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Ausgabe:

September/1998

Spalte:

867–869

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Schumacher, Meinolf

Titel/Untertitel:

Sündenschmutz und Herzensreinheit. Studien zur Metaphorik der Sünde in lateinischer und deutscher Literatur des Mittelalters.

Verlag:

München: Fink 1996 . V, 737 S. gr.8 = Münstersche mittelalterliche Schriften, 73. Lw. DM 158,-. ISBN 3-7705-3127-2.

Rezensent:

Jens Haustein

Der Vf. der aus der Schule Friedrich Ohlys hervorgegangenen Münsteraner Dissertation hat sich die ,Metaphorizität religiöser Sprache’ zum Untersuchungsgegenstand gewählt. Sein methodischer Ansatz ist dabei weniger ein theologiegeschichtlicher als ein philologischer, der in der Auffassung begründet ist, daß das Wesen der Sünde vor allem in der metaphorischen Ausgestaltung faßbar sei: "Die Metaphorik der Sünde in möglichst großer Breite und Belegdichte aufarbeiten zu wollen, ist ... keine philologische Marotte und kein positivistischer Selbstzweck; die Absicht entspringt der Erkenntnis, daß erst die ganze Fülle der Metaphern das Gemeinte annähernd erfaßt. Deshalb kann es auch nicht sinnvoll sein, von einer theologischen Definition der Sünde auszugehen, um die jeweiligen Metaphern dazu zu suchen: Man fände immer nur illustriert, was man schon weiß" (15).

Damit freilich erübrigt sich keinesfalls ein Vergleich zwischen metaphorischer Sündenbeschreibung und begrifflich-theologischer Sündendefinition, der allerdings nicht Gegenstand der Arbeit ist, da sie andere Fragen verfolgt. Dem eigentlichen Katalogteil gehen einige forschungsgeschichtliche sowie definitorische Abschnitte voran. Im Abschnitt ,Forschungen zur Sündenmetaphorik’ werden Arbeiten von Ricur, Knierim, Röhser und Ohly diskutiert. Zu Beginn der definitorischen Abschnitte schiebt der Vf. in souveräner Weise alle begrifflichen Quisquilien beiseite: "Ich verzichte weitgehend auf ,Symbol’, nehme ,Bild’ und ,Bildlichkeit’ als Synonyme für ,Metapher’ und ,Metaphorik’, sehe in ,Allegorie’ eine Großform der Metapher und unterscheide sie von der ,Allegorese’ als dem Interpretationsverfahren, einen Text als ,allegorisch’ zu verstehen" (43). Da die Arbeit als Bild- und Metaphernkatalog angelegt ist, nicht als Beitrag zu einer Theoriegeschichte religiöser Metaphorik, dürfte so kaum Schaden entstanden sein.

Da in dieser Arbeit keine abstrakte Sündendefinition zugrundegelegt ist, mußte sowohl die "bildempfangende Seite" (55) begrenzt wie die bildspendende je von neuem bestimmt werden. Der Vf. betont zu Recht, daß es, um Leistung und Aufgabe eines Bildspenders bestimmen zu können, einer interpretatorischen Anstrengung bedarf; denn Bildspender sind kontextuell gebunden, können in unterschiedlichen Zeiten und in verschiedenen Kontexten Unterschiedliches bedeuten. Ferner können sie ,verblassen’, kaum mehr erkennbar sein (,Sündenlast’, ,in Sünde fallen’, ,Gewissensbisse’, ,himmelschreiendes Unrecht’ usw.). Im günstigsten Fall läßt sich die Metaphorizität einer Aussage aus der Quelle selbst erschließen, dann, wenn "Vergleichspartikel, Verben des Bedeutens und Milderungsformeln für das als etwas zu kühn empfundene Bild" Verwendung finden (62). Der Herkunftsbereich der Bildspender ist dabei grundsätzlich unbegrenzt, "wichtig ist allein, daß ein ,tertium comparationis’ sich finden läßt - sei es in der Allegorese zu einem Bibelwort, sei es in nichtexegetischer Metaphorik im Hinblick auf eine intendierte Aussage, zu der ein Bild gewählt wird, das durchaus ebenfalls der Bibel entstammen kann" (64). - Von den auf S. 71 f. vorgestellten Gliederungspunkten "liegt mit dem Kapitel über die Sünde als Schmutz und Unreinheit nun ein erstes großes Teilstück vor" (73). Als Quellen wurden deutsche und lateinische Texte herangezogen: auf der einen Seite v. a. althochdeutsche Beichten und Sündenklagen, auf der anderen Bußtraktate, Hiob-Kommentare, Predigten u. v. m. (s. Autoren- und Werkregister) - insgesamt eine beeindruckende Fülle an Texten.

Der Katalogteil (80-641) ist folgendermaßen gegliedert: II. ’Der Wortschatz der Unreinheit’ (lat., dt.), III. ’Verwendungsmöglichkeiten der Unreinheitsmetaphorik’ (Sexuelles, Weiteres wie Mord oder Hochmut u. a.), IV. ’Begriffliches’, (Seele, Geist, Herz; Gedanken, Worte, Werke), V. ’Personen’ (Gott, Engel; Menschen), VI. ’Der Leib des Menschen’ (Der reine und der befleckte Leib; einzelne Körperteile), VII. ’Gegenständliches’ (Kleider, Gefäß, Glas usw.), VIII. ’Räumliches’ (Welt, Land, Wege usw.), IX. ’Tiere’, X. ’Schmutzmaterie’, XI. ’Das Reinigen von Sünde’ (u. a. Taufe, Reue, Werke usw.).

Aus den (kurzen) Nachbetrachtungen verdient vor allem die Beobachtung hervorgehoben zu werden, daß das in der Metaphernforschung übliche proprie/translate-Schema in diesem Fall unzureichend ist, da auch Ungegenständliches (z. B. eine Handlung) bildspendend verwendet werden kann. Auch auf der bildempfangenden Seite gibt es Abgrenzungsprobleme, da keineswegs jede (konkrete) Beschmutzung auf Sündhaftigkeit deutet, ja diese dann irrelevant wird, wenn es in erster Linie "auf den Sündenschmutz" ankommt: "Wenne nieman ist unreine Denne von sünden aleine" (Hugo von Trimberg).

In den abschließenden Bemerkungen zu ,Konstanz und Wandel der Sündenmetaphorik’ betont der Vf. in erster Linie den Gedanken, daß eine das do-ut-des-Prinzip ablehnende "Spiritualisierung", die im Hochmittelalter auf Autoren aus dem monastischen Bereich beschränkt ist, vielfach schon im Spätmittelalter und nicht erst in der Reformationszeit bei Weltgeistlichen und Laien feststellbar sei. Diese Beobachtung ist freilich nicht überraschend, sondern fügt sich nahtlos in die seit einigen Jahren aktuelle Erforschung der Vorgeschichte der Reformation ein.

Das durch ein umfängliches Literaturverzeichnis sowie drei Register aufgeschlüsselte Werk besticht durch die Fülle des in ihm verarbeiteten, klug geordneten Materials und wird zukünftigen Spezialstudien zur Metaphorik des ,Sündenschmutzes und der Herzensreinheit’, die von bestimmten thematischen Zusammenhängen oder Werk- und Autorencharakteristika ausgehen, ein unverzichtbares Vergleichsmaterial bieten.