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Ausgabe:

Mai/2003

Spalte:

541–545

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Ekstrand, Thomas

Titel/Untertitel:

Max Weber in Theological Perspective.

Verlag:

Leuven-Paris-Sterling: Peeters 2000. XIV, 235 S. gr.8 = Studies in Philosophical Theology, 21. Kart. ¬ 23,00. ISBN 90-429-0944-7.

Rezensent:

Johannes Weiß

Gut 30 Jahre ist es her, da glaubten nicht wenige christliche, vornehmlich protestantische Theologen, nur in den Bahnen der materialistischen Religionskritik könne der frohen Botschaft eine dem Geist der Zeit und weitreichenden politischen Zielsetzungen gemäße Deutung gegeben werden. Mehr noch als Marx selbst galt ihnen Ernst Bloch als jemand, der in der Kritik der Religion die Religion als Kritik, in der Illusion die Wahrheit aufgedeckt habe. Und es lag ganz auf dieser Linie, dass man Max Weber glaubte abfertigen zu können mit der Behauptung, er habe mit seiner Religionssoziologie der marxistischen Religionskritik entgegentreten und einen "wissenschaftlichen Existenzbeweis zugunsten des Religiösen" (Hans Bosse) antreten wollen.

Eine solche Behauptung war und ist unsinnig, und sie erklärt nicht, warum Webers Werk in der Zwischenzeit auch unter Theologen zunehmend an Beachtung und Beanspruchung gewonnen hat. Dies liegt vielmehr darin begründet, dass erfahrungswissenschaftliche, insbesondere historisch-soziologische Analysen nach Webers Einsicht weder berufen noch imstande sind, den homines religiosi und der Theologie die Frage nach der religiösen Wahrheit abzunehmen. Weber hatte mit Erstaunen bemerkt, dass seine Untersuchungen zur protestantischen Ethik von Theologen durchweg freundlich und sehr sachlich aufgenommen worden waren, obwohl darin doch "das, was dem seiner Religion anhänglichen Theologen daran das Wertvolle ist, ... naturgemäß nicht zu seinem Recht kommen" könne. Es wäre allerdings falsch anzunehmen, Weber habe damit seine Analysen als für die Theologie irrelevant ausgeben wollen: Die aus der Perspektive einer religiösen Wertung "oft sehr äußerlichen und groben Seiten des Lebens der Religion" seien, so bemerkt er, gerade deshalb oft die am stärksten wirksamen.

Thomas Ekstrands theologische Dissertation (Universität Uppsala) verfolgt das Ziel herauszufinden, wie sich eine "integrierte christliche theologische Position in der Moderne" unter der Voraussetzung formulieren und vertreten lasse, dass Max Webers Auffassung von dieser Moderne als gültig unterstellt werde. Dass gerade Max Webers Analysen als Prüfstein gewählt werden, begründet der Autor mit der Feststellung, dieser sei "einer der klassischen Theoretiker der modernen rationalisierten Kultur" und gehöre zum "lebendigen Erbe der westlichen Kultur und Gelehrsamkeit" (2 f.). Die theologische Relevanz des Weberschen Werks geht also für E. weit über das hinaus, was Weber selbst, in der zitierten Bemerkung über die "äußerlichen und groben Seiten" des religiösen Lebens jedenfalls, in den Blick genommen hatte. Nicht weniger als der Sinngehalt und die Überzeugungskraft tragender Elemente des christlichen Glaubens einerseits und die Existenz der christlichen Theologie als Wissenschaft andererseits will E. davon abhängig machen, ob und wie sie sich im intellektuellen Purgatorium der Weberschen Deutung der modernen Kultur zu behaupten vermögen.

