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Ausgabe:

September/1998

Spalte:

866 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Rufinus von Sorrent

Titel/Untertitel:

De bono pacis. Hrsg. u. übers. von R. Deutinger.

Verlag:

Hannover: Hahnsche Buchhandlung 1997. XV, 239 S. 8 = Monumenta Germaniae Historica. Studien und Texte, 17. ISBN 3-7752-5417-X.

Rezensent:

Gerd Haendler

Der Text war 1726 erstmals durch den Benediktiner Bernhard Pez veröffentlicht worden, Migne hatte ihn 1854 in seine Patrologia Latina 150, 1591-1638 übernommen. Erst 1926 ist man auf diese Arbeit näher eingegangen: Harald Fuchs brachte in seinem Buch "Augustin und der antike Friedensgedanke" gute Gründe für die Abhängigkeit dieser Schrift von Augustin. Ebenfalls 1926 entdeckte Germain Morin einen neuen Textzeugen für die Arbeit De bono pacis in Montecassino sowie anonyme Predigten, die er mit Rufinus in Verbindung brachte. Er hielt ihn für einen Kanoniten in Bologna, der später zum Bischof und Erzbischof aufgestiegen sei. 1957 interressierte sich Yves Congar für Person und Arbeit des Rufinus; 1980 wandte sich Ernst-Dieter Hehl in seinem Werk über Kirche und Krieg im 12. Jh. auch der Schrift des Rufinus zu. 1986 erschien eine Textausgabe von Aldo Brunacci und Guiseppe Catanzaro, die viel kritisiert wurde. Im gleichen Jahr ordnete Klaus Arnold den Text unter die Friedensvorstellungen in Mittelalter und Renaissance ein. Otto Gerhard Oexle hat 1992 in einem Vortrag über Formen des Friedens in den religiösen Bewegungen des Hochmittelalters (1000-1300) auch Rufins Untersuchung dargestellt (5 f.).

Die jetzt neu vorgelegte Edition hinterfragt die bisherigen Ergebnisse: Der Name Rufinus war viel häufiger als bisher erkannt. Jener Rufinus war offensichtlich kein Kanonist, er war einst Mönch des Klosters Montecassino, dessen umfassende Bibliothek er ausgiebig benutzt hat. Abt Petrus II. von Montecassino (1174-1186) hatte den inzwischen zum Bischof von Sorrent aufgestiegenen Rufinus zu jener Arbeit ausdrücklich aufgefordert. Deutinger hält es für möglich, daß der Abt von Monte Cassino mithelfen wollte, das lang andauernde Papstschisma zu beenden; dann würde die Arbeit De bono pacis in die Vorgeschichte des Friedens von Venedig 1177 hinein gehören (22). Es sei aber festgehalten, daß jeder direkte Bezug fehlt: Kaiser Friedrich I. Barbarossa wird ebenso wenig genannt wie der umstrittene Papst Alexander III. oder seine Gegenpäpste.

Die Lage in Rom wird nur einmal erwähnt: "von der Stadt Rom zu schweigen, die früher, solange in ihr der Friede blühte, die Herrin der Welt war, jetzt aber, erniedrigt von Aufständen und von Bürgerkriegen geschüttelt, fast darniederliegt" (II, 18, 142 f.). Das könnte für viele Epochen Roms passen. Mit solchen Wendungen hatte schon vor 600 Papst Gregor I. geklagt, als die Langobarden Rom belagerten; Rufinus könnte diese Stelle in Gregors Ezechielkommentar in der Klosterbibliothek von Monte Cassino gesehen haben. Ähnlich verhält es sich mit Bildern, die Papst Alexander in seiner Wahlanzeige 1159 ebenso gebrauchte wie Rufin (21). Diese Bilder von der Kirche als Gewand Christi (Joh 19,23) oder als Taube (Cant 6,8) usw. müssen keine Abhängigkeit beweisen, sie sind altkirchliche Tradition und finden sich schon in Cyprians Traktat De ecclesiae catholicae unitate in der Mitte des 3. Jh.s.

Für seine Gedanken holte sich Rufinus seine Beweise ebenso aus der Bibel und den Kirchenvätern wie auch aus heidnischantiken Autoren. Als Beispiel sei ein Abschnitt aus II, 12/13 genannt: II/12 polemisiert gegen Aufrüher, welche Verordnungen mißachten sowie Abgaben und Steuern nicht bezahlen. Zur Widerlegung führt Rufinus drei Zeugen an: "Dagegen spricht der Herr: Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört. Und Paulus sagt: Gebt allen, was ihr ihnen schuldig seid, sei es Steuer oder Zoll. Dazu gehört auch, was der hervorragende Dichter zum Lob des römischen Reiches in ebenso seherischem Geist wie reinen Versen singt: Du aber, Römer, gedenk - so wirst du leisten dein Wesen - Völker kraft Amtes zu lenken und Ordnung zu stiften dem Frieden, Unterworfne zu schonen und niederzukämpfen Empörer".

So werden Jesus in Mt 22,21, Paulus in Rö 13,7 und Vergil in Äneis 6, 851/53 gleichwertig hintereinander gestellt. In II/13 wird ausgeführt, daß es auch unrechtmäßige Herrschaft geben kann; als Beweis bringt Rufinus den viel zitierten Abschnitt aus Augustins De civitate Dei IV/4, der Staaten ohne Gerechtigkeit als Räuberbanden (latrocinia) bezeichnet (131 f.).

Rufinus beruft sich (ähnlich wie schon Augustin) auf das Wort humanitas, das für den "Frieden Babylons" entscheidend ist: Die Ritter beschützen die Bauern, die Bauern versorgen die Ritter mit Nahrung, auch der Handel soll humanitas hervorbringen. "Damit diese Menschlichkeit stattfinden kann, muß man zuallererst Sprachkenntnisse erwerben, ohne die auch die gegenseitige Untersützung zur Verbrüderung der Menschen wenig nützt. Denn wie könnten sie einander durch Dienstleistungen helfen oder nützlichen Handel treiben, wenn sie einander ihre Bedürfnisse nicht durch die Bezeichnung mit Worten erklären könnten? Die Fremdheit einer unbekannten Sprache pflegt ja nun einmal nicht Menschlichkeit, sondern vielmehr Unmenschlichkeit hervorzubringen..." (II,9, S. 123). Freilich betont Rufinus - auch ähnlich wie Augustin - den höheren Wert des Friedens Jerusalems gegenüber dem Frieden Babylons: "Obgleich beide gut sind, wird dieser Friede doch durch größeren Ruhm geschmückt. Bei jenem Frieden genügt es nämlich - ausgenommen die erwähnte Menschlichkeit - in der Regel, niemandem zu schaden; dieser Frieden erfordert es, allen nützen zu wollen und nach Möglichkeit jedem Gutes zu tun. Darauf bezieht sich vielleicht auch das Wort des Heidenlehrers: Friede jedem, der das Gute tut. Ferner schafft der Friede Babylons, wie auf einer früheren Seite dargelegt, Freude, der Friede Jerusalems aber macht aus der Freude Seligkeit" (II,23, S. 159).

Zusammenfassend stellt D. fest: Rufinus Arbeit war "das Werk eines Außenseiters, der kühne zukunftsweisende Gedanken in der biblischen und altkirchlichen Tradition zu verankern sucht und gleichzeitig auf einen pragmatischen Frieden in einer durch und durch unfriedlichen Welt hinwirken möchte" (28).