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Ausgabe:

Mai/2003

Spalte:

517–520

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Deutschmann, Anton

Titel/Untertitel:

Synagoge und Gemeindebildung. Christliche Gemeinde und Israel am Beispiel von Apg 13, 42-52.

Verlag:

Regensburg: Pustet 2001. 279 S. 8 = Biblische Untersuchungen, 30. Kart. ¬ 39,90. ISBN 3-7917-1765-0.

Rezensent:

Reinhard von Bendemann

Es handelt sich bei der Arbeit um eine Dissertation an der katholisch-theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. Von D. untersuchter Primärtext ist Apg 13,42-52 im Anschluss an die Antrittsrede des lukanischen Paulus in Antiochia in Pisidien. Das umfassendere Thema der Arbeit ist die Israelproblematik im lukanischen Doppelwerk (vgl. 85). An diesem Thema ist auch der knappe Forschungsbericht in Teil 1 ("Einleitung", 13-33) orientiert. Gegen die hier skizzierte ältere Sichtweise, nach der in der Apg sukzessive aus "Israel" die Größe "der Juden" wird, die schließlich aus dem Radius des Heils extrapoliert, an deren Stelle dagegen die universale Kirche aus Juden und Heiden gesetzt wird, wendet sich D. kritisch (vgl. auch Teil 6: "Ertrag", 253-260). So begründet sich auch die Wahl des untersuchten Textes, der forschungsgeschichtlich als "Wasserscheide" in der Behandlung der Juden in der Apg gelten kann (29, im Anschluss an F. Mußner).

Teil 2 setzt mit einer "Untersuchung der Gruppenbezeichnungen in Apg 13,14-51" ein (35-84). Vorausgesetzt wird, was die Arbeit an späterer Stelle begründet: Der Passus verdankt sich wie die einschlägigen weiteren Erzählabschnitte der Apg, in denen die Zeugen zunächst in der Synagoge ansetzen, sich der Streit aber an der Frage der Universalisierung des Heils entzündet (137-152), weitgehend lukanischer Erzählgestaltung (89 f.). D. fasst die Bedeutungsspektren der Begriffe Volk, Israel und weiterer Termini für Öffentlichkeiten bei Lukas zusammen. Es bestätigen sich am Teiltext die für Lukas kennzeichnende erzählerische Differenzierung des jüdischen Volkes von seinen leitenden Repräsentanten, die Unterschiede einer Innen- und Außenperspektive auf jüdische Vertreter (zum Problem der frommen Proselyten: 60-64) sowie das Changieren der Terminologie zwischen Erzählerrede und erzählter Rede (60). Gewicht tragen die semantischen Brechungen, die D. in der herkömmlich als stereotyp eingeschätzten Rede von "den Juden" vom jeweiligen Erzählkontext her gewinnt (38 f.71-78). In Apg 13 sei zwischen der Verwendung in den Versen 43, 45 und 50 sorgsam zu differenzieren. Erst von Apg 21 an biete die Erzählung "der Juden" faktisch einen Anhalt für ihre ältere kollektiv-negative Interpretation.

Nicht nur Teile der jeweiligen jüdischen Bevölkerung verhalten sich aber kritisch gegenüber den Zeugen, vielmehr ist nach D. der immer wieder berichtete heidnische Widerstand für die lukanische Erzählung ebenso ausschlaggebend. In Einklang mit der Beobachtung, dass mit Ausnahme von Apg 14 und 17 eine Umsetzung des Vollzugs der Heidenmission in Erzählung in der Apg kaum zu verzeichnen ist (146-148), erkennt D. auch bei den erzählten heidnischen Auditorien eine weit reichende (Ausnahme in Apg 13,50: Die Ersten der Stadt) Affinität zur Synagoge (55.66.70.82-84.126.200.212.254 f. u. a. m.). D. zieht zwar mit den einschlägigen Beiträgen der Forschung die Basis für eine feste soziohistorische Größe der so genannten Gottesfürchtigen in Frage (48-56). Zugleich aber rechnet die Arbeit beständig mit Heiden, die sich in der Nähe der Synagoge verorten (und die D. auch weiterhin Gottesfürchtige nennt; vgl. zum möglichen Ort der impliziten Leser im Anschluss an J. B. Tyson: 163 f.).

Teil 3 unterfüttert die Ergebnisse mit einer Textanalyse von Apg 13,42-51 (85-168). Ein eigener Passus behandelt die abschließende Erzähleraussage über die Jünger in Apg 13,52 (Teil 5: "Die Gemeindebildung im pisidischen Antiochien", 219-251). Mit J. Jervell betont D. den Missionserfolg unter jüdischen Auditorien (vgl. Apg 13,43 - nach D. die Mehrheit der Synagogenversammlung; vgl. 195 f. zu Apg 28). Darum darf die lukanische Erzählung nicht in der Weise schematisiert werden, dass die Wendung zu den Heiden eins zu eins am Scheitern unter den Juden hängt. Weder in Apg 13 noch auch in dem in Teil 4 knapp beleuchteten Schlussabschnitt der Apg (188-213), der wie die weiteren narrativ auf Apg 13 aufbauenden Texte einem zweiphasigen Erzählschema folgt (vgl. 137- 152.227-233: zu Apg 14,1-6.8-20a; 17,1-14; 18,4-18.19- 21; 19,8 f.), hat die Hinwendung zu den Heiden die kollektive "Verwerfung" Israels zur Kehrseite. In Einklang mit einschlägigen jüngeren Untersuchungen zum Thema differenziert D. mit guten Gründen "Verstockung" und "Verwerfung" (die Auflistung so genannter "Verwerfungssprüche" bei Lukas [201-204 mit Anm. 81] fällt allerdings formgeschichtlich wie inhaltlich zu undifferenziert aus) und markiert die lukanische Zurückhaltung in der Anwendung der qualifizierten Volk- und Israel-Terminologