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Ausgabe:

Mai/2003

Spalte:

528–530

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Cahill, Richard Andrew

Titel/Untertitel:

Philipp of Hesse and the Reformation.

Verlag:

Mainz: Zabern 2001. X, 219 S. gr.8 = Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. f. Abendländische Religionsgeschichte, 180. Lw. ¬ 35,00. ISBN 3-8053-2871-0.

Rezensent:

Gury Schneider-Ludorff

Die Forschungen zur Reformationsgeschichte haben in den vergangenen Jahren die zentrale Rolle sozialer und politischer Gruppen erhellt und den Beitrag der Städte und Gemeinden im Rahmen der Reformation aufgezeigt. Die Rolle der Fürsten fand hingegen in den Untersuchungen seit dem Zweiten Weltkrieg wenig Beachtung. Aber: "Ohne die Fürsten hätte es keine Reformation gegeben" (1). So jedenfalls lautet die These der am History Department of the University of California, Santa Barbara, vorgelegten Dissertation, in der Richard Andrew Cahill diese Perspektive nun erneut in die Debatte um die angemessene Deutung der Reformation und die sie vorantreibenden Kräfte einbringt.

"What made the reformation the Reformation? Princes!" (5), und damit ist Cahills Forschungsanliegen in aller Kürze beschrieben. Fürstenreformation - so definiert er - handelt von Fürsten, die die Reformation einführen; und Reformation bedeutet im Wesentlichen die Einführung der Messe in deutscher Sprache, das Abendmahl in beiderlei Gestalt, Priesterehe und die Umwandlung der kirchlichen Jurisdiktion (5). Damit vertritt C. freilich ein eng gefasstes Verständnis von Reformation, das den kultur- und das Soziale prägenden Impulsen wenig Beachtung schenkt. Dennoch gelingt es ihm, durch die Eingrenzung des Begriffs, seine These exemplarisch anhand einer Studie zu Landgraf Philipp von Hessen zu untermauern; und dies ist in der Tat ein anspruchsvolles Unternehmen. Denn die Forschungsliteratur zu Philipp von Hessen hat seit dem 19. Jh. nicht nur eine große Zahl von Quellen-Editionen und Detailuntersuchungen hervorgebracht, sondern auch die Person des hessischen Landgrafen höchst widersprüchlich charakterisiert: Entweder wurde das beispielhafte religiöse Selbstverständnis betont, oder es wurde sein rein säkulares Machtstreben hervorgehoben. C. geht es darum, diese Dichotomie aufzulösen. Zu diesem Zweck hat er einen Forschungsansatz gewählt, der anhand der Verschränkung von Biographie und politischen Ereignissen die Rolle seiner Hauptperson in der Reaktion auf die historischen Ereignisse darstellt und die politischen Entscheidungen im Rahmen der religiösen Entwicklungen des Landgrafen zu erhellen vermag.

Das erste Kapitel (13-31) beschreibt die Kindheit, die nach dem Tode des Vaters durch politische Turbulenzen und den Kampf um die Vormundschaft des Minderjährigen gekennzeichnet ist, bis Philipp 1518 dreizehnjährig von Kaiser Maximilian mündig erklärt wird. Kapitel 2 (33-46) und 3 (47-62) gehen dann der Konsolidierung der Macht des jungen Landgrafen nach. Dabei wird deutlich, dass dieser trotz seiner Jugend über ein ausgeprägtes machtpolitisches Gespür verfügte und sich nicht zum Spielball seiner Berater degradieren ließ (44). Den Nachweis zu erbringen, wann Philipp von Hessen sich der Reformation anschloss und zum "evangelischen" Landesfürsten wurde, ist - wie auch bei anderen Gestalten der Reformationsgeschichte - ein mühsames Unterfangen. Mit der neueren Forschung konstatiert C. daher im mit "Philipp's Conversion" überschriebenen Kapitel (63-88), dass dieser im Sommer 1524 bereits überzeugter Unterstützer der neuen Lehre gewesen sei. Als ein wesentliches Grunddatum für die "Conversion" verweist C. auf das bislang in der Forschung wenig beachtete "Heidelberger Fürstenschießen" im Mai 1524, bei dem der Landgraf kurz vor Erlass der hessischen Polizey-Ordnung mit Fürsten zusammengetroffen ist, die sich in der Folgezeit der Reformation anschlossen und schließlich seine Aktionen auf dem zweiten Speyrer Reichstag maßgeblich unterstützten. C. ist überzeugt, dass der Anschluss an die Reformation Philipps religiösen Überzeugungen und nicht politischen Machtbestrebungen geschuldet war, da es ihn politisch in Schwierigkeiten brachte. Dennoch muss C. zugestehen - das zeigt Kapitel 5 (89-118), in dem die Rolle des Landgrafen im Bauernkrieg untersucht wird-, dass dieses Ereignis dem Landesherrn politisch einen wesentlichen Machtzuwachs und der landgräflichen Schatulle einen nicht unbescheidenen Ertrag bescherte (117).

Im Bezug auf die Etablierung der Reformation auf Reichsebene ist die führende Rolle Philipps auf dem zweiten Speyrer Reichstag, bei der Gründung des Schmalkaldischen Bundes und der Einberufung des Marburger Religionsgesprächs bekannt. C. kann jedoch in Kapitel 6 (119-150) am Beispiel der Beziehungen zu Trier, der Pfalz und Sachsen sowie dem Ereignis des "Heidelberger Fürstenschießen" zeigen, dass der hessische Landgraf bereits früher als bislang angenommen die strategische Zusammenarbeit protestantisch interessierter Fürsten vorangetrieben hatte.

Auch bei der Einführung der Reformation in Hessen (115- 180) vermag C. Philipp als einen politisch klugen, militärisch ambitionierten und ernsthaft religiösen jungen Landesfürsten darzustellen, der über eine hervorragende Kenntnis der biblischen und zeitgenössischen theologischen Schriften verfügte und zum entschiedenen Vertreter der neuen Lehre avancierte. Wurde in der Forschung das Machtstreben und die Finanzierung der Kriege z. B. durch die Aufhebung der hessischen Klöster hervorgehoben, weist C. nach, dass der Anschluss Philipps an den neuen Glauben eine politische Selbstverpflichtung mit sich brachte.

Auch macht die Studie C.s deutlich, dass der Landgraf bei der Einführung der Reformation eigenständiger war, als bislang angenommen, da er zwar Luther und Melanchthon um Rat bat, zugleich aber auch von deren Vorschlägen abwich, wie das Beispiel der Berufung Franz Lambert von Avignons zum Professor der Theologie an der neu gegründeten Marburger Universität 1527 zeigt.

In der Untersuchung C.s wird die enge Verknüpfung von religiösen Überzeugungen und politischem Handeln Philipps von Hessen in den Jahren 1524 bis 1527 vor Augen geführt. Sie zeigt zudem, dass Landesfürsten den Kurs der Reformation nachhaltig bestimmten. Eine endgültige Analyse der Fürstenreformation steht jedoch noch aus. C. bietet einen Ansatz, der für weitere Studien fruchtbar gemacht werden kann.