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Ausgabe:

Mai/2003

Spalte:

566–569

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Schatz, Klaus

Titel/Untertitel:

Allgemeine Konziliengeschichte - Brennpunkte der Kirchengeschichte.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 1997. 360 S. 8o = UTB 1976. Kart. ¬ 17,90. ISBN 3-8252-1976-3.

Rezensent:

Adolf Martin Ritter

Konzilsgeschichte kann heutzutage - anders als zur Zeit der Vorbereitung und Durchführung des II. Vaticanum - nicht mehr auf ein allgemeineres Interesse rechnen. Damals konnte es durchaus passieren, dass eine Dissertation über eines der "ökumenischen" Konzilien der Alten Kirche die Auslagen einer der größten Bahnhofsbuchhandlungen Deutschlands zierte! Dem Kirchenhistoriker allerdings und allen an seinem Fach Interessierten gibt sie Gelegenheit, "Brennpunkte" dieses Fachs ins Visier zu nehmen. So wird sie denn im akademischen Unterricht - in Vorlesungen oder Seminaren - gern traktiert.

Auch dieses Büchlein geht auf Vorlesungen (in diesem Fall an der Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt/M.) zurück und "wendet sich vor allem an Studenten sowie sonstige theologisch und historisch interessierte Leser" (so das Vorwort), von der Überzeugung geleitet, dass seit dem Erscheinungsjahr von H. Jedins "Kleine[r] Konziliengeschichte" (1959) auf dem Felde kirchlicher Erfahrung wie auch theologischer und historischer Forschung viel geschehen sei (man denke nur an das II. Vaticanum selbst, in dessen Vorfeld Jedin seine Einführung geschrieben hatte); das lasse "auch die Geschichte der früheren Konzilien in ganz neuem Lichte erscheinen" (ebd.). Zu diesen Veränderungen gehöre, dass man nicht länger so selbstverständlich und problemlos wie Jedin von den "zwanzig" oder - nach dem 2. Vaticanum - einundzwanzig "ökumenischen Konzilien" reden könne, wie sich überhaupt "uns" Heutigen "die Konziliengeschichte noch wesentlich komplizierter, verwirrender und auch konfliktreicher" darstelle als früher (ebd.). Deshalb bilden den Gegenstand dieser neuen Konziliengeschichte nicht eine fixe Zahl "ökumenischer Konzilien" - ein Begriff, den der Vf. seiner Verwickeltheit wegen am liebsten meidet -, sondern die "Allgemeine[n] Konzilien", darunter auch das Constantinopolitanum I von 381, welches zu den Synoden gehöre, "die von Anspruch und Realität her eindeutig nicht-ökumenisch waren", sondern erst "nachträglich gesamtkirchlich rezipiert wurden" (13), ferner Ephesos II (449), die "Räubersynode", das "Trullanum" (692) sowie alle drei Konstantinopeler Konzilien des "photianischen Streits" (861-880), an denen die Kirche Roms sämtlich beteiligt war, obwohl diese sich gegenseitig annullierten, und von denen sie später nur das zweite (869/70) - als "8. ökumenisches Konzil" - anerkannte. Sehr summarisch werden aber auch die fränkischen und westgotischen Landessynoden und später, ebenso summarisch, die ostfränkisch-deutschen Reichskonzilien erwähnt, während ausführlicherer Behandlung nur noch die anerkannten "allgemeinen" Konzilien der römisch-katholischen Kirche gewürdigt werden. Auf das Synodalwesen der orthodoxen oder der aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen fällt nicht einmal ein Seitenblick. Man sieht daran von vornherein, dass der Vf. dieser Konzilsgeschichte "keineswegs ohne ekklesiologische Vorentscheidungen" (13) auskommt, gleichgültig, ob nun von "ökumenischen" oder "allgemeinen" Konzilien die Rede ist. - Darauf ist gleich noch einmal zurückzukommen.

Inhalt: Nach einleitenden Überlegungen zur Frage: "Welche Konzilien sind ökumenisch?" (13-20) wird in einem ersten kurzen Kapitel der "Beginn des Konzilsinstituts" seit dem Ende des 2. Jh. skizziert (21-26). Die folgenden drei Kapitel sind der Konzilsgeschichte des 1. Jahrtausends gewidmet ("Nikaia, seine Rezeption und das Ringen um das trinitarische Dogma" [27-48]; "Nikaia alleine? Von Ephesos zu Chalkedon" [49-70]; "Patriarchate, Landeskirchen und zerbrechliche Einheit: Die altkirchlichen Konzilien nach Chalkedon" [71-100]). Der mehr als zwei Drittel des Ganzen umfassende Rest ist, auf fünf Kapitel verteilt, ausschließlich der abendländischen (und seit dem frühen 16. Jh. nur noch der römisch-katholischen) Konzilsgeschichte im 2. Jahrtausend gewidmet ("Die päpstlichen Konzilien des Hochmittelalters" [101-122]; "Um Einheit und Reform der Kirche: Die Konzilien des 15. Jahrhunderts" [123-164]; "Konzil und Konfessionalisierung: Das Tridentinum (1545-1563)" [165- 214]; "Konzil und Autoritätsprinzip: das 1. Vatikanum (1869/70)" [215- 262]; "Konzil und Aggiornamento: Das 2. Vatikanum (1962-1965)" [263-332]. Beigegeben sind dem Text diverse Karten und Statistiken, ferner ein Quellen- und Literaturverzeichnis (333-341), eine Auflösung der benutzten Abkürzungen (342 f.) und endlich ein Personen- und Sachregister (344-360).

