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Ausgabe:

Juni/2003

Spalte:

662 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Josuttis, Manfred

Titel/Untertitel:

Texte und Feste in der Predigtarbeit.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 2002. 160 S. 8 = Homiletische Studien, 3. Kart. ¬ 34,95. ISBN 3-579-05384-1.

Rezensent:

Gert Otto

Mit dem dritten Band schließt Josuttis die Veröffentlichung seiner homiletischen Studien ab (Bd. 1: Rhetorik und Theologie in der Predigtarbeit, 1985, vgl. ThLZ 112 [1987], 695-697; Bd. 2: Gesetz und Evangelium in der Predigtarbeit, 1995, vgl. ThLZ 122 [1997], 292-294). Man mag bedauern, dass J. keine Gesamtkonzeption seiner Homiletik ausgearbeitet hat, aber in jedem Fall gilt: Die vorliegenden drei Bände enthalten eine exemplarische Auswahl der homiletischen Grundfragen.

Unter den beiden Leitbegriffen "Texte" und "Feste" versammelt J. zwölf Studien, jeweils im Umfang von 15 bis 20 Seiten. Die ersten vier sind hermeneutischen und theologischen Fragestellungen gewidmet; die übrigen acht haben Feste und Festzeiten des Kirchenjahres zum Thema. Die stupende Belesenheit des Autors, nicht nur in theologischen Gefilden, sondern ebenso in historischer, in psychologischer, in verhaltens- und sozialwissenschaftlicher Literatur, macht die Lektüre ungemein anregend. Als Beispiele will ich zwei Kapitel etwas näher vorstellen, eins aus dem ersten und eins aus dem zweiten Teil des Buches.

Das Buch beginnt mit dem Kapitel "Die Wahrheit der Predigt" (8-18). Als Einstieg lässt J. am Beispiel der Wahrheitsfrage die verschiedenen neueren homiletischen Ansätze Revue passieren: den dogmatischen, den hermeneutischen und den phänomenologischen. Dabei zeigt sich, wie sich die Wahrheitsfrage Schritt um Schritt von den Inhalten (dogmatischer Ansatz) fortbewegt und in die Person der Prediger und Predigerinnen verlagert. Damit kommen zugleich die Hörer der Predigt ins Blickfeld (Ernst Lange). So ist der Schritt von der Frage "Was predigen wir" zu der Frage "Wem predigen wir?" getan. Eine der Konsequenzen ist die Wiederentdeckung der Rhetorik für die Homiletik und die Einbeziehung der Kommunikationswissenschaft. Der phänomenologische Ansatz fragt über die vorher genannten Ansätze, diese in sich aufnehmend, hinaus: "Wo findet die Wahrheit ihren Raum?" (16) Antwort: im "gottesdienstlichen Ritual"; dabei ist "der rituelle Weg als Methode zu sehen, um sich der Präsenz von Wahrheit Schritt für Schritt anzunähern" (18). Es ist deutlich, dass J. hier ganz im Umkreis seiner Einführung in den Gottesdienst "Der Weg in das Leben" (1991) argumentiert.

Als zweites Beispiel wähle ich aus den Beiträgen zum Festkreis des Kirchenjahres das Kapitel "Passion" (77-86). Ausgangspunkt ist für J. kein Text und kein Theologumenon, sondern eine zeitgeschichtliche Beobachtung: "Ihre zentrale Bedeutung für die protestantische Frömmigkeit hat die Passionspredigt inzwischen verloren" (77). Dies ist die Konsequenz einer Verschiebung im gesellschaftlichen Festverhalten, bei der das Weihnachtsfest den Karfreitag sozusagen überholt hat. Damit haben sich auch die Inhalte der Passionspredigt verändert. J. zeigt das im Anschluss an die Untersuchung von Karfreitags- und Osterpredigten von Walther-Sollich an den früher leitend gewesenen Topoi der Passionspredigten. Sie sind heute nicht mehr wiederholbar. Für heute gilt: "Die Passionspredigt vollzieht ... Leidensarbeit dadurch, dass sie ... das Leiden in das Leben integriert." (83) Ihre kritische Spitze ist die Entlarvung des Traums "von einem perfekten Leben" (85).

Das Passionskapitel ist ein Beispiel für J.s vorzüglich gelungenen Versuch, homiletisches Denken nicht als Deduktion aus vorausgesetzten Theologumena auszubremsen. Vielmehr findet es seine Spur durch die Anbindung an die Adressaten der Predigt und die sie bestimmenden konkreten Lebensphänomene. Dies an der Festtagspredigt vorgeführt zu haben, ist der gar nicht zu überschätzende Gewinn des Buches.