Es entspricht diesem Erkenntnisinteresse, dass Webers Arbeiten zur historisch-vergleichenden Soziologie der Religionen (die frühe, noch nicht im engeren Sinne soziologische Untersuchung zum asketischen Protestantismus eingeschlossen) für E. von sehr geringem Interesse sind und so auch fast vollständig unbeachtet bleiben. E. möchte wissen, ob und in welchem Sinne es sich mit dem Gebot der intellektuellen Rechtschaffenheit verträgt, heute und hinfort noch der christlichen Religion anzuhängen und christliche Theologie zu treiben. Was aber diese intellektuelle Rechtschaffenheit unter den gegebenen geschichtlichen Verhältnissen konkret gebietet, hat nach E.s Überzeugung in kaum widerlegbarer, von ihm selbst jedenfalls nicht einmal problematisierter Weise Max Weber geklärt. Der Kern dieser geschichtlichen Situationsbestimmung lässt sich für ihn, wie tatsächlich auch für Weber, in der Formel von der "Entzauberung der Welt" resümieren. Sie besagt in der hier interessierenden Hinsicht, dass der Primat der "Wissenschaft" (neuzeitlichen Typs) auf dem gesamten Gebiet der Welt- und Selbsterkenntnis des Menschen nicht nur als historisch-faktisch gegeben, sondern mit - guten rationalen - Gründen als nicht bestreitbar hinzunehmen ist. Damit aber ist auch gesagt, dass von der dominierenden und letztinstanzlichen Erkenntnisform her die spezifisch religiös-theologischen Fragen - nach der Wirklichkeit Gottes, nach einem absoluten und umfassenden Sinn des Weltgeschehens oder auch des je individuellen Lebens, nach Erlösung - nicht beantwortet, ja nicht einmal gestellt werden können: "Die im Sinne der Ablehnung religiöser Gebundenheit voraussetzungslose Wissenschaft kennt in der Tat ihrerseits das Wunder und die Offenbarung nicht. Sie würde ihren eigenen Voraussetzungen damit untreu. Der Gläubige kennt beides. Und jene voraussetzungslose Wissenschaft mutet ihm nicht weniger - aber: auch nicht mehr - zu als das Anerkenntnis: dass, wenn der Hergang ohne jene übernatürlichen, für eine empirische Erklärung als ursächliche Momente ausscheidenden Eingriffe erklärt werden solle, er so, wie sie es versucht, erklärt werden müsse". Diese - späte - Äußerung Webers zitiert und interpretiert E., soweit ich sehe, nicht, obwohl der Vortrag Wissenschaft als Beruf, in dem sie sich findet, ihm doch ansonsten, mit gutem Grund, als Basistext dient. Dies ist um so erstaunlicher, als jene Äußerung folgendermaßen endet: "Das aber kann er [der Gläubige; J. W.], ohne seinem Glauben untreu zu werden". Mir scheint, dass hier Ansatzpunkte einer Erörterung des Verhältnisses von erfahrungswissenschaftlicher Erkenntnis und religiöser Erfahrung resp. von Wissen und Glauben liegen, die E. hätte nutzen sollen, auch wenn sich dazu auch sonst bei Weber tatsächlich nur Ansatzpunkte finden. Dasselbe gilt für das, was Weber in demselben Vortrag über die erfahrungswissenschaftlich nicht einzuholenden, aber von einem bestimmten Punkte an auch nicht als unhaltbar zu erweisenden Voraussetzungen einer wissenschaftlichen Theologie sagt - Theologie verstanden als "intellektuelle Rationalisierung religiösen Heilsbesitzes".

