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Ausgabe:

Juni/2003

Spalte:

648 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Harnack, Adolf von

Titel/Untertitel:

Wissenschaftspolitische Reden und Aufsätze. Zusammengestellt u. hrsg. von B. Fabian.

Verlag:

Hildesheim-Zürich-New York: Olms 2001. XX, 333 S. gr.8. Lw. ¬ 39,80. ISBN 3-487-11369-4.

Rezensent:

Reinhart Staats

Die vom emeritierten Anglisten Bernhard Fabian zusammengestellten Harnack-Texte wiederholen nicht nur mit 14 Titeln, sondern ergänzen sogar mit immerhin 23 Titeln die 1996 von Kurt Nowak veranstaltete große Ausgabe: Adolf von Harnack als Zeitgenosse. Reden und Schriften aus den Jahren des Kaiserreichs und der Weimarer Republik (vgl. ThLZ 126 [2001], 476 u. 487).

Einiges vom Neuen, wie etwa die Reden zur Einweihung von Kaiser-Wilhelm-Instituten für Kohleforschung oder Eisenforschung, mag die theologischen Leser wenig interessieren. Anders verhält es sich mit der "Denkschrift Sr. Majestät dem deutschen Kaiser unterbreitet" (1909), einem Markstein in der Geschichte der heutigen Max-Planck-Gesellschaft. Erst recht darf man den Aufsatz aus Harnacks letztem Lebensjahr "Stufen wissenschaftlicher Erkenntnis" (1930) für sein theologisch wissenschaftliches Vermächtnis halten (vgl. ThLZ 127 [2002], 606). Auch andere Titel bieten wertvolle Ergänzungen über Nowak hinaus: Rede zur Zweihundertjahrfeier der Akademie (1900, gleichzeitig mit "Wesen des Christentums"!); Leibniz und Wilhelm von Humboldt als Begründer der Königl. Preußischen Akademie der Wissenschaften; Wissenschaft und Kultur; Gedanken über Wissenschaft und Leben. Diese "Gedanken" von 1905 kulminieren in Harnacks am christlich Humanen interessierten Bildungsbegriff. Gegen alle Kanonisierungsversuche von "Bildung" und deren Beschränkung auf die Erkenntnis von Tatsachen und Gesetzen betont Harnack: "Das im höheren Sinn Bildende ist die Anschauung des Einzelnen und innerhalb dieses Einzelnen ist es der Mensch" (226). Ein bekannter Harnack-Aphorismus passt dazu, mag er auch apokryph sein: "Bildung ist das, was übrig bleibt, wenn man alles Gelernte vergessen hat".

"Die Wissenschaft gießt oft dann ihren wohltätigsten Segen auf das Leben aus, wenn sie dasselbe gewissermaßen zu vergessen scheint" - zu diesem Wort Humboldts lieferte Harnack 1907 die evangelische Korrektur: "Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes, so wird euch solches alles zufallen" (33 u. 223). Ähnlich und fast gleichzeitig (1906) fand ja auch Albert Schweitzer sein Lebensprogramm: "In der Willensgemeinschaft mit Jesus von der Welt und uns selbst frei werden und Kraft und Frieden und Mut zum Leben finden" (Geschichte der Leben Jesu-Forschung, Schluss), und Hanns Lilje sah angesichts der sozialen Not nach 1945 den Erfindungsreichtum christlicher Diakonie in Mt 6,33 begründet: "... so wird euch etwas einfallen".

Der Herausgeber ist auch Buch-Historiker, weshalb er auch Bibliothekswissenschaftliches über Nowak hinaus präsentiert. Harnack erweist sich auch auf diesem Felde als praktisches Vorbild für den akademischen Nachwuchs, wo er z. B. (mit Theodor Mommsen) gegen die Verwandlung der Königlichen Bibliothek in eine reine Präsenzbibliothek votiert: "Wenn den deutschen Gelehrten besonderer Fleiß nachgerühmt wird, so ist es mir nicht unwahrscheinlich, daß die Möglichkeit, die Bücher der Bibliothek zu Hause bei der Lampe zu studieren, daran einen bedeutenden Anteil hat" (111).