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Ausgabe:

Juni/2003

Spalte:

602–604

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Ruiten, J. T. A. G. M. van

Titel/Untertitel:

Primaeval History Interpreted. The Rewriting of Genesis 1-11 in the Book of Jubilees.

Verlag:

Leiden-Boston-Köln: Brill 2000. XIV, 408 S. gr.8 = Supplements to the Journal for the Study of Judaism, 66. Lw. ¬ 128,00. ISBN 90-04-11658-3.

Rezensent:

Lutz Doering

Die Arbeit des Groninger Exegeten Jacques van Ruiten untersucht erstmals monographisch die Art und Weise, wie die Urgeschichte der Gen im Jub neu- und umgeschrieben (rewritten) ist. In der (recht knappen) Einleitung (1-7) stellt R. fest, dass die halachischen und aggadischen Erweiterungen (G. Vermes: applied exegesis) bislang mehr Interesse gefunden hätten als das, was R. "biblical interpretation" (4) nennt und den Umgang mit philologischen Fragen, Inkonsistenzen und semantischen Zumutungen des Prätexts bezeichnet (Vermes: pure exegesis). Hier setzt R. seinen Schwerpunkt, will aber auch dem Verhältnis von pure und applied exegesis durch "close textual analysis" beikommen (5).

Seine Aufgabe bestimmt der Vf. daher als detaillierten synoptischen Vergleich zwischen den einzelnen Abschnitten (sieben insgesamt) von Gen 1,1-11,19 und Jub 2,1-10,36 (5). Methodisch bedeutet dies, dass R. für jeden Abschnitt erst eine vergleichende makrostrukturelle Übersicht gibt, um dann zur Mikrostruktur einen satzweisen Vergleich beider Texte in englischer Übersetzung anzuschließen; dabei werden Ähnlichkeiten und Unterschiede klassifiziert (Auslassungen und Hinzufügungen, Übereinstimmungen, Abweichungen, Neuanordnungen) und im Schriftbild unterschiedlich wiedergegeben (vgl. 6 f.).

Das Ergebnis sei vorweggenommen. Der Autor des Jub harmonisiert Spannungen und Widersprüche des Prätexts (68.75 f. 104 f.111.211 ff.255.269.304 f.), vermeidet Dubletten (67. 211.304), strafft die Erzählung (142 f.211), füllt Lücken auf (96.110.133) und ergänzt (254 f.), zeigt rationalisierende Züge (67 f.110.266 f.) und ordnet richtig in den von ihm vertretenen chronologischen Rahmen ein (211.261.265). Dabei erweise sich der Autor vor allem als "careful reader and interpreter of the biblical text" (304), der versuche, den Textbereich von Gen 1-11 "as faithful as possible", aber ohne dessen Spannungen und Inkohärenzen, zu reproduzieren, und der zugleich Elemente frühjüdischer Tradition in den Erzählfaden einwebe (375).

Die Einzelheiten der äußerst gründlichen Diskussion können hier auch nicht annähernd angemessen dargestellt werden. Ich nenne daher nur die besprochenen Textbereiche und ausgewählte Schwerpunkte: Kap. I (9-70) wendet sich der Schöpfungsgeschichte zu (Gen 1,1-2,4a; Jub 2,1-33). Im Blick auf den Sabbatabschnitt veranschlagt R. den Einfluss von Ex 31,12-17 geringer als etwa O. H. Steck oder der Rez. und sieht ihn vor allem in Jub 2,27 (52-57). - Kap. II (71-111) beschäftigt sich mit dem Garten Eden (Gen 2,4b-3,24; Jub 3). R. stellt hier Eden zutreffend als Prototyp des Heiligtums heraus (v. a. 86- 89), was sich daran zeige, dass Adam und Eva erst nach den Reinigungszeiten für die Wöchnerin (40 bzw. 80 Tage) in den Garten gebracht werden (Jub 3,8-14; die Parallele 4Q265 7 11-17 hätte stärker einbezogen werden können) und sie dort nicht sexuell verkehren.

In Kap. III (113-179) kommt die Geschichte zwischen dem Garten und der Flut zur Sprache (Gen 4,1-5,32; Jub 3,32-4,33). R. bietet hier hilfreiche Übersichten zur Chronologie (125) und zu den Patterns, nach denen die Genealogie der verschiedenen vorsintflutlichen Generationen formuliert ist (122). Für die Präsentation Henochs nimmt R. Bekanntschaft mit Teilen der Hen-Literatur an (166; dazu u.).