Aus der (nicht erst bei Weber sich findenden) Einsicht, dass die Entzauberung der Welt durch die Wissenschaften unvermeidlich zur Selbstentzauberung der wissenschaftlichen Erkenntnis führt, können ganz neuartige Möglichkeiten erwachsen, über den Eigensinn, das Eigenrecht und den von daher sich ergebenden Spielraum von Religion und Theologie nachzudenken. Diese Option aber wählt E. durchaus nicht, sondern die genau entgegengesetzte. In je einem Kapitel werden zunächst Webers Wissenschaftslehre und seine Deutung der modernen Kultur, ihrer Widersprüche und Entfremdungspotentiale, dargelegt. Dies geschieht in kompetenter und kenntnisreicher Weise und bedarf, gerade weil es allem in allem dem Stand der Diskussion entspricht, keiner kritischen Diskussion. Das Besondere und Originelle an E.s Untersuchungen liegt ja auch darin, das so Erarbeitete für eine kritische Selbstverständigung der christlichen Theologie zu nutzen. Vom 5. Kapitel an geht es deshalb um die "challenges to theology", die sich aus Webers Analysen ergeben. Der Begriff "challenges" trifft allerdings E.s Perspektive und Verfahren nur unzulänglich. Tatsächlich nämlich lässt er sich von ihnen die Grenzen verbindlich vorgeben, innerhalb deren die Theologie ihr intellektuelles Auskommen finden muss. Generell und grundsätzlich bedeutet das, dass die Theologie auf alle "metaphysischen" Ambitionen und Aussagen verzichten muss (145 f.). Jede Art von "metaphysischer Spekulation" innerhalb der Theologie würde, so glaubt E., "in der einen oder anderen Weise ein sacrificium intellectus" erfordern, "which would place Christian believers outside the cultural conditions of modernity" (208). Damit solches nicht geschieht, unternimmt er es, zentrale Stücke der christlichen Theologie in dezidiert metaphysikfreier Weise zu interpretieren: Gott, Reich Gottes, Offenbarung, prophetisches Charisma, Jesus von Nazareth, das Wesen und die Bestimmung des Menschen.

Natürlich kann man sich mit einem solchen theologischen Minimalprogramm zufrieden geben, etwa in der Überzeugung, dass man damit Interesse und Sympathie bei vielen Menschen gewinnt, denen das Religiöse im Übrigen ganz fremd und jede Metaphysik ganz verdächtig ist. Man kann aber auch fragen, ob man unter den "kulturellen Bedingungen der Moderne" wirklich genötigt ist, eine solche Religion innerhalb der Grenzen der Weberschen Rationalität für die einzig vertretbare zu halten. Die Festlegung auf eine solche Perspektive und die damit gegebenen Beschränkungen sind um so weniger plausibel, als Weber selbst sie der Theologie eindeutig nicht abverlangt. Warum sollte es der Theologie auch nur bei einem sacrificium intellectus möglich sein, über genuin religiöse Erfahrung, über den dieser Erfahrung eigentümlichen Erfahrungsmodus und Erfahrungsgegenstand, die ihr entsprechende Form der Mitteilung und der Bewährung usw. nachzudenken und darüber durchaus rationale, d. h. mitteilungs-, begründungs- und zustimmungsfähige Aussagen zu machen? Und ist es nicht ein Zirkelschluss, das Faktum der "gottfremden, prophetenlosen Zeit" mit "der Entzauberung der Welt" zu erklären? Wäre es nicht der Theologie wie der Religionsphilosophie aufgetragen zu fragen, warum das- nach Weber (Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, III, 220 f.) - genuin religiöse "Erstaunen über den Gang der Welt" sich so schwach zeigt, obwohl es sich, durch den Gang der wissenschaftlichen Erkenntnis weder erledigt noch als grundlos erwiesen hat?

Weber selbst hat sich diesen Fragen nicht gewidmet, weil er kein Theologe und darüber hinaus "religiös unmusikalisch" war, und, nach eigenen Worten, gewiss aber auch, weil er daran zweifelte, dass es darauf gute Antworten gäbe. Aber muss man sich, als Weberianischer Nichttheologe, damit abfinden, dass christliche Theologen darin nicht nur Weber folgen, sondern ihn noch an intellektueller Zurückhaltung überbieten wollen?

