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Ausgabe:

Juni/2003

Spalte:

596–598

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Rapp, Hans A.

Titel/Untertitel:

Jakob in Bet-El. Gen 35,1-15 und die jüdische Literatur des 3. und 2. Jahrhunderts.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien-Barcelona-Rom-New York: Herder 2001. XII, 348 S. gr.8 = Herders Biblische Studien, 29. Geb. ¬ 50,00. ISBN 3-451-27558-9.

Rezensent:

Renate Klein

Das Buch ist die gedruckte Fassung der 1998/99 an der Universität Luzern eingereichten Dissertation Rapps. Betreut wurde sie von Clemens Thoma.

Wie schon im Untertitel festgehalten wird, geht es R. darum, versuchsweise "eine Geschichte des Stoffes von Gen 35,1-15 zu schreiben" (9). Gezielt auf die Verarbeitung des "Jakob in Bet-El"-Motivs hin wird die jüdische Literatur des 3. und 2. Jh.s untersucht, wobei auch literarische Beziehungen dieser Texte untereinander besprochen werden. R. hält schon in der Einleitung fest, dass die untersuchten Texte ein ausgeprägtes Interesse an Priestertum und Kult verraten, so dass das Werk gleichzeitig ein Beitrag zur Erforschung des Priestertums und seiner Ideologie in frühjüdischer Zeit ist (10).

"Die biblischen Quellen" (zweiter Teil) lassen nach R. schon ansatzweise erkennen, dass Bet-El, obwohl "häretisches" Nordreichsheiligtum (12), in der exilisch-nachexilischen priesterlichen Literatur positiv rezipiert wird und zu großer Autorität gelangt (13). Angeführt werden die Stellen Hos 12,5-7 (nach R. der einzige vorexilische Beleg für "Jakob in Bet-El") und Jes 43,22-44,5, woraus das wachsende Interesse auch prophetischer Kreise an Bet-El entnommen wird (23). Größere Aufmerksamkeit gilt dem Text Gen 35,1-15 selbst. Die Verse 9-15 werden in Übereinstimmung mit der gängigen Forschungsmeinung P zugeordnet (28). R. behauptet wohl zu Recht, dass durch die "Integration Bet-Els in seine Offenbarungsgeschichte" P den Nachfahren Jakobs, "des Heroen des ehemaligen Nordreichs", die Möglichkeit biete, "ihre eigene Tradition innerhalb dieser neuen Narration der Geschichte Israels zu begreifen." (44)

Gen 35,17 betrachtet R. auf Grund der von ihm festgestellten Bezüge zu Obd und Jos 24 sowie wegen der Darstellung Sichems als "Deponie der alten Fremdgötter" (63) als späten Text, der die Jakobserzählungen insgesamt schon im Blick hat, sie zusammenfasst, verallgemeinert und deutet. Als letzter biblischer Beleg für die Bet-El-Erzählung wird Lev 26,42 angeführt, wo die Tendenz verfolgt werde, "die Gestalt Jakobs gegenüber der Abrahams und der Isaaks in den Vordergrund zu schieben" (66).

In der jüdischen Literatur des 3. und 2. Jh.s (dritter Teil) wird, ebenso wie in P und Lev 26,42, der Jakobsbund in Bet-El als zentrales Heilsereignis in der Frühgeschichte Israels dargestellt, so z. B. im Festkalender der Tempelrolle (11Q 19 Kol. 29,7-10) (88). Im aramäischen Levi-Dokument (ALD) sowie im Testament Levi (TLev) steht Levi mit seinen Visionen über sein Priestertum im Mittelpunkt, wobei Isaak im Zusammenhang mit der Unterweisung Levis im Priesterrecht eine bedeutende Rolle zukommt. Insgesamt ist in ALD und TLev wenig von der biblischen Erzählung (Gen 35,1-15) zu erkennen. Es geht in beiden Schriften darum, "das aaronidische Priestertum auf Levi zu gründen" (127). Die nahe Verwandtschaft zwischen ALD und TLev führt R. zu der "vorläufige[n] Vermutung", dass ALD und TLev "als dieselbe Schrift in verschiedenen Ästen des Traditionsprozesses betrachtet werden" könnten (128).

