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Ausgabe:

Mai/2003

Spalte:

548–550

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schulz, Heiko

Titel/Untertitel:

Theorie des Glaubens.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2001. XIV, 505 S. gr.8 = Religion in Philosophy and Theology, 2. Kart. ¬ 79,00. ISBN 3-16-147589-5.

Rezensent:

Jörg Lauster

Mit besonderem Interesse darf in der protestantischen Theologie traditionsgemäß rechnen, wer sich aufmacht, eine Theorie des Glaubens zu entwerfen. Das tut Sch. auf gut 500 Seiten in seiner Frankfurter Habilitationsschrift aus dem Jahre 1999. Der forschungsgeschichtlichen Beschreibung der Ausgangslage, die ihn zu diesem Projekt motiviert haben mag, wird man nur zustimmen können. Die hohe Bedeutung des Themas stehe in einem eigentümlichen Missverhältnis zu seiner wissenschaftlichen Bearbeitung in monographischem Range, zudem leide die deutschsprachige Forschung "alter schlechter Gewohnheit folgend" (2) unter einer programmatischen Beschränkung auf die Reformatoren und auf deutschsprachige Entwürfe des 20. Jh.s. Es bedarf daher nur wenig Überzeugungsarbeit von Seiten des Autors, um das Interesse an "Forschungsbeiträgen jenseits der eigenen Traditionsgrenzen" (4) zu wecken und um gedanklich seiner Forschungsreise vom Tal der Wupper in die Höhen des kalifornischen Pasadena zu folgen. Von dem Blick auf die umfangreiche angloamerikanische Diskussion erhofft sich Sch., "dem diagnostizierten Explikationsbedarf" (5) nachzukommen, indem er erstens zwischen verschiedenen "Denk- und Forschungstraditionen" (6) vermitteln will, zweitens die "Einheit und Differenz zwischen mundanem und christlich-religiösem Glauben" (ebd.) herausheben möchte und drittens schließlich in theologischer Zielsetzung eine präzisere begriffliche Fassung des Glaubensbegriffs vorzulegen beabsichtigt.

Ihr Grundthema erhält die Untersuchung dementsprechend aus den sprachphilosophischen Voraussetzungen der angloamerikanischen Diskussion. Zum Wesen des Glaubens gehört es, dass er sich auf Gegenstände richtet und Sachverhalte artikuliert. Was aber lässt sich, so die zentrale Frage, erkenntnistheoretisch aufgrund dieser Propositionalität des Glaubens über die Glaubensgegenstände aussagen, oder ontologisch gefragt, welchen Wirklichkeitsbezug stellt der Glaube her? In einem ausführlichen ersten Teil stellt Sch. drei Antworttypen vor (11- 139). Im ersten Fall wird in einem analytisch-linguistischen Modell ein erkenntnistheoretisch verwertbarer Wirklichkeitsbezug von Glaubenssätzen bestritten (Stephen Stichs Eliminativismus). Das zweite Modell geht von einer wahrscheinlichen Evidenz der Glaubenspropositionen (belief) und einer daraus resultierenden freiwilligen Haltung des Vertrauens (faith) in christentumsapologetischer Absicht aus (Richard Swinburnes Reduktionismus). Drittens schließlich wird in deutlicher Abgrenzung von den sprachanalytischen Reduzierungen des Glaubensbegriffs faith als "an awareness of transcendence and a reponse to it" (125) gefasst (Cantwell Smiths Nonreduktionismus).

Sch.s kenntnisreiche und textnahe Auseinandersetzung dient als materiale Grundlage für einen klassifikatorischen Überblick über verschiedene Glaubenstheorien (139-226). In modifizierender Erweiterung übernimmt Sch. aus der angloamerikanischen Diskussion fünf Kategorien, die er dann in origineller Weise auf prominente Vertreter der deutschsprachigen Glaubenstheorie anwendet und damit das in Aussicht gestellte Gespräch zwischen den unterschiedlichen Traditionssträngen möglich macht. Dabei ist es ebenso überraschend wie im Kontext der Fragestellung plausibel, Autoren wie Luther und Schleiermacher in Schs. Terminologie einem logischen Reduktionismus qua Mentalismus zugerechnet zu sehen, d. h. einer Glaubensauffassung, die ein "nichtpropositional-expressives mit einem propositional-kognitiven, ergo wahrheitsfähigen Moment" (187) verbindet. Klassisch gesprochen ist damit gemeint, dass sowohl bei Luther als auch bei Schleiermacher die unbestreitbare Bedeutung der fides qua als einer bestimmten Art der religiösen Wirklichkeitswahrnehmung nicht vom Aussagegehalt dieser Wirklichkeitswahrnehmung im Sinne der fides quae einseitig abgelöst werden kann. Glaube ist demnach als Erfahrungsverarbeitung immer auch propositional. Den überwiegenden Teil der exemplarisch ausgewählten Glaubenstheorien rechnet Sch. einem ontologischen Nonreduktionismus zu, der in seinen verschiedenen Varianten grundsätzlich von einer "Teilhabe an der Wirklichkeit des Erkannten" (201) ausgeht. Das gilt für Tillichs Rede vom Ergriffensein vom Unbedingten, ebenso wie für personalistische und essentialistische Varianten, wie sie etwa in der neueren katholischen Theologie oder bei W. Pannenberg zu finden sind und die im besonderen Maße die anthropologische Funktion und Bedeutung des Glaubens herausheben bis hin zum theologischen Realismus, der im Gefolge Karl Barths Glaube auf die Konstitutionsbedingungen des Glaubens im Handeln Gottes hinweist.

Das dritte und vierte Kapitel bilden das konstruktive Herzstück der Arbeit. Zunächst zeigt Sch. auf, dass Glaube auch in einem vor-religiösen, "mundanen" Sinne als ein dispositionelles Wahrheitsgefühl auf unterschwelligen Interpretationsleistungen aufbaut und damit für die lebensweltliche Orientierung eine bedeutende Rolle spielt. Unter den Kategorien doxastischer, testimonialer und personaler Glaube werden die verschiedenen Strukturmomente von Vertrauen und Sich-Verlassen eingehend erörtert.

Diese Theorie eines mundanen Glaubens dient dann als Anknüpfungspunkt für Schs. Beschreibung des christlichen Glaubens. Man mag dabei überrascht sein, dass sich hier nun doch entgegen der Absichtserklärung die Erörterung durchgängig auf reformatorische Theologie und deren deutschsprachige Rezeption im 20. Jh. stützt. Gleichwohl bleibt als eine der bemerkenswertesten Thesen festzuhalten, dass die Besonderheit des christlichen Glaubens Sch. zufolge nicht in seiner Struktur als Fiduzialglaube liegt, sondern "ausschließlich in der Selbstauslegung seiner Genese, seines Inhaltes, seiner Wahrheitsbedingungen und seiner anthropologischen Funktion" (350). Die sich daran anschließende und gemessen an der sonstigen Weite der Arbeit eher eng anmutende Fragestellung, "ob man das Gesetz, im Glauben es zu erfüllen, erfüllen" (356) kann, dient Sch. dem Nachweis der ontologischen Macht des Glaubensbewusstseins. Ein abschließendes Kapitel beleuchtet ausgehend von William James' Rechtfertigungsversuchen des religiösen Glaubens die voluntaristische Problematik des Glaubensbegriffs.

Man wird Sch. in der Durchführung seines Vorhabens nicht vorwerfen können, dass er durch stilistische Gefälligkeit die Gunst seiner Leser zu gewinnen versucht. Ein ausgeprägter Hang zur analytischen Formalisierung dürfte nur einem kleinen Kreis behagen. Zudem sprengt ein reichlicher Abkürzungsgebrauch bisweilen die Grenzen der Verständlichkeit. Dennoch leistet Sch.' Untersuchung einen wichtigen und hilfreichen Beitrag zur Diskussion um den Glaubensbegriff, indem er die umfangreiche angloamerikanische Debatte rezipiert und mit den gegenwärtigen Ansätzen in der deutschsprachigen Theologie (Härle, Herms, Dalferth) ins Gespräch bringt. Seine abschließenden Bemerkungen über die fundamentaltheologische Stellung des Glaubensbegriffs dürften dabei ebenso Beachtung finden wie sein Versuch, die Aporien eines rein phänomenologischen Zugangs zu überwinden. Mit seinen Bemerkungen über die Interpretationsleistung und das lebensweltliche Orientierungspotential des Glaubens liefert Sch. wichtige Impulse, die er selbst allerdings nicht weiter verfolgt. Die anthropologische Grundlegung bleibt angedeutet und auch die Frage nach dem geschichtlichen Charakter des Glaubens findet nur am Rande Erwähnung. Auf Grund des sprachphilosophischen Ansatzes ist diese Beschränkung sicher sachgemäß, sie macht aber zugleich die sich daraus ergebenden Grenzen der Untersuchung deutlich. So sehr man aus Sch.s Buch für die gegenwärtige Diskussion Gewinn und wichtige Anregungen wird ziehen können, so sehr wird auch klar, dass vor dem Hintergrund einer analytisch-pragmatistischen Religionsphilosophie das Phänomen des christlichen Glaubens nicht in seiner ganzen Tragweite zu erfassen ist.