Das Buch ist, von dem reichlich fehlerhaften Griechisch abgesehen, für das man aber in erster Linie dem Lektorat die Schuld geben wird, gut zu lesen (besonders schlimm das ek dyon physeon [56] oder das omoios to patri chata ten grapsen sonst begegnen meist Spiritus- und Akzentfehler [en masse]). Es hat gewiss sein Publikum erreicht, das es im Auge hatte; und es wird es aller Voraussicht nach auch weiterhin erreichen, namentlich, sofern es des Autors "ekklesiologische Vorentscheidungen" teilt. Aber auch wer dies nicht tut, wird besonders die ebenso kenntnisreiche wie informative, dabei keineswegs unkritische Darstellung der (abendländisch-römischkatholischen) Konzilsgeschichte des 2. Jahrtausends zu schätzen wissen. Hier kommt auch die Fachkompetenz des Autors - vgl. bereits seine vorzügliche Promotion an der Gregoriana in Rom über das Thema "Kirchenbild und päpstliche Unfehlbarkeit bei den deutschsprachigen Minoritätsbischöfen auf dem 1. Vatikanum" (1974) - am ehesten zur Geltung und machen sich besagte "ekklesiologische Vorentscheidungen" weit weniger störend bemerkbar als bei der Darstellung des 1. Jahrtausends, wenngleich sie spürbar bleiben, z. B. dadurch, dass der Vf. an der geradezu angsterregend-restriktiven Interpretation der Beschlüsse des 2. Vatikanums durch das päpstliche Lehramt unter Johannes Paul II. stillschweigend vorübergeht.

Es ist ganz ähnlich wie in der ein paar Jahre älteren dogmengeschichtlichen Studie desselben Vf.s "Der päpstliche Primat. Seine Geschichte von den Ursprüngen bis zur Gegenwart" (Würzburg 1990), besprochen von J. Haustein in dieser Zeitschrift (118 [1993], 1085 ff.), mit der das hier zu besprechende Konzilsbuch natürlich eine Menge Stoff gemeinsam hat; aber nicht nur das, sondern auch den angedeuteten Konflikt, wenn es dort heißt:

"Das 1. Vatikanische Konzil ... hat den Primat des Bischofs von Rom über die gesamte Kirche in seinem genauen Inhalt (als Primat der Kirchenleitung und der Bewahrung der rechten Lehre) als wesentliche und unaufgebbare Einrichtung der Kirche definiert. Dieser Primat ist damit für das katholische Kirchenbewußtsein ein Strukturelement, das im ökumenischen Gespräch nicht zur Disposition steht und ohne das eine volle Kirchengemeinschaft nicht möglich ist. Denn er ist nach katholischer Überzeugung, wie diese in dem genannten Konzil ihre lehramtliche Sanktionierung erfahren hat, im Willen Christi und im Petrus des Neuen Testaments grundgelegt. Und doch war er keineswegs fix und fertig von Anfang an da, hat vielmehr eine sehr lebendige und nicht immer geradlinige Geschichte. Dieses Faktum als solches anzuerkennen, bietet heute, anders als zur Zeit des 1. Vatikanums, innerkatholisch keine Probleme mehr" (9 f.).

Dass die primatiale Stellung Roms "keineswegs fix und fertig von Anfang da" sei, vielmehr eine "sehr lebendige und nicht immer geradlinige Geschichte" durchlaufen habe, ist auch der Tenor der Schatzschen Darstellung der Konzilsgeschichte des 1. Jahrtausends. Dass es, wie in seiner Papstgeschichte, auch jetzt nicht ohne Künstlichkeiten, ohne Überbewertung "günstiger" (oder günstig scheinender) und Unterbewertung sperriger Zeugnisse abgeht, kann man von vornherein erwarten. Vgl. lediglich folgende Formulierungen auf den Anfangsseiten: "Weder von Einberufung durch den Papst noch von päpstlicher Konzilsleitung kann im großen und ganzen auf den Konzilien des ersten Jahrtausends die Rede sein" (14; was wären die Ausnahmen von der Regel?); "Der Anspruch auf Bestätigung wird zwar durch Rom seit dem fünften Jahrhundert klar erhoben, jedoch nicht ohne weiteres in dieser Form im Osten anerkannt" (ebd.; wo wird dieser Anspruch im Osten überhaupt - sei es in dieser oder in anderer Form - anerkannt?); schon in den Anfängen des Konzilswesens sind Glaubensentscheidungen gegen Häresien "durchaus auch mit unfehlbarem Anspruch" gefällt worden (25; Was heißt das?); die römischen Synoden seit der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts "hatten zwar vor der gregorianischen Zeit noch keine automatische Rechtswirkung in anderen Kirchenprovinzen, besaßen jedoch bereits eine potentielle Universalität" (26, Zitat H. J. Schmale). Gilt das nicht auch von anderen Synoden - dank der konstitutiven Bedeutung der Rezeption?