Kap. IV (181-213) widmet sich der Flutgeschichte (Gen 6,1-8,19; Jub 5,1-32). Hier erfährt erwartungsgemäß die Flut-Chronologie besondere Aufmerksamkeit. In der Debatte um die Daten des Anfangs und Endes der Flut (Gen 7,11; 8,14 MT/ LXX; Jub 5,23.31) schließt sich R. der textkritischen Lösung R. Hendels an (DSD 2, 1995, 72-79), hält die Daten des MT für ursprünglich und diejenigen im Jub für eine Harmonisierung mit der von ihm aufgenommenen Tradition einer einjährigen Dauer der Flut (199 ff.).

Kap. V (215-256) behandelt mit Gen 8,20-9,17; Jub 6 die Nachgeschichte der Flut, also im Wesentlichen den Bund mit Noah und, diesem Paradigma nachempfunden, mit Mose (einschließlich Verbot des Blutgenusses), Bundeszeichen und Wochenfest sowie den Abschnitt über den Kalender (Jub 6,23- 38).- In Kap. VI (257-305) bespricht R. die letzten Stationen Noahs von seinem Weinberg bis zu seinem Tod (etwa Gen 9, 18-11,19; Jub 7,1-10,36, mit starken Abweichungen). Noah trete hier vor allem als Begründer von sonst nur aus der Sinai-Tora bekanntem Gesetzesstoff auf (Erstlinge, Frucht des Vierten Jahrs, Umgang mit Blut), besonders in Jub 7,20-39. - Kap. VII (307-363) verfolgt die Aufteilung der Erde anhand der Genealogie von Schem bis Re(g)u (Gen 11,10-19; Jub 18-36). Einfluss der ionischen Weltkarte sieht R. nur punktuell; wichtiger seien die Berührungen im Weltbild mit dem AT sowie mit frühjüdischen Texten (Sib III; 1QapGen 16 f.), die auf gemeinsame Tradition wiesen (326-337).

In den "Conclusions" (365-375) fasst R. mehr zusammen, als dass er Folgerungen zöge. Literaturverzeichnis, Autoren- und Stellenregister runden das Buch ab.

Die immense Leistung des Vf.s im Blick auf einen genauen Textvergleich zwischen Gen 1,1-11,19 und Jub 2-10 ist zunächst nachdrücklich zu würdigen. Das Werk bietet fundierte Orientierung für alle, die wissen wollen, wie sich die Darbietung der Urgeschichte im Jub zu derjenigen der Gen verhält. Freilich bleiben bei der Stofffülle Anfragen zu Einzelproblemen nicht aus. So kommt z. B. in R.s Versuch, die Bedeutung von Ex31,12-17 für den Sabbatabschnitt zu minimieren, die mit dem Jub kongruente Redesituation dieses biblischen Sabbattexts (Sinai) zu kurz. Jub 2,1-33 ist daher mehr und z. T. anderes als einfach "a rewriting and interpretation of the biblical story of the creation of the world" (so 66)! Zum "solar calendar" im Jub muss die Aussage R.s, dieser sei "the same as in 1 Enoch and was in force in the Qumran community" (253 mit Anm. 103), als simplifizierend bezeichnet werden und bleibt hinter dem Forschungsstand zurück, der durch die ebd. angeführte Arbeit von M. Albani repräsentiert wird.

Andere Anfragen betreffen die Darbietung. Der Vf. neigt zu einer klassifikatorischen Akribie, bei der man häufig nach dem Erkenntnisgewinn fragt, etwa wenn es zu einem Versanfang von (äth. wie wohl auch hebr.) zwei Wörtern (!) heißt: "Jub 4:3a (When [richtig muss es heißen: And] he killed him in a [oder: the?] field) can be considered a rewriting of Gen 4:8. It is an abbreviation consisting of verbal quotations (he killed him; in the field), omissions (Gen 4:8a, c and part of 4:8b), and variation in sequence (the words in the field are placed behind he killed him)" (142). Das Buch bekommt auf diese Weise einen sehr technischen Charakter. Dazu trägt auch bei, dass Zitate aus dem äth. Text des Jub nicht auch in Transkription geboten werden.

