieren, du wirst nichts davon haben als Verdruß infolge ihrer Lästerungen. Angenommen, es gibt jemanden, um dessentwillen du dich zu einer Auseinandersetzung über die Schrift herbeiläßt, um ihm in seinem Zweifel Sicherheit zu geben, wird jener dann zur Wahrheit oder eher zu Häresien hinneigen? Gerade deswegen ist er beunruhigt, weil er sieht, daß du nichts ausgerichtet hast: In der Bestreitung und in der Verteidigung ist die Position die gleiche; es herrscht jedenfalls Gleichstand" (Kap. 17/18, 263/65).

Dagegen argumentiert Tertullian: Die Kirche wurde auf Befehl Christi gegründet von den Aposteln. Zwischen den apostolischen Gemeinden besteht Einheit dadurch, "daß man einander den Frieden gewährt, sich Bruder nennt und durch das Band der Gastfreundschaft miteinander verbunden ist" (Kap. 20, 269). Mit den apostolischen Gemeinden ist auch Tertullians Gemeinde in Karthago verbunden. "Wir haben Gemeinschaft mit den apostolischen Gemeinden, weil unsere Lehre in keinem Punkt von ihrer abweicht: Dies ist das Zeugnis für ihre Wahrheit" (Kap. 21, 271). Nur diesen Gemeinden steht die Bibel zu. Daher will Tertullian "den Häretikern nicht gestatten, sich auf die Schrift zu berufen, die, wie wir ohne die Schrift beweisen, mit der Schrift nichts zu tun haben. Wenn sie nämlich Häretiker sind, können sie nicht Christen sein, da sie nicht von Christus her besitzen, was sie aufgrund ihrer eigenen Wahl befolgen und als Häretiker sich zuschulden kommen lassen. Daher erhalten sie als Nichtchristen keinerlei Recht auf die christlichen Schriften" (Kap. 37, 307/09).

In seiner Einleitung formuliert S.: "Nach der resümierenden Begründung des Eigentumsrechtes an der Schrift geht Tertullian über zum Modus der Eigentumsübertragung und des Eigentumsrechtes mit der Feststellung, daß die orthodoxen Gemeinden die Erben der Apostel sind" (132). Es ist für S. vor allem "wichtig, daß Schlüsselbegriffe wie praescriptio, auctor/auctoritas, sacramentum, fides, disciplina, regula mit ihrer jeweiligen Bedeutungsnuance in der Übersetzung, soweit möglich, zur Geltung kamen" (222). Das hat der Übersetzer auch gleich mit dem im Titel verwendeten Begriff praescriptio getan, den er nicht nach der alten Übersetzung in der BKV mit dem Wort "Prozeßeinrede" widergibt, sondern mit einem erklärenden Beiwort übersetzt: "prinzipieller Einspruch". Es bleibt abzuwarten, ob sich diese neue deutsche Überschrift durchsetzen wird.

Der Wert des Bandes liegt vor allem in der gründlichen Einleitung (10-227), die rund zwei Drittel des Bandes ausmacht. Kap. I erörtert die Stellung der Schrift De praescriptione haereticorum im Leben und Werk Tertullians. Kap. II stellt die Konzeption dieser Schrift dar (11-14). Kap. III nennt die repräsentativen Häretiker Valentin und die Valentinianer, Marcion und seinen Schüler Apelles (14-64). Kap. IV "Zur Rolle der Philosophie in De Praescriptione und im Gesamtwerk Tertullians" relativiert die negativen Urteile. Die Philosophie kann auch positiv wirken "als Propädeutik der Offenbarung in der Auseinandersetzung mit einem heidnischen Publikum und den Häresien" (78). Sie steht mitunter sogar "im Dienst der polemischen Argumentation und der Interpretation der Offenbarungswahrheit" (83). Kap. V ist überschrieben "Das doppelte Gesicht der curiositas in praescr. 8-14 und die Auslegung von Mt 7,7 (Lk 11,9)". Gnostiker beriefen sich häufig auf das Wort aus der Bergpredigt "Suchet, so werdet ihr finden". Tertullian warnt dagegen "vor einer verderblichen curiositas, die die Glaubensregel in Frage stellen könnte" (91). Dem Kap. VI "Die Berufung der Häretiker auf die Schrift, das Prinzip der Apostolizität und die Infragestellung der apostolischen Tradition" (94-100) folgt das Kap. VII "Das Prinzip der Apostolizität und seine Absicherung als Wahrheitskriterium" (100-104).

Kap. VIII enthält auch die Gründe für die Änderung des Titels: "Die praescriptio und ihre Bedeutung für die gedankliche Struktur des Werkes" (105-145). Es gab juristisch verschiedene Formen der praescriptio (107-113), die jedoch kaum von Tertullian gemeint sein können. Der Abschnitt VIII,2 "Gebrauch von praescriptio in den Schriften Tertullians und seine Herkunft" führt zu der Erklärung: Es geht um einen "Zusammenhang mit den schweren Verfahrensmängeln der Christenprozesse, die die römischen Behörden Tertullian zufolge zu verantworten haben", um "einen prinzipiellen Einwand, der gegen die Christenprozesse zu erheben ist". Der Begriff praescriptio wird in zwei speziell juristischen Exkursen erörtert (137-141 und 141-143), seine Tragkraft steht in Kap. IX nochmals auf dem Prüfstand: "Zur Beweiskraft der praescriptiones im vorliegenden Werk" (145-152).

Kap. X "Die apostolische Tradition" stellt die Bedeutung der Gemeinden fest, und geht zuletzt noch auf die Bedeutung des Bischofsamtes ein, die in De praescriptione 32 zum Ausdruck kommt. "Apostolische Sukzession und apostolische Tradition gehören somit untrennbar zusammen" (208). S. bringt dazu noch Zitate aus anderen Tertullianschriften, insbesondere aus De baptismo. Das letzte Kapitel XI vergleicht "Tertullians Leistung auf dem Hintergrund der seines Vorgängers Irenäus von Lyon". Von der Weitschweifigkeit des Irenäus hebt sich Tertullian ab, dem es gelungen ist, "durch Beschränkung auf einige wesentliche Gedanken seines Vorgängers, das heißt auf formale Kriterien der Glaubenswahrheit, eine nicht nur gegen alle Häresien gerichtete, sondern auch systematische und relativ kurze Argumentation aufzubauen, die sich durch rhetorische Meisterschaft auszeichnet, sichtbar in den stilistischen Mitteln und in der Prägnanz und Präzision ihrer Formulierungen" (221). Deutlich ist eine gewisse Identifizierung des Bearbeiters mit seinem "Helden" Tertullian, die aber dem Gelingen des Bandes insgesamt durchaus zu Gute gekommen ist.



III.2 Augustinus - Hieronymus: Epistulae mutuae4

Der Herausgeber Alfons Fürst ist durch sein 1999 erschienenes Buch "Augustins Briefwechsel mit Hieronymus" (JAC.E 29) sowie mehrere Arbeiten zur Thematik für diese Edition bestens ausgewiesen. In der Einleitung stellt er zunächst unter der Überschrift "Eine Freundschaft in Briefen" die Lebensläufe der beiden Kirchenväter Augustinus und Hieronymus nebeneinander. Er erörtert die anregende Vorstellung, dass es schon in den Jahren 383/384 zu einer Begegnung in Rom hätte kommen können. Freilich sagt er zu der Möglichkeit: "Biographisch, gesellschaftlich und kirchlich waren sie in diesen Monaten zu unterschiedlich verortet, als daß eine Begegnung auch nur wahrscheinlich gewesen wäre".

Augustin war zu jener Zeit "der ziemlich einsame, intellektuelle Rhetorikerlehrer mit seinem brennenden Interesse an philosophisch-religiösen Fragen, das ihn in Karthago zu den Manichäern getrieben hatte, zu denen er in Rom noch lose Kontakte hielt, obwohl er sich bereits von ihnen distanzierte, weil sie ihre Versprechungen an rationaler Einsicht nicht einlösten, ohne zu wissen, wie es beruflich und vor allem mit seiner religiösen Suche weitergehen sollte". Anders wird die damalige Lage des Hieronymus beschrieben: "In denselben Jahren 383/384 ist ein anderer, etwa sieben Jahre älterer, aber immer noch junger Mann als Sekretär des Bischofs Damasus und als exegetischer und spiritueller Lehrer eines Kreises adliger Damen auf dem Aventin eine der schillerndsten Figuren in römischen Klerikerkreisen" (10). Hieronymus war damals "der schon berühmte Bibelgelehrte und Asket mit Wüstenerfahrung, der im Gefolge von Bischöfen aus dem Osten nach Rom, wo er bereits studiert hatte, gekommen war und sogleich Bischofssekretär wurde" (12). Die Tatsachen sind bekannt, aber die Art und Weise, wie die Unterschiede zwischen den späteren Kirchenvätern in den Jahren 383/384 dargestellt werden, macht einfach Freude am Lesen.

Kap. II beschreibt postalische Schwierigkeiten und unterscheidet im Briefwechsel die Phasen von 394 bis 405 und von 415 bis 419. Briefe waren damals im Durchschnitt zwei bis drei Monate unterwegs, manche auch über zwei Jahre, manche Briefe kamen gar nicht an. Dazu gab es Probleme bei der Überlieferung der Briefe. Eine Tabelle bietet einen Überblick (14 f.), die danach folgende Darstellung des Briefwechsels zeigt die verschlungenen Vorgänge mit ihren Möglichkeiten im Detail und manchen offenen Fragen (13-26).

Kap. VI "Überlieferung, Editionen, Übersetzungen" geht davon aus, dass beide Briefpartner ganz bewusst von vornherein auch mit der Möglichkeit eines größeren Leserkreises gerechnet haben. "Im Einklang mit den Publikationsusancen der Spätantike war ein Brief, der nach Art eines Traktats ein exegetisches, dogmatisches oder anderes Thema erörterte, mit seiner Übersendung an den Adressaten als publiziert und auch Dritten zugänglich anzusehen" (87). Man kann sicher davon ausgehen, "daß diese Korrespondenz nicht nur in den Archiven der beiden Briefpartner vorhanden war, sondern daß einzelne Briefe oder Briefgruppen auch schon zur Zeit ihres Austauschs zirkulierten" (88).

"Überraschenderweise ist Augustins Briefwechsel mit Hieronymus - jedenfalls zum Teil - auch im byzantinischen Christentum bekannt geworden" (89). Zwar haben Augustins Werke jahrhundertelang für die griechischen Theologen keine Rolle gespielt, im Rahmen der Unionsverhandlungen des 13. und 14. Jh.s jedoch sind Werke Augustins ins Griechische übersetzt worden, darunter auch sein Briefwechsel mit Hieronymus. Im Abendland wurden diese Briefe im Rahmen der Augustinbriefe wie auch der Hieronymusbriefe überliefert. Erste Drucke gab es in Rom 1468 (Hieronymus) und Straßburg 1471 (Augustin). Erasmus hat sowohl bei der Werkausgabe Augustins wie auch des Hieronymus eine wichtige Rolle gespielt. Die ersten kritisch-modernen Editionen kamen in der Wiener Kirchenväterausgabe CSEL heraus: Die Augustinbriefe von Alois Goldbacher (Bd. 34, 1-2), die Hieronymusbriefe von Isidor Hilberg (Bd. 54-56). Die erste Separatausgabe besorgte Josef Schmidt 1930 in der Reihe Florilegium patristicum, Bd. 22. Zur Zeit wird eine neue Ausgabe der Augustinbriefe im CCL vorbereitet, die bereits für den vorliegenden Band genutzt werden konnte (91).

Das zentrale Kap. III "Die Themen" verweilt am längsten bei dem Disput über den Konflikt zwischen Paulus und Petrus nach Gal 2,11-14 (27-51), der in mehreren Briefen vorkommt. Kurz wird die Bibelstelle erörtert. Die ältesten Ausleger betonten die Einheit: "Ein Streit zwischen Aposteln ist in diesem Bild apostolischer Einheit in Wort und Tat nicht unterzubringen, weil er den apostolisch fundierten Wahrheitsanspruch des Christentums zu untergraben scheint" (29). Origenes hat sich mehrfach mit der Auslegung des Galaterbriefes beschäftigt. Seine Werke sind verloren, lassen sich aber rekonstruieren, da sowohl Chrysostomos wie auch Hieronymus seine Auffassung überliefert haben. Demnach hat es in Gal 2,11-14 keinen echten Streit zwischen den Aposteln gegeben. "In Wirklichkeit hätten sowohl Petrus als auch Paulus klug und geschickt gehandelt, um beiden Gruppen in der antiochenischen Gemeinde, Juden- wie Heidenchristen, die Wahrheit des Evangeliums klar zu machen und Heil zu vermitteln. Nicht Petrus habe sich nämlich im Irrtum befunden oder einen Fehler gemacht, sondern die antiochenischen Judenchristen, da sie weiterhin von der Heilsnotwendigkeit des jüdischen Zeremonialgesetzes überzeugt gewesen seien. Aus Sorge um ihr Heil habe sich Petrus ihren falschen Vorstellungen gemäß verhalten, ohne sie seinerseits zu teilen. Die Heidenchristen indes hätten dieses pastorale Manöver mißverstanden ..." (33).

F. zeigt überraschend viel Verständnis für diese Deutung: "Dieses exegetische Kabinettstück mutet phantastisch an, ist aber tief durchdacht und durchweg methodisch. Nachvollziehbar wird es freilich erst, wenn man sich die hermeneutischen Prinzipien vor Augen führt, auf denen ein solches Auslegungsverfahren beruht" (35). In der Antike hielt man eine Lüge unter bestimmten Bedingungen im Interesse eines anderen (nicht aus Eigennutz) für zulässig. Auf diese Weise "erweist sich der Streit in Antiochia als ausgesprochen hintergründiges Geschehen, durch das hindurch transparent wird, worum es in der Bibel an jeder Stelle geht: Gottes Heil für die Menschen" (36).

Augustin kritisierte freilich diese Auslegung des Hieronymus als grundfalsch und verheerend. Er wandte sich generell gegen eine "Lüge im Dienst der Heilsvermittlung" (mendacium officiosum) (40). Augustin stellte ihr seine Auslegung entgegen und sah bei dem Vorgang "erbauliche Seiten" (43): Petrus hat "aus heiliger und gütiger Demut pietätvoll akzeptiert, was Paulus aus liebevollem Freimut zu seinem Nutzen getan hat. Er hat der Nachwelt somit ein selteneres und heiligeres Beispiel zur Nachahmung hinterlassen als Paulus, nämlich Kritik auch von Jüngeren nicht zu verschmähen, sollte man einmal vom rechten Pfad abgekommen sein, während Paulus lehrt, auch als Untergebener offen und ehrlich den Mut zu haben, Vorgesetzten ohne Verletzung der brüderlichen Liebe Widerstand zu leisten, um die Wahrheit des Evangeliums zu verteidigen" (Bd. II, 309, Brief 82,22).

Hieronymus hat diese Deutung in Brief 112,5 als "novum argumentum" zurückgewiesen (178). F. sagt dazu, dass Augustin mit dieser Auslegung "die westkirchliche Tradition bestimmte" (44).

Er steht freilich kritisch dazu und spricht von einem trivialen Biblizismus Augustins, der sonst an vielen "im Wortlaut unwahren Stellen die Wahrheit auf allegorischer oder typologischer Ebene gesucht und damit eben das exegetische Prinzip angewendet, das er im Falle von Gal 1,11-14 grundsätzlich bestritten hat, nämlich die tiefere Wahrheit einer im Wortsinn unwahren Geschichte aufzuspüren (hier eines Streits zwischen Aposteln, der nach den theologischen Grundsätzen der Alten Kirche in den Augen des Origenes und der ihm folgenden Exegeten nicht wahr sein kann)" (50 f.). Ein Aspekt wird völlig ausgeblendet: Die Bedeutung von Gal 2,11-14 für das päpstliche Amt. Einmal wird das Problem bei der Erwähnung Cyprians gestreift (40, Anm. 89), aber nur antidonatistische Aspekte werden dort genannt. Karl Holls Arbeit über die Bedeutung von Gal 2,11-14 für Luther bleibt ebenso unerwähnt wie kritische katholische Theologen, die bei ihren Anfragen an die päpstliche Unfehlbarkeit sich auch auf den Widerstand des Paulus gegen Petrus gestützt haben.

Ausführlich werden die bekannten Einwände Augustins gegen Details der Bibelübersetzung des Hieronymus dargestellt. Hieronymus zog auch den hebräischen Text heran, den Augustin und die meisten Kirchenväter nicht kannten (51-60). Weitere Themen waren die Frage nach der Herkunft der Seele (60-70), das Verständnis von Jak 2,10 und kleinere Probleme (71-80).

Kap. VI "Eine schwierige Beziehung" bemerkt, jener Briefwechsel sei "ein in der Antike und im frühen Christentum einzigartiges Beispiel für einen erbitterten Disput in den geschliffenen Formen spätantiker Höflichkeit" gewesen (74). Dabei war Hieronymus "dialog- und kritikunfähig, weil er Augustins kritische Anfragen als persönliche Kränkung empfand" (77). Die Briefe beider Kontrahenten waren "literarische Kunstwerke auf höchstem Niveau" (80). Beide streuten oft griechische Worte ein, bezogen sich auf mythologische und philosophische Zusammenhänge der (heidnischen) Antike. Insgesamt blieb Hieronymus distanzierter, während sich Augustin eher um einen freundschaftlichen Ton bemühte. Trotz mancher lobenden Worte Augustins zur Gelehrsamkeit des Hieronymus hat sich die stets schwierige briefliche Beziehung "nie zu einer wirklich engen Freundschaft entwickelt" (80).

Die beiden Bände sind vorbildlich gearbeitet. Die Einleitung und die Verzeichnisse (Bd. II, 472-543) sind klar und hilfreich, nicht so aufgebläht wie bei anderen Bänden. Weitere Bände nach diesem Muster wären der Reihe zu wünschen.

Fussnoten:

1) Tertullian: Adversus Praxean. Gegen Praxeas. Im Anhang: Hippolyt: Contra Noëtum. Gegen Noët. Übers. u. eingel. von H.-J. Sieben. Freiburg-Basel-Wien-Barcelona-Rom-New York: Herder 2001. 356 S. 8 = Fontes Christiani, 34. Kart. ¬ 31,00. ISBN 3-451-23821-7.

2) Speculum Virginum = Jungfrauenspiegel. 4 Teilbände. Übers. u. eingel. von J. Seyfarth. Freiburg-Basel-Wien-Barcelona-Rom-New York: Herder 2001. Teilbd. I: 283 S.; Teilbd. II: VII, S. 284-563; Teilbd. III: VII, S. 564-839; Teilbd. IV: VI, S. 840-1107. 8 = Fontes Christiani, 30/I-IV. Teilbd. I: Lw. ¬ 37,00. ISBN 3-451-23914-0; Teilbd. II: Lw. ¬ 37,00. ISBN 3-451-23915-9; Teilbd. III: Lw. ¬ 37,00. ISBN 3-451-23916-7; Teilbd. IV: Kart. ¬ 32,00. ISBN 3-451-23857-8.

3) Tertullian: De Praescriptione Haereticorum = Vom prinzipiellen Einspruch gegen die Häretiker. Übers. u. eingel. von D. Schleyer. Turnhout: Brepols 2002. 363 S. 8 = Fontes Christiani, 42. Kart. ¬ 35,42. ISBN 2-503-52106-1.

4) Augustinus - Hieronymus: Epistulae Mutuae = Briefwechsel. 2 Teilbde. Übers. u. eingeleitet v. A. Fürst. Turnhout: Brepols 2002. VIII, 543 S. 8 = Fontes Christiani, 41/1 u. 2. Teilbd. 1: Kart. ¬ 30,75. ISBN 2-503-52102-9. Teilbd. 2: Kart. ¬ 32,62. ISBN 2-503-52104-5.