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Ausgabe:

Mai/2003

Spalte:

557–559

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Roth, Michael

Titel/Untertitel:

Sinn und Geschmack fürs Endliche. Überlegungen zur Lust an der Schöpfung und der Freude am Spiel.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2002. 180 S. 8. Kart. ¬ 18,80. ISBN 3-374-01987-0.

Rezensent:

Ludwig Zink

Zu Recht stehen am Anfang die Fragen des Autors: Gibt der Glaube etwas über das Spiel zu denken? Ist das Spiel überhaupt einer systematisch-theologischen Erörterung wert? Er weitet den Fragehorizont aus: Wie steht es mit dem Verhältnis des christlichen Ethos zur Daseinsfreude? In seiner gründlichen Vorgehensweise widmet der Vf. der Darlegung des Problemhorizontes runde 50 Seiten, wobei er seine sechs aufgezählten Eigenschaften des Spiels in der Definition des Experten Huizingas ("Homo ludens") wiederfindet: Das Spiel verfolgt keinen außerhalb seiner selbst liegenden Zweck (1). Das Spiel hat eine zirkuläre Struktur, eine innere Unendlichkeit (2). Mit dem Spiel ist ein Heraustreten aus dem eigentlichen Leben in eine zeitweilige Sphäre von Aktivität mit eigener Tendenz verbunden (3). Das Spiel hat einen offenen Ausgang (4). Das Spiel "spielt sich innerhalb bestimmter Grenzen von Zeit und Raum ab" (5). Das Spiel ist gekennzeichnet von einer Gegenwärtigkeit, von einer "stehenden Bewegung" (6).

Wie schwer sich die protestantische Ethik des 19. und 20. Jh.s mit dem Spiel tut, ist der Inhalt vom zweiten Kapitel. Der Autor beginnt mit A. H. Francke, der schon als Kind dem Spiel nichts abgewinnen konnte, es fast für eine Sünde erachtet hat, sich des Zeitverderbens "entschlagen" hat, um "etwas Nützliches und Besseres zu suchen". Nur das Zweckhafte hat bei diesem Erzieher seine Berechtigung. Und bei den Zöglingen ist Sorge zu tragen, dass der "holdselige Heiland ihre einzige Freude sei". Einen Fortschritt in der Bewertung gibt es dann in der Ethik von Chr. E. Luthardt, bei dem das Spiel als Mittel zur Erholung seine Berechtigung hat und indirekt der Arbeit zugute kommt, die eben der Erholung bedarf. Dem Spielcharakter kommt die "Christliche Ethik" von A. Schlatter näher, da er den Zweck des Spiels als in der Handlung selbst ruhend, als ein "Wohlgefühl" definiert. Er kann das Spiel nicht ablehnen, da er es mit der "Achtung, die wir allem Natürlichen schulden" verbindet. W. Herrmann ordnet in seiner Ethik das Spiel als erlaubt ein, als ein "Zugeständnis Gottes an die menschliche Natur". F. H. R. von Frank und W. Trillhaas sehen die Zweckimmanenz, bzw. die Zweckfreiheit des Spiels und können das Spiel als Entlastung und Pause des Daseins positiv bewerten. Einen ausführlichen Platz nimmt das Spiel in der Theologischen Ethik von H. Thielicke ein, welche der Eigenart des Spiels gerecht wird, sich aber galant mit einigen Fragen aus dem Schneider macht: "Gerade weil das Spiel zwecklos ist, stellt sich die Frage, ob ich einen Raum der Zweckfreiheit in Anspruch nehmen darf?" Obwohl auch J. Moltmann dem Spiel die Zweckfreiheit zugesteht, tut er sich andererseits wieder schwer mit ihr, weil er darin einen stabilisierenden Effekt für die Welt der Arbeit und der Herrschaft sieht, und er plädiert für ein Spiel, das eine Antizipation, ein Probierverhalten für einen neuen Lebensstil ist. Mit elementarer Wucht kommt dann im dritten Kapitel die Kritik von Friedrich Nietzsche zu Wort, der das Christentum als Verleugnung des Lebens zu Gunsten der "Lüge der sittlichen Weltordnung" kennzeichnet. Der Autor geht dann zu den Anfängen des Unbehagens mit dem Endlichen und seinem Geschmack daran zurück auf die weitreichende Bedeutung des Wortes von Augustinus, dass es gilt, Gott zu genießen und die Welt zu benutzen (frui deo et uti mundo).

Im zweiten Kapitel behandelt der Autor das Spiel bei F. D. E. Schleiermacher, dessen Quintessenz darin besteht, dass dem mit seiner eigenen Rechtfertigung beschäftigten Menschen keine Zeit für das Spiel bleibt. Im dritten Kapitel ist es dem Autor ein wichtiges Anliegen, dass gerade das in der Reformation hervorgehobene Gottesverständnis die lustvolle Bestimmtheit des Gefühls in Bezug auf Gott ermöglicht. Unter dem Titel "Frui mundo - Die Schöpfungsordnung Gottes" geht der Autor auf den Gegenwartsbezug der christlichen Schöpfungsaussagen ein, während er im 6. Kapitel nachweist, dass die "kreatürlichen Güter als die guten Gaben des Schöpfers zu verstehen sind. Sie um ihrer selbst willen zu begehren (frui mundo) ist keineswegs Merkmal der sündhaften Entfremdung, sondern Merkmal der Geschöpflichkeit des Menschen". Das abschließende Kapitel gilt dem "Spiel in seiner theologischen Bedeutung". Wird das Spiel als Schöpfungsordnung Gottes begriffen, so zeigt sich, dass "in der Freude an dem zwecklosen Spiel selbst der schöpfungsmäßige Sinn des Spiels liegt" (164).

Der Autor hat mit seiner Arbeit eine notwendig anstehende Aufgabe erfüllt. Er ist ihr mit einer großen und differenzierten Sachkenntnis nachgegangen. Freilich macht er es dem Leser oft schwer, ihm in allen Verzweigungen seiner Darstellung zu folgen (es fragt sich zum Beispiel, ob die Darstellung von Viktor E. Frankls Logotherapie in diesem Rahmen sinnvoll ist). Manchmal fragt man sich auch, ob er sich und dem Leser bzw. der Leserin nicht einen besseren Dienst getan hätte, die Schwerpunkte noch klarer und eindeutiger zu setzen und manches, was für den heutigen Fragehorizont nicht mehr von Bedeutung ist, wegzulassen. Als katholischer Rez. hätte man dafür gewünscht, dass im Zeitalter der Ökumene Namen wie Romano Guardini, Hugo Rahner oder Teilhard de Chardin eine Erwähnung finden würden.