Der Textbestand der hebr. Jub-Fragmente aus Qumran ist leider nicht voll berücksichtigt; so fehlt ein Hinweis auf 11QJub-Text zu Jub 4,6-11.13 f.31; 5,1 f., obwohl dieser im Groninger (!) DJD-Band publiziert ist (F. García Martínez et al., DJD XXIII, 1998). Teils wird Paralleltext aus Qumran auch in die Fußnoten abgedrängt (47 f.170), teils portionsweise nachgeliefert (20-27.50-64). Einmal wird auf diese Weise ein neuer Akzent nicht erkannt (Jub 2,9 liest nach 4QJuba VI,8 wlkl tq[wpwt, was nicht einfach Rearrangement von Gen 1,14 wlmw'dym ist [vgl. 35 f.39 f.]). Auch wenn der Äthiope im Ganzen sehr zuverlässig ist, hat der originalsprachliche Text, wo vorhanden, methodisch für den Textvergleich Priorität.

Als stärkstes Defizit der Arbeit betrachte ich aber, dass sie auf die Frage nach dem Selbstverständnis des Jub und nach der von ihm vertretenen Gesetzeshermeneutik weitgehend verzichtet (ansatzweise immerhin z. B. 293.316 f.). Will das Jub die Tora ergänzen, ersetzen oder verändern? Was bedeutet es für das Verständnis des Jub, dass die Urgeschichte, unter vordatierender Einbeziehung von Gesetzesstoff, an Mose am Sinai neu mitgeteilt wird? Welche Relation besteht dabei zwischen imitatio Dei bzw. angelorum (149 f. Anm. 84, 178), den himmlischen Tafeln (146 u. ö.) sowie den Büchern Henochs und Noahs (316f.) hinsichtlich der Etablierung von Halacha, und wie ist das Verhältnis zur Sinaioffenbarung zu bestimmen? All dies ruft nach umfassenderen Antworten, als R. sie in seinen gelegentlichen, oft in den Anmerkungen versteckten Hinweisen gibt. R. geht betont von Gen-Ex als "source text" (82 u. ö.) für Jub aus. Es müsste aber die Frage gestellt werden, als was der biblische Text hier präsent ist - als Text, den es auszuschreiben gilt, oder eher als Stoff, der in Einzelwendungen und auch passagenweise den Text aufnimmt, dabei aber eigenen Prinzipien unterliegt? Indem R. dem biblischen Text derart verhaftet bleibt, kommen die für das Rewriting gerade der Urgeschichte so spannenden textpragmatischen und hermeneutischen Fragen zu kurz. Die geplante Verhältnisbestimmung von pure und applied exegesis findet nicht wirklich statt.

Auch bemüht sich R. kaum, die Intentionen des Rewriting im Jub zeitgeschichtlich einzuordnen (zu knapp 374). So sehr einerseits zu begrüßen ist, dass R. Engführungen vermeidet, wie sie bei der Bindung an eine bestimmte Datierungsoption drohen, so wenig kann andererseits bei einer dem Jub gewidmeten Monographie der Verzicht auf eine begründete Position in der Frage zeitlicher Ansetzung überzeugen (hier nur 2: "written in the middle of the second century BCE" und 2 Anm. 8, wo die [fast das ganze 2. Jh. v. Chr. umspannenden!] Vorschläge von Charles, Berger, VanderKam, Nickelsburg und Davenport nur aufgelistet sind), zumal die Untersuchung mehrfach Relationen zu anderen Werken anspricht, für die es auf ein paar Jahre mehr oder weniger durchaus ankommt (165 f. zu äthHen 83-90; 195 zur Damaskusschrift).

Die hier geäußerte Kritik soll aber keineswegs den Blick dafür verstellen, dass dem Vf. eine solide Arbeit gelungen ist, die mit ihrem meist zuverlässigen Vergleich des Gen- und des Jub-Texts und mit ihren kundigen und abgewogenen Urteilen einen wichtigen Beitrag zur Diskussion um die Rewritten Bible leistet. Nur muss dann diese Diskussion m. E. auch die vom Vf. zurückgestellten Aspekte stärker aufnehmen.