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Ausgabe:

Mai/2003

Spalte:

552

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Neuhaus, Peter

Titel/Untertitel:

Erinnerung als Brückenkategorie. Anstöße zur Vermittlung zwischen der Politischen Theologie von Johann Baptist Metz und der tiefenpsychologischen Theologie Eugen Drewermanns.

Verlag:

Münster-Hamburg-Berlin-London: LIT 2001. 222 S. gr.8 = Forum Theologie und Psychologie, 2. Kart. ¬ 25,90. ISBN 3-8258-5381-0.

Rezensent:

Ingrid Schoberth

Der lange Untertitel der katholisch-theologischen Dissertation (Saarbrücken 2001) ist programmatisch: Die Arbeit will zwei in der Anlage wohl sehr konträre und jeweils auch umstrittene Positionen katholischer Theologen aufeinander beziehen. Die Gemeinsamkeit der Positionen erkennt der Autor darin, dass sie den "Glauben der Christen als ein Projekt umfassender Befreiung in Geschichte und Gesellschaft verstehen, dessen Ziel in der Subjektwerdung des Menschen im Angesichte Gottes liegt" (48). Solche Übereinstimmung ist für die beiden dargestellten Theologen keineswegs selbstverständlich; sie haben vielmehr die Position des anderen jeweils ausdrücklich kritisiert. Darum bedarf es des ersten Teils (15-48), der nach einer Annäherung beider Positionen sucht, die bisweilen in Missverständnissen, Polemiken und Diskursverweigerungen stecken geblieben sei. Freilich kann die vorliegende Arbeit nicht überzeugend zeigen, dass zwischen beiden theologischen Konzeptionen nicht doch substantielle Differenzen vorliegen. Der zweite Teil der Arbeit (49-172) ist eine sehr komprimierte, aber differenzierte Beschreibung der politischen Theologie von Metz, die im Eingedenken der Leidensgeschichte der Welt ihre Kontur gewinnt, und der tiefenpsychologisch orientierten Theologie von Drewermann, der es vor allem um die Befreiung des Menschen aus dem Bann der Angst zu tun ist und die sich am Therapiemodell der Heilung als Erinnerung (140) orientiert.

Die Zusammenschau arbeitet dann den Leitbegriff der Erinnerung als Zentrum der beiden theologischen Entwürfe heraus: Erinnerung ist das Medium, "um der Stimme Gottes in der Geschichte des einzelnen wie der (Leidens-)Geschichte der Menschheit Gehör zu verschaffen." (168) Weil Erinnerung in beiden Konzeptionen eine solche zentrale Stellung einnimmt, erkennt der Verfasser in diesem Begriff die Möglichkeit ihrer Verbindung: Erinnerung kann als Brückenkategorie zwischen beiden Entwürfen fungieren. Der dritte Teil der Arbeit (173-196) fasst Erinnerung auch als eine interdisziplinäre "Brückenkategorie", indem Linien zur politischen Theorie Hannah Arendts, dem Geschichtsdenken Paul Ricoeurs und der Aufgabe der Erziehung nach Auschwitz in Anschluss an das jüdische Lehrhaus gezogen werden. Der Ausklang des Buches (197-203) wendet sich der Dialektik von Erinnern und Vergessen zu: Gegen ein "Übermaß an Gedächtnis" (Ricur) bedarf Erinnerung auch des Vergessens.

Die Arbeit stellt mit Recht den Reichtum der Perspektiven heraus, die theologisch mit Erinnerung verbunden sind, dabei wird freilich leider die evangelische Literatur zum Thema kaum wahrgenommen. Zudem bleibt die Studie in ihrer theologischen Begründung oft unklar:

Erinnerung kann hier nicht nur formal entfaltet werden, sondern muss sich immer wieder an der Erinnerung an die Versöhnung der Welt mit Gott in Jesus Christus ausrichten. Ein solch vertiefter theologischer Begriff der Erinnerung, der die Wahrnehmung einer anamnetisch-therapeutischen und politisch-befreienden Dimension um den Begriff der Erinnerung als Lebensform erweitert, ist theologisch von weitreichender Bedeutung, die sich bis in jede einzelne Lebensgeschichte hinein verlängert, wie das auch der Autor mit seinem Vorwort und der Widmung bezeugt.