Weitere Beispiele: Die m. E. unbegründete Behauptung, Justinian I. habe dem römischen Bischof "eine sehr betonte Stellung als Haupt der Kirche" zugeschrieben (75), oder die völlig "situationsvergessene" Wertung der "Hormisdas-Formel" (74 f. 96). Es ist trotzdem enttäuschend, zumal es mit einer recht einseitig-"abendländischen" Sicht der dogmengeschichtlichen Entwicklung nach Chalkedon einhergeht; hier war man auch an St. Georgen zu Frankfurt - unter dem späten A. Grillmeier nämlich - schon einmal weiter.

Enttäuschend für wen, könnte man mich fragen? Ich antworte bündig: für den Historiker wie für den "Ökumeniker". Der Historiker wird die Verständigung mit K. Schatz über die Konfessionsgrenzen hinweg für äußerst schwierig oder doch wenigstens nicht einfach halten, wenn er u. a. lesen muss: In den "wechselnden Kriterien" für die "Ökumenizität" eines Konzils drücke "sich selber der Wandel sowohl der Ekklesiologie wie der kirchlichen Realität und Struktur und die wechselnde Beziehung der Kirche zur Welt aus. Dem Historiker" bleibe "daher nur folgende Definition möglich: Ökumenisch sind jene Konzilien, die im nachhinein wenigstens der römisch-katholischen Kirche bestanden haben" (15).

Wäre es nicht, so gebe ich zu bedenken, "historisch" redlicher zu sagen, die Geschichte der "ökumenischen" Konzilien reiche bis zu demjenigen Konzil, mit dem - aus triftigem Grund - auch das große Unternehmen der ACO nach dem (bis auf die Zeit vor Ausbruch des 1. Weltkrieges zurückreichenden) Plan E. Schwartzens (der ja etwas von Geschichte verstand) seinen Abschluss finden wird: dem 8. ökumenischen Konzil von 879/80? Jetzt endete die Reihe der (von byzantinischen Kaisern berufenen, geleiteten und bestätigten) "ökumenischen" (= Reichs-) Konzilien der Alten Kirche. Dem in der Antike und noch im Frühmittelalter im Allgemeinen unbestrittenen innerkirchlichen Kriterium der gesamtkirchlichen Rezeption, welches (allein!) auch der Auswahl relativ weniger "ökumenischer" aus einer Vielzahl von Reichssynoden zu Grunde liegt, entsprach die Synode von 879/80 freilich nicht mehr, genau so wenig wie ihre Vorgängersynode von 869/70, die im Westen als 8. ökumenisches Konzil gezählt wurde (und in der römisch-katholischen Kirche noch heute als solches gilt). Hier ist also, man kann das sehen, etwas zu Ende gegangen. Offensichtlich war dies altkirchliche Institut nicht mehr in der Lage, "gesamtkirchliche Probleme zu meistern. Es war zu einem Instrument der byzantinischen Reichspolitik geworden" (so C. Andresen, Geschichte der abendländischen Konzile des Mittelalters, in: H. J. Margull [Hrsg.], Die ökumenischen Konzile der Christenheit, Stuttgart 1961, 75-200; hier: 76 f.). Bemerkenswerterweise kennt es auch in Byzanz in der von dort aus missionierten Welt bis heute keine Fortsetzung mehr. Soll es, so wird der Historiker weiter argumentieren, trotzdem heute eine Fortsetzung geben, muss man sich der vollständig veränderten Situation bewusst sein. In der Antike dienten die Konzilien dazu, gefährdete Gemeinschaft zu bewahren, aber nicht, zerbrochene Gemeinschaft wieder herzustellen. So müsste nunmehr am Anfang stehen, was in der Alten Kirche auf die Konzilien folgte, nämlich: die Rezeption (vgl. A. M. Ritter, Reich und Konzil, in: G. Rau u. a. [Hrsg.], Das Recht der Kirche, II, Gütersloh 1995, 36-57).

Den "Ökumeniker" muss enttäuschen, dass diese Konziliengeschichte, zumal was das erste Jahrtausend anlangt, keine Visionen enthält, keine ernsthaften Alternativen (Communio-Ekklesiologie des 1. Jahrtausends) aufzeigt. Ich stelle mir vor, der jetzige Papst, Kardinal Ratzinger oder andere Angehörige der Glaubenskongregation, bekämen dies Büchlein in die Hand; sie würden darin kaum einen Anlass finden, sich zu beunruhigen und nachdenklich zu werden. - Hat aber der Historiker nicht in erster Linie die Pflicht - und das königliche Recht, nachdenklich zu machen?