Der Rez. ist kein Theologe, aber er glaubt zu wissen, wie mühevoll es ist, das Eigene und die eigentümlichen Rechtsgründe der religiösen Erfahrung im Allgemeinen und des christlichen Glaubens im Besonderen unter den Bedingungen der "rationalen Kultur" der Gegenwart so zu beschreiben, dass nicht nur irgendwelche diffusen "religiösen Bedürfnisse", sondern auch das Denkvermögen der Zeitgenossen angesprochen und herausgefordert wird. Und doch wird sich eine christliche Theologie dieser Aufgabe nicht entziehen können. Das theologische Minimalprogramm, das nach E. allein dem "Primat der Wissenschaft" Genüge tut, bleibt in dieser Hinsicht hinter den Möglichkeiten zurück, die durch eine "Weberianische" Perspektive eröffnet und auch nahegelegt werden. Sie sollte sie, und zwar offensiv, nutzen, um der Sache und um ihrer Selbsterhaltung willen. Die Idee Gottes und des Gottesreichs, die von daher sich herleitende Bedeutung und Bestimmung jedes einzelnen Menschen (nicht: des Menschen oder der Humanität im Allgemeinen), auch die im Abendmahl sich vollziehende Erinnerung an die "Gründerfigur" des Jesus von Nazareth, des "son of God" - all dies enthält einen Bedeutungs- und Deutungsüberschuss, der sich von den dadurch gestützten und symbolisch überhöhten "visions of life" allein her nicht zureichend einsichtig machen und lebendig erhalten lässt. Dass die Theologie sich nicht gegen erfahrungswissenschaftliche Erkenntnisse und Erkenntnismöglichkeiten stellt, ist selbstverständlich, nicht aber, dass sie sich von daher die Grenzen des eigenen Erfahrungs- und Sinnhorizonts verbindlich vorgeben lässt. Zwar wird sie sich auf diese Weise der Duldung, vielleicht auch einiger Zustimmung von Seiten nichtreligiöser Umwelten versichern können. Das so, kurz- und mittelfristig Gewonnene wird aber auf längere Sicht nicht nur ihre gesellschaftliche Notwendigkeit, sondern auch ihre intellektuelle Überlebensfähigkeit untergraben.

E. glaubt, dass die Religion und auch die Theologie nicht auf kognitive und in diesem Sinne intellektuelle Leistungen abheben sollen, sondern auf Aufgaben der praktischen Lebensorientierung. Die Antworten aber, die die Theologie auf- ihrerseits nicht ohne weiteres gegebene - "praktische" Sinn- und Orientierungsbedürfnisse zu geben versucht, hängen in der Luft, und sie werden auf Dauer nicht überzeugen, wenn ihnen keine ernsthaften Fragen zu Grunde liegen. Die Fragen der Religion und der Theologie aber sind religiöse Fragen, sie ergeben sich nicht von selbst und unter allen Umständen, erst recht nicht unter den Bedingungen der in einem sehr spezifischen Sinne "rationalen Kultur" der Gegenwart. Wie wäre etwa die von E. favorisierte Idee eines "God pro nobis" zu denken, was könnte sie "lebenspraktisch" bedeuten, wenn sie nicht auf etwas hinzielte, was Gott "an sich" - und eben deshalb für uns- ist? Die Theologie "under God" und "sub specie aeternitatis", die E. im Sinn hat, wird über Gott, Freiheit, Unsterblichkeit und Ewigkeit mehr und Anderes sagen müssen (wollen), als sich im Rahmen der Erfahrungserkenntnis ausweisen und begründen lässt. Max Weber ist nicht Gott und auch nicht sein Stellvertreter auf Erden und sub specie aeternitatis muss etwas anderes heißen als "according to Weber's view" (202) resp. "from a Weberian point of view" (208): Zwar steht die "moderne Kultur" in einem eigentümlichen, inneren Verhältnis zur Unendlichkeit; aber selbst die Einsicht in das Aporetische dieses Verhältnisses erschließt nicht ohne weiteres den Sinn von "Ewigkeit" im theologischen Verstande.

E. verdient viel Anerkennung und auch Bewunderung für die intellektuelle Redlichkeit und die intellektuelle Courage, mit der er sich als Theologe den Herausforderungen einer entzauberten Kulturwelt stellt. Es sollte ihm, ganz ohne sacrificium intellectus, aber auch möglich sein, diese intellektuelle Courage zu aktivieren, um eine selbstgenügsame "moderne Kultur" theologisch, und das heißt intellektuell, herauszufordern. Und er könnte sich dabei, so vermute ich, Max Webers Segen gewiss sein - selbst dann, wenn er im Zuge seiner "amelioration" (164) der von diesem eröffneten Möglichkeiten sogar seine Berührungsangst gegenüber dem "Metaphysischen" überwände.