Ein weiterer wirkungsgeschichtlicher Zweig der Bet-El-Erzählung wird "Jakob und die Tafeln des Himmels" überschrieben. 4Q 537, ein vermutlich nicht in Qumran entstandenes Dokument (130), das R. mit den Makkabäerkriegen in Zusammenhang bringt (138), verarbeitet die Bet-El-Erzählung als theologische Reaktion auf die Einweihung des Jerusalemer Tempels (139). Die "Oratio Joseph" hingegen, eine Schrift aus dem 1. Jh. v. Chr. (113), in der Jakob als "höherer Geist" die Tafeln des Himmels liest und so zum Zukunftsdeuter wird, ist eine "mystisch inspirierte Nacherzählung der Jakobserzählungen" (144), die ihrerseits andere frühjüdische Quellen verarbeitet.

R. befragt auch chronologische und genealogische Schriften (Demetrius, 4Q 464, 4Q 225 und 226, 4Q 559) nach deren Verarbeitung des Bet-El-Stoffes. Fazit ist auch hier, dass das Hauptinteresse der Levi-Linie gilt (163) und dass Isaak ein "wichtiges Glied in der Genese und Legitimation des Priestertums" ist (163). Am ausführlichsten werden die Kapitel 31 und 32 des Jubiläenbuches behandelt. Der Text ist auf dem Grundgerüst von Gen 35,1-15 aufgebaut, verarbeitet aber auch weitere Materialien: einen Text zur Erfüllung des Gelübdes Jakobs, einen Text über die Abgabe des Zehnten, Texte, die von der Erhöhung Levis zum Priester berichten sowie eine Sammlung von Halachot, die den Inhalt der "himmlischen Tafeln" bildet (246-248). Den geschichtlichen Kontext von Jub 31 f. geben nach R. die Zeit der Makkabäeraufstände und die Übernahme des Hohepriestertums durch Jonatan ab (250).

Die Qumranschrift 5Q 13, deren Inhalt auf Grund ihres fragmentarischen Charakters kaum zu erschließen ist, die aber wahrscheinlich auf Levis Priesterweihe in Bet-El zum Laubhüttenfest (so auch Jub 31 f.) Bezug nimmt, weist nach R. auf die Wirkungsgeschichte des Jub in Qumran hin.

Im letzten Teil "Bet-El und die frühjüdischen Geschichtskonzeptionen" geht R. kurz auf die priesterliche Konzeption der bereits behandelten Schriften ein (265). Er stellt dann die Levi-Genealogie der Chronik dar und sieht in ihr einen Vorläufer der Levi-Tradition im 3. und 2. Jh. v. Chr. (268). Hingegen findet er in den Geschichtssummarien Neh 9; Sir 44,22 f.; 1Makk 2, 49-68 sowie in der Zehnwochenapokalypse (1Hen 93,1-9; 91,11-17), in der Tiervision (1Hen 85-90) und der Damaskusschrift kein besonderes Interesse an Jakob und seiner Vision in Bet-El. Das führt ihn zu der Schlussfolgerung, dass die Texte der Bet-El-Tradition vor der qumranischen Damaskusschrift entstanden sein müssen (281).

Die Zusammenfassung bietet in vier Abschnitten ("Bet-El als Schlüsselerlebnis: Von der Priesterschrift zum Jubiläenbuch", "Bet-El als Ursprung des Priestertums: die Levi-Traditionen", "Zehntabgabe, Tempelbau und die Tafeln des Himmels" und "Das Jubiläenbuch als Kompendium") eine systematisch geordnete Darstellung der in diesem Buch untersuchten Schriften. Ein Literaturverzeichnis und ein ausführliches Stellenregister zur biblischen und pseudepigraphischen Literatur vervollständigen das Werk.

Die interessierte, aber in der hier angeführten nichtbiblischen Literatur wenig beschlagene Rezn. hat das Fehlen eines Abkürzungsverzeichnisses manches Mal vermisst. Auch geht ab und an bei fortlaufender Lektüre der rote Faden verloren, aber in den kompakten Kapitelzusammenfassungen werden die Fäden wieder eingefangen, so dass man am Ende ein gut gegliedertes und übersichtliches Bild vor Augen hat. R. hat durch die systematische Untersuchung der frühjüdischen Literatur auf einen biblischen Stoff und dessen Verarbeitung hin einen wichtigen Beitrag auf einem Gebiet geleistet, das, zumindest von alttestamentlicher Seite her gesehen, oftmals außen vor gelassen wird.