Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/2003

Spalte:

612–617

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Räisänen, Heikki

Titel/Untertitel:

1) Challenges to Biblical Interpretation. Collected Essays 1991-2000.

2) Fair Play: Diversity and Conflicts in Early Christianity. Essays in Honour of H. Räisänen. Ed. by I. Dunderberg, Ch. Tuckett, K. Syreeni.

Verlag:

1) Leiden-Boston-Köln: Brill 2001. X, 319 S. gr.8 = Biblical Interpretation Series, 59. Lw. ¬ 86,00. ISBN 90-04-12052-1.

2) Leiden-Boston-Köln: Brill 2002. XII, 592 S., 1 Porträt gr.8 = Supplements to Novum Testamentum, 103. Geb. ¬ 120,00. ISBN 90-04-12359-8.

Rezensent:

Jens Schröter

In dem zuerst genannten Band legt der finnische Neutestamentler Heikki Räisänen Aufsätze aus dem letzten Jahrzehnt des 20. Jh.s als "Herausforderungen" an die exegetischen Fachkolleginnen und -kollegen vor. Sie gliedern sich in die Themenkomplexe: "Jesus and the Gospels", "From Paul to Marcion" sowie "Principles and Paradigms".

Der erste Beitrag ist ein Review Essay über E. P. Sanders, The Historical Figure of Jesus (1993). R. lobt Sanders' konsequente Einzeichnung Jesu ins Judentum, ist jedoch kritisch gegenüber dessen Ablehnung einer Unterscheidung von authentischen Jesusworten und Gemeindebildungen. Die durchaus plausible These des sich innerweltlich verwirklichenden Gottesreiches bleibe ohne eine solche Differenzierung diffus. Der Kontrast zwischen dem Umkehrprediger Johannes und dem die Liebe Gottes verkündigenden Jesus werde zu stark betont, das Jesusbild von Sanders habe mehr Facetten als sich auf eine Person vereinigen ließen.

Der zweite Aufsatz diskutiert die Frage, ob sich Q 11,20 ("Wenn ich aber mit dem Finger Gottes die Dämonen austreibe, ist das Gottesreich zu euch gekommen.") als authentisches Jesuswort erweisen lasse. R. geht von der bereits des Öfteren notierten Beobachtung des engen Zusammenhangs mit 11,19 ("Wenn ich mit dem Beelzebul die Dämonen austreibe ...") aus und bestreitet auf dieser Grundlage - m. E. zu Recht - die Möglichkeit, Q 11,20 als isoliertes Jesuswort zu betrachten. Ob sich daraus auch ein negatives Urteil über die Authentizität ergibt (so R.), ist eine andere Frage, die durch R.s Argumente (die polemische Perspektive gegenüber Israel von 11,19 weise auf Q; eine Parallele bei Mk fehle) keineswegs entschieden ist. Im letzten Teil des Beitrags geht R. auf die Diskussion über das Gottesreich als Konzept oder Symbol ein. Die Grenze sei nicht scharf zu ziehen, für Q sei von der Vorstellung des sich gegenwärtig realisierenden eschatologischen Gottesreiches auszugehen.

Der dritte Beitrag ("The Prodigal Son and his Jewish Christian Brother") befasst sich mit dem Gleichnis vom verlorenen Sohn. Auf Grund von Beobachtungen zur Komposition von Lk 15 sowie der Nähe zu vergleichbaren illustrierenden Erzählungen bei Lk beurteilt R. das Gleichnis als im Wesentlichen lukanisch. Der ältere Bruder stehe für einen konservativen Judenchristen, wie sie gelegentlich in der Apg begegnen, der jüngere für einen bekehrten Heiden. Als Analogie zur Umkehr wird auf die Beschneidungsforderung in Apg 15,5 verwiesen. Dies spricht allerdings eher gegen als für R.s These, denn in Apg 15 steht nicht die Aufnahme von Heiden ins Gottesvolk zur Disposition, sondern es wird die Beschneidung als hierfür zu erfüllende Bedingung gefordert.

