Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/1998

Spalte:

964–866

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Nolte, Cordula

Titel/Untertitel:

Conversio und Christianitas. Frauen in der Christianisierung vom 5. bis 8. Jahrhundert.

Verlag:

Stuttgart: Hiersemann 1995. 370 S. gr.8 = Monographien zur Geschichte des Mittelalters, 41. Geb. DM 288,-. ISBN 3-7772-9511-6.

Rezensent:

Michaela Zelzer

Die vorliegende Studie, eine unter Prof. W. Affeldt entstandene und im Mai 1993 vom Fachbereich Geschichtswissenschaften der Freien Universität Berlin angenommene Dissertation, widmet sich der Frage nach der Beteiligung von Frauen an der ersten Phase der frühmittelalterlichen Christianisierung, genau genommen von Frauen weltlichen Standes, und will damit einen "bislang vergleichsweise wenig berücksichtigten Aspekt des Christianisierungsgeschehens in den Mittelpunkt" stellen mit dem Ziel, "zur Erhellung des historisch so erfolgreichen Missions- und Christianisierungsprozesses beizutragen, dessen Verlauf aufgrund nur spärlicher Quellenüberlieferung weitgehend im Dunkeln liegt" (2).

Im wesentlichen sind es, wird angegeben (2), zwei Fragestellungen aus dem großen Feld ,Missionsgeschichte/Frömmigkeitsgeschichte’, die den Ausgangspunkt der Untersuchung bildeten: "1. Auf welche Weise förderten ,in der Welt’ lebende Frauen neben den sozusagen ,berufsmäßigen’ Trägern der Mission die Annahme und die Aufnahme des Christentums?" und "2. Was läßt sich über die von weiblichen Laien zu dieser Zeit repräsentierte Christlichkeit aussagen?". Dementsprechend zerfällt die Arbeit in zwei große Teile: "Ehe und conversio" - conversio in der Bedeutung von Religions- und Bekenntniswechsel- (21-134) und "Fides matrum", worin die Präsenz von Frauen in den verschiedenen Bereichen des religiös-sozialen Lebens untersucht wird (135-289). Im Zentrum steht das merowingische Frankenreich, berücksichtigt ist vor allem das 6. und 7. Jh.; durch zahlreiche politische bedingte Hochzeiten merowingisch-fränkischer Frauen und Männer mit Angehörigen anderer gentes mußten zwangsläufig die westgotischen, langobardischen und angelsächsischen Gebiete in die Betrachtung mit einbezogen werden: vom damals westeuropäischen Kulturbereich ist nur der irische nicht berücksichtigt. Für die Untersuchung mußte ein umfangreiches Quellenmaterial verarbeitet werden (die Verfasser erzählender Quellen waren bekanntlich nur an auffälligen und ungewöhnlichen Dingen, nicht aber an denen des täglichen Lebens interessiert): neben den bekannten historiographischen Werken (Gregor von Tours, Fredegar, Beda, Paulus Diaconus) wurden systematisch an die 130 Lebensbeschreibungen ausgewertet (zum großen Teil ediert in den MGH), weiter Briefe, Texte des weltlichen und kirchlichen Rechts und zahlreiche theologische Gebrauchstexte. Nur vereinzelt wurden dagegen Ergebnisse der archäologischen Forschung berücksichtigt.

Der erste Teil der Untersuchung zerfällt in zwei Abschnitte. Im ersten Abschnitt, "Eheverbindungen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Religionen und Bekenntnisse", sind nach einer kurzen Charakterisierung der Haltung der katholischen Kirche gegenüber religiös gemischten Ehen die in den Quellen gefundenen Aussagen zu den Themen "Heiratspolitik, Bekenntniswechsel, Taufen und Mischehen" und "Das Leben mit dem Religions- oder Bekenntnisunterschied" zusammengestellt; im zweiten Abschnitt sind zu der Fragestellung "Königliche Frauen als Bekehrerinnen ihrer Männer?" sorgfältig die historiographischen Quellen und Briefe ausgewertet, jeweils von Fall zu Fall angefangen von Chrodechilde und Clodosinde über Ingunde, Bertha und Aethelburh bis zu Theodelinde.

In dem zweiten "Fides matrum" betitelten Teil werden die "Maßnahmen zur Heilssicherung" (Teilnahme oder Initiative von Frauen bei Taufe, Patenschaft, Segenspendung und Appell an die virtus der Heiligen) und der Frauenanteil an der religiösen Erziehung und Unterweisung herausgearbeitet und zuletzt unter dem Titel "Heilige und ihre Mütter" der Beitrag der Mütter für die Entfaltung der Heiligkeit und für einen heiligmäßigen Lebenswandel zusammengestellt, gegliedert in die Abschnitte: "Die vorgeburtliche electio des Heiligen: die Mutter als Empfängerin der Erwählungsbotschaft", "Asketische conversio und Trennung von der Mutter", "Mütter und Töchter: gemeinsam ins monastische Leben" und "Mütter und Söhne: (Lebens)Gemeinschaften und bleibende Verbindungen nach dem Eintritt in den geistlichen Stand".

In Anbetracht der begrenzten Aussagekraft vieler Stellen werden reichlich Originaltexte (ohne Übersetzung) zitiert, womit sich diese Untersuchung wohltuend von vielen anderen unterscheidet, in denen nur mit Übersetzungen gearbeitet wird und der Originalwortlaut, wenn überhaupt, nur in der Fußnote angegeben ist. Die zitierte Stelle wird immer sorgfältig aus dem Zusammenhang, in dem sie steht, interpretiert und es wird immer vor allzu weit reichenden Schlüssen gewarnt. Zitiert werden die Textstellen genau nach der verwendeten Edition, wobei es allerdings etwas übertrieben erscheint, daß zu jedem Zitat in der Fußnote neben der Angabe des Kapitels Editor(en), Reihe und Seite zugefügt sind (so findet sich auf 55 fünfmal "ed. Colgrave/Mynors" oder auf 99 dreimal hinter einander, "Hist.II.2, MGH SS rer.Mer. 1,1" - ein allgemeiner Hinweis auf die benützten Editionen hätte in den meisten Fällen genügt). Bei den vielen aus Gregor von Tours zitierten Stellen hätte der große orthographische Unterschied nicht nur zwischen der Historia Francorum und den übrigen Werken Gregors, sondern auch zwischen einzelnen Kapiteln der Frankengeschichte auffallen müssen; Schreibweisen wie victuriam meruit obtenire (zitiert 80) oder ad hac quaestionem (zitiert 99) sind jedoch nicht dem Turoner Bischof zuzuschreiben, sondern dem merowingischen Exzerptor (oder Abschreiber) der Historia Francorum (vgl. dazu K. Zelzer, Zur Sprache der Historia Francorum des Gregor von Tours, in: Studia Patristica 18,1 [1990], 207-211). Gregor hatte eine wesentlich größere Bildung als man aus seiner angeblichen Sprachform schließen würde; daher wird er sicher manche Werke des Augustinus und speziell die weit verbreiteten Confessiones gekannt haben (zu 217 f.).

Zur Interpretation der herangezogenen Stellen ist viel an moderner Literatur zusammengetragen; etwa zu einem Ambrosiusbrief ein 1990 im ,Journal of Roman Studies’ erschienener Artikel (25, Anm. 17) - entgangen ist der Autorin allerdings, daß im CSEL eine moderne Edition dieser Briefe vorliegt, in der wegen des Zurückgehens auf die ursprüngliche Anordnung eine neue Zählung der Briefe eingeführt werden mußte (CSEL 82/1-3, erschienen zwischen 1968 und 1990; der zitierte Brief trägt jetzt die Nummer 62).

Der Autorin gelang es, viele interessante Detailbeobachtungen zusammenzutragen, die zwar - bedingt durch die Kargheit der Quellen - nur unregelmäßig gestreute Mosaiksteine darstellen; sie reichen jedoch aus, um die Aktivitäten von Frauen weltlichen Standes in der frühmittelalterlichen Christianisierung wesentlich höher als bisher anzusetzen. Damit stellt die Arbeit eine wertvolle Ergänzung dar zu der vergleichsweise bereits gut untersuchten ,christianitas’ gottgeweihter Frauen sowohl innerhalb wie außerhalb von klösterlichen Gemeinschaften - darüber weiß man deswegen viel mehr, weil ihr Leben vielfach in hagiographischen Texten als exemplarisch herausgestellt ist. Unbedingt nötig wäre jedoch auch eine Untersuchung der irischen historiographischen und hagiographischen Texte (das Motiv der vorgeburtlichen electio findet sich etwa auch in Adomnans Vita Columbae); mit der Auswertung der in den MGH edierten Texte (und Bedas Kirchengeschichte) ist das im Buchtitel angegebene Thema nicht voll ausgeschöpft.