Im letzten Beitrag des ersten Teils geht es um die Israelthematik im lk Doppelwerk. Anknüpfend an narrative Ansätze problematisiert R. Tannehills These einer Israelhoffnung bei Lk. Etliche Texte, von der Antrittspredigt Jesu in Nazaret bis zum Verstockungswort Pauli am Ende der Apg, zeigten vielmehr, dass für Lukas die Erfüllung der Schriften mit dem Glauben an Christus und der Öffnung gegenüber den Heiden verbunden ist, die "ungläubigen" Juden deshalb ausgeschlossen werden. Das theologische Problem einer Kontinuität der Heilsgeschichte bei gleichzeitiger Aufgabe einer an Israel orientierten Hoffnung bleibe deshalb bestehen.

Der zweite Teil wird durch einen Paulusartikel für das Dictionary of Biblical Interpretation ("Interpreting Paul") eröffnet. Er enthält einen Überblick über wichtige Etappen der Paulusforschung, gefolgt von zwei Abschnitten über "Paul and Judaism" sowie "Paul's Consistency". Ersterer geht auf die neuere Diskussion um die Stellung des Paulus im bzw. zum Judentum (Sanders, Dunn, Gager, Schnelle) ein, Letzterer diskutiert Ansätze, Inkonsistenzen bei Paulus durch die Annahme einer Entwicklung seines Denkens oder die Unterscheidung von christologischer Grundüberzeugung und verschiedenen Applikationen aufzulösen. Ein Blick auf "The Present Situation" stellt abschließend fest, dass die gegenwärtige Paulusforschung durch eine große Bandbreite miteinander kaum zu vereinbarender Ansätze gekennzeichnet und daher "somewhat confusing" sei. Als Überblick in einem Lexikon mag dies hilfreich sein, der Sinn des Nachdrucks eines solchen, sehr allgemeinen und kaum Neues oder Eigenes enthaltenden Beitrags ist dagegen nur schwer zu erkennen.

Der nächste Aufsatz stellt eine Entgegnung R.s auf einen Beitrag von S. Westerholm zum 3. Durham-Tübingen Research Symposium von 1994 dar und befasst sich mit der Interpretation von Röm 9. R. kritisiert We-sterholms Sicht, in Röm 9,30-33 stehe nicht der fehlende Glaube Israels an Christus zur Disposition. Vielmehr sei der Abschnitt vor dem Hintergrund des vorangegangenen Passus über den "heiligen Rest" (9,6-18) zu deuten. R. hält demgegenüber daran fest, dass es um die Aufnahme der Heiden ohne Werke des Gesetzes gehe. Dass zwischen der Erwählungstheologie und der Orientierung am Kriterium des Glaubens eine Spannung bestehen bleibt, muss freilich auch R. konzedieren. Warum eine "Response" aus einem Tagungsband noch einmal separat publiziert wird, leuchtet nicht ein.

Beitrag VII heißt "Paul's and Qumran's Judaism". Vergleichbar seien beide Ausprägungen von Judentum in ihrer Radikalität, dem Erwählungsbewusstsein, der Unterscheidung zwischen geretteten "Insidern" und dem verlorenen Rest sowie der eschatologischen Perspektive, unterschiedlich dagegen in der Konkretion: Für Paulus sei die Gleichstellung von Juden und Heiden zentral, weshalb auch die Gemeindeordnungen andere Konturen annehmen, verschieden sei zudem der Zusammenhang von Gnade Gottes und Verpflichtung auf die Tora. Die Qumrangemeinde lasse sich als "Sekte", die paulinischen Gemeinden ließen sich als kultische Bewegung mit neuen Glaubensüberzeugungen und Praktiken bezeichnen. Beide reagierten auf eine Krise Israels, ausgelöst durch die Existenz unter den Fremdvölkern: Qumran mit dem Aufruf zur "heiligen Isolation", Paulus mit der konsequenten Auflösung trennender Grenzen. Der Artikel stellt auf einleuchtende, differenzierte Weise zwei Formen jüdischer Reaktion auf eine historische Situation dar und ist ein weiterführender Beitrag zur Paulusexegese.

Die beiden verbleibenden Aufsätze dieses Teils befassen sich mit den Nikolaiten und Marcion. Im Sinne eines "fair play" habe der Historiker beiden Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, da sie ihrem Selbstverständnis nach ebenfalls Christen waren. Ersterer, ein Nachdruck von R.s ANRW-Artikel, zeichnet die Nikolaiten in die urchristliche Entwicklung ein. Die historische Situation unter Domitian sei nicht durch Verfolgung der Christen gekennzeichnet. Die radikale Polemik des Johannes gegen das Essen von Götzenopferfleisch sei vielmehr als Unvereinbarkeit von christlichem Glauben und Teilnahme am Alltagsleben einer polis zu deuten. Damit nehme er eine Gegenposition zu den "Starken" in Korinth ein, die deshalb in eine Nähe zu den Nikolaiten rücken. Eine historische Beziehung zur Gemeinde von Antiochia, möglicherweise über die Person des Nikolaus aus Apg 6,5, könne nicht ausgeschlossen werden.

Der Beitrag zu Marcion stellt dessen Position als konsequente, wenn auch historisch unmögliche Lösung des Verhältnisses von Judentum und Christentum vor. Marcions Sicht auf das Verhältnis von Altem Testament und Glauben an Jesus sei überscharf, wenngleich nicht übersehen werden dürfe, dass die Position des Paulus (Gott habe seine Meinung geändert) theologisch nicht weniger problematisch sei. Antijudaismus sei Marcion auf Grund seiner Sicht ebensowenig wie Harnack zu unterstellen.

Der dritte Teil befasst sich mit übergreifenden Fragen zur Methodik der Exegese sowie zur neutestamentlichen Theologie. Im ersten Beitrag ("Comparative Religion, Theology and Exegesis") stellt R. sein an Wrede anknüpfendes Programm einer urchristlichen Religionsgeschichte in kritischer Auseinandersetzung mit der Biblischen Theologie (Stuhlmacher, Hübner) sowie mit anderen Theologien des Neuen Testaments (Caird, Strecker, Bultmann, Gnilka) vor. Sympathien hat er für Berger, Teeple und Theißen, deren Werke jedoch nur im Vorübergehen gestreift werden. Eine neutestamentliche Theologie ist für R. nicht von einem konfessorischen oder konfessionalistischen Standpunkt aus denkbar, sondern als konstruktive, kritische Neuinterpretation der Tradition. So hat sich neutestamentliche Theologie freilich zumeist verstanden, und ob R.s Vorwurf, Bultmann würde die Unterscheidung von Exegese und Applikation verwischen, zu Recht erhoben wird, ist zumindest fragwürdig.

Die verbleibenden Beiträge befassen sich mit der Rolle der historischen Kritik, die R. gegen Einsprüche von befreiungstheologischer, feministischer und postmoderner Seite verteidigt. Das Problem läge nicht bei der historischen Kritik selbst, sondern bei ihrer oftmals unzureichenden Anwendung. R.s Äußerungen sind oft schematisch und setzen ein Bild der historischen Kritik voraus, das viele heute so kaum teilen würden. Die Notwendigkeit, die Methodik der Textinterpretation hermeneutisch zu reflektieren und nicht einfach historische Exegese und nachträgliche Applikation nebeneinander zu stellen, kommt nicht in den Blick.

Der Band versammelt Aufsätze, die nicht durch ein Thema zusammengehalten werden, sondern durch einen Autor, der sich innerhalb eines Dezenniums zu verschiedenen Fragen der neutestamentlichen Wissenschaft geäußert hat. Er besitzt daher auch kein einheitliches Profil. Einige der Aufsätze (über die Geschichtsauffassung des Lukas, Paulus und Qumran, die Nikolaiten, Marcion) sind durchaus anregend. Daneben stehen knappe Forschungsüberblicke oder Thesen ohne eingehende Auseinandersetzung mit konkurrierenden Sichtweisen. Dass sogar Rezensionen und Antworten auf Beiträge, die man selbst erst zur Kenntnis nehmen muss, um R.s Stellungnahme beurteilen zu können, aufgenommen wurden, verwundert mich. "Challenges" stellen nur einige der Beiträge dar.

Die Festschrift zum 60. Geburtstag von Heikki Räisänen nimmt im Titel dessen Anliegen eines fairen Dialogs zwischen verschiedenen Auffassungen, wie er vor allem in der historisch-kritischen Arbeit entwickelt worden sei, auf. Es finden sich Beiträge zu den verschiedenen Arbeitsfeldern R.s: Jesus, Evangelien, Paulus, Pluralität im frühen Christentum, hermeneutische Fragen.

Ed Parish Sanders stellt in einem instruktiven Artikel ("Jesus' Galilee") für die historische Jesusforschung wichtige Kenntnisse über das Galiläa des 1. Jh.s zusammen. Galiläa war nicht in der Weise hellenisiert, wie in der Jesusforschung mitunter vorausgesetzt. Tiberias und Sepphoris waren keine hellenistischen poleis mit wesentlichem Anteil an heidnischer Bevölkerung, zwischen jüdischen und heidnischen Teilen Palästinas wurde von den Römern und Herodes genau unterschieden. Das von den Evangelien gezeichnete Bild Galiläas werde durch die archäologischen und literarischen Zeugnisse unterstützt, die These eines heidnischen, von den Römern okkupierten Galiläa, wie es Crossan voraussetzt, dagegen nicht. Matti Myllykoski untersucht die Erzählung über das Begräbnis Jesu bei Mk und plädiert für eine von Kreuzigungsszene und Auffindung des leeren Grabes unabhängige Tradition. Halvor Moxnes gibt einen Überblick über die Diskussion um das Judesein Jesu und deren hermeneutische Implikationen.

Petri Luomanen fragt aus einer soziologischen Perspektive nach der Herausbildung des Gegenübers von jüdischen und christlichen Gemeinden am Beispiel des MtEv. Christopher Tuckett setzt sich im Licht der Jüngerdarstellung im MkEv mit R.s Buch über das Messiasgeheimnis auseinander. Ebenso wie sich "das Messiasgeheimnis" Wredes beim näheren Hinsehen in verschiedene Erzählstrategien des Mk aufteile, sei auch das Jüngerunverständnis kein einheitliches Motiv, sondern diene verschiedenen erzählerischen Zwecken. Turid Karlsen Sem befasst sich mit den Erzählungen in Lk 24 und interpretiert sie als "conflicting voices". Jarmo Kilunen fragt in Auseinandersetzung mit Michael Goulder nach dem Zusammenhang von minor agreements und Zweiquellentheorie. Angesichts eines im 2. Jh. noch nicht stabilen Textes sollte eine synoptische Theorie eher auf kompositorischen Beobachtungen gründen. Genau davon war sie im 19. Jh. bei Lachmann und Weiße auch ausgegangen! Jürgen Becker befasst sich mit dem Verhältnis des JohEv zu den Synoptikern. Er plädiert dafür, angesichts der neueren, die Synoptiker als Vorlage für Johannes favorisierenden Forschungslage die Schwierigkeiten, die sich mit dieser Sicht verbinden, nicht vorschnell ad acta zu legen. Der methodisch wie forschungsgeschichtlich ausgesprochen reflektierte Überblick rückt ins Bewusstsein, dass mit pauschalen Urteilen wenig gewonnen und ein angemessenes Modell, welches die unterschiedlichen Beobachtungen zu integrieren vermag, noch nicht gefunden ist. Ismo Dunderberg untersucht die Figur des Lieblingsjüngers im JohEv. Er wird als fiktive Figur aufgefasst, die, ähnlich wie Thomas im EvThom, als Verfasser der Schrift fungiere. Analogien zur Figur eines geliebten Jüngers bzw. einer geliebten Jüngerin finden sich in EvPhil und EvMar (Maria Magdalena), im sog. Geheimen MkEv (der anonyme Jüngling), in den Fragen des Bartholomäus (Bartholomäus) sowie in EpJac und 1/2ApcJac (Jakobus). Trotz der Differenzen führten diese literarischen Figuren näher an den Lieblingsjünger heran als historische Erwägungen.

Der dritte Teil, "Paul in Conflict", wird durch einen Beitrag von James D. G. Dunn über "Works of the Law" eröffnet, mit dem er die Diskussion über die Paulusinterpretation zwischen ihm und R. wieder aufnimmt. Paulus wende sich mit dem Ausdruck erga nomou gegen Werke des Gesetzes als Ausschluss der Heiden von der Gnade Gottes. Es gehe nicht nur um die Toraregelungen (gegen Bachmann), sondern um die damit verbundene Forderung ihrer Beachtung. 4QMMT ließe sich deshalb mit der Position des Petrus in Antiochia (zumindest mit deren Darstellung durch Paulus) vergleichen. Die nach Paulus im Jüngsten Gericht geforderten Werke seien Ausdruck des Glaubens und deshalb von den Werken des Gesetzes zu unterscheiden. Alexander J. M. Wedderburn fragt nach der Chronologie von antiochenischem Zwischenfall, Apostelkonvent und der von Antiochia unabhängigen Mission des Paulus. Gal 2,11-14 und Apg 15,36-41 seien nicht auf dasselbe Ereignis zu beziehen. Die Trennung von Paulus und Barnabas sei zum Zeitpunkt des antiochenischen Zwischenfalls bereits vollzogen. Daraus wiederum ergebe sich, dass das Jerusalemer Treffen von Apg 15/Gal 2 vor der 1. Missionsreise stattgefunden habe und deren Basis bilde. Die alleinige Mission des Paulus sei eine Konsequenz aus dem antiochenischen Zwischenfall, welcher sich an die in Apg 18,22 berichtete Rückkehr des Paulus nach Antiochia angeschlossen habe. Ist das wirklich wahrscheinlich? Gerd Theißen nimmt Röm 9-11 aus psychologischer Perspektive in den Blick. Die widersprüchlichen Aussagen über Israel seien Ausdruck der Wende im Leben des Paulus, die diese Ambivalenz erzeugt habe. Die Analyse der Kapitel zeigt ein Ringen des Paulus mit seiner eigenen Vergangenheit, und gerade der Röm kommt so als ein sehr persönliches Schreiben in den Blick. Lars Aejmelaeus befasst sich mit dem Problem des apostolischen Unterhalts in 2Kor. Zwischen ironischen und ernst gemeinten Äußerungen des Paulus im "Tränenbrief" (2Kor 10-13) sei zu unterscheiden. Der Verzicht auf Unterhalt sei kein Vorwurf von seiten der Gegner. Vielmehr bringe Paulus das Thema selbst ins Spiel, um seine Beziehung zur Gemeinde darzustellen. Es gehöre daher zur rhetorischen Strategie, mit der er sein Apostolat verteidigt. Dies ist eine überzeugende Weise, die Unterhaltsfrage in die korinthische Korrespondenz einzubinden. Morna D. Hooker fragt nach den Gegnern im Philipperbrief. Paulus trage keine Kontroverse mit Kontrahenten in Philippi aus, vielmehr sei das Schreiben vor dem Hintergrund seiner eigenen Situation- Gefangenschaft in Rom - zu erklären. Die Christuskonformität, an seiner Person paradigmatisch ablesbar, sei die angemessene Antwort auf das Evangelium, weshalb Paulus die Gemeinde zur Nachahmung aufruft. Die Gegner verkörperten das Gegenmodell, nämlich ein Leben frei von Bedrängnissen und ethischen Verpflichtungen. Der Phil sei somit darin dem Röm vergleichbar, dass er ebenfalls besser aus der Situation des Apostels als aus derjenigen der Gemeinde heraus erklärbar sei. Die These kann die Polemik in Phil 3 gut mit dem Rest des Briefes verknüpfen und zudem erklären, wie sich persönliche Situation und Inhalt des Briefes miteinander verbinden. Kari Syreenis Beitrag ist dem theologiegeschichtlichen Standort des Jakobusbriefes gewidmet. Überraschend ist die Lokalisierung in Korinth, auch die Kenntnis von Römerbrief und Korintherbriefen seitens Jak bleibt bestenfalls eine streitbare Hypothese. Dass die Spannung Juden/Heiden ein zentrales Thema in Jak sei, vermag (jedenfalls den Rezensenten) nicht zu überzeugen. Analoge Themen (Reich und Arm in Jak und 1Kor) belegen noch keinen historischen Zusammenhang.

Die drei Beiträge des dritten Teils blicken über das Neue Testament hinaus. Stephen G. Wilson untersucht das Schicksal des urchristlichen Pluralismus und stellt eine Vereinheitlichung auf Kosten der Pluralität in der Entwicklung der ersten beiden Jahrhunderte fest. Apostaten und Häretiker, zunächst noch unterschieden, würden in der späteren Entwicklung gleichgesetzt und aus der Entwicklung zur Großkirche ausgeschlossen. Dass die Konflikte des 2. Jh.s inhaltlich anders ausgerichtet waren als diejenigen im 1. Jh. und die Trennung von "Orthodoxie" und "Häresie" hierauf - und nicht einfach auf Anpassungsdruck - zurückzuführen sein kann, wird nicht in Betracht gezogen. Risto Uro fragt anhand von EvThom 12 und 13 (den Worten über Jakobus und Thomas) nach Autoritätsstrukturen im EvThom und vergleicht diese anhand der Figur des Petrus mit dem MtEv. Beide zeigten eine antihierarchische Tendenz, im EvThom werde jedoch neben die Autorität eines Apostels ein zweites Modell gestellt, das an Einsicht und Unabhängigkeit ausgerichtet sei. Hierfür stehe die Figur des "Zwillings" Thomas, der bewusst neben Jakobus gestellt werde. Dies ist eine sehr ansprechende Interpretation. Allerdings bleibt zu überlegen, wie das in EvThom 12 und 13 angesprochene zeitliche Nacheinander von Thomas und Jakobus (Jakobus soll erst herrschen, wenn Jesus weggegangen sein wird) hiermit zu verbinden ist. Antti Marjanen untersucht die Deutung der Kreuzigung im Brief des Petrus an Philippus. Die irdische Existenz Jesu sei nicht doketisch verstanden. Dies gelte auch für Leiden und Kreuzigung. Die Wendung "Jesus ist diesem Leiden fremd" (p. 139,22) sei deshalb (anders als bei Bethge und Meyer) entweder vor popularphilosophischem Hintergrund (Leiden kann durch die rechte Einstellung bewältigt werden) oder als Stellvertretung für die "Übertretung der Mutter" (p. 139,24) zu interpretieren und habe zudem eine exemplarische Funktion im Blick auf das Geschick der Apostel.

Der letzte Teil versammelt vier Beiträge unter der Überschrift "Hermeneutical Issues". Hans Hübner trägt Überlegungen zur Perspektivität historischer Konstruktionen vor und zieht Äußerungen Nietzsches über Nutzen und Nachteil der Historie sowie zum Verhältnis Begriff - Intuition heran. Hanna Stenström unternimmt einen "feminist approach to ethical criticism". Sie macht auf die Gefahr eines naiven Verständnisses von Textinterpretation aufmerksam, das seine Resultate als "objektive Ergebnisse" versteht und sie zugleich unter der Hand mit normativen Ansprüchen versieht. Stattdessen plädiert sie für eine Exegese, die ihre eigenen Prämissen reflektiert und diese im Kontext historisch-kritischer Exegese verantwortet. R. S. Sugirtharajah befasst sich mit der Rolle der Exegese in der postkolonialen Welt und weist auf die weiterhin anhaltende Aktualität dieser Interpretationsrichtung hin ("Postcolonial Theory and Biblical Studies"). Der abschließende Beitrag stammt von Gerd Lüdemann und ist "Ein Vortrag für solche, die dem Christentum entwachsen sind und trotzdem weiter nach seiner Wahrheit suchen". Er setzt Glaube und Wissen an Beispielen wie der Jungfrauengeburt, unechten Jesusworten oder der Auferstehung in Gegensatz zueinander und zieht die Konsequenz, angesichts der Ergebnisse der historischen Kritik sei "die weitere Verteidigung des christlichen Dogmas ... Betrug". David Friedrich Strauß war da schon weiter.

Die Festschrift deckt ein breites Spektrum von Themen ab und vermittelt damit einen - notwendigerweise selektiven - Überblick über gegenwärtige Diskurse in der neutestamentlichen Wissenschaft. Einige Beiträge warten mit originellen, weiterführenden Argumenten auf, andere geben instruktive Zusammenfassungen der Diskussionslage. Nicht alles vermag zu überzeugen, wie bei einer solchen Menge von Artikeln nicht anders zu erwarten. Abschließend sei die Frage gestattet, ob thematische Konzentration nicht auch bei Festschriften der Erfolg versprechendere Weg ist, ein Buch in der wissenschaftlichen Landschaft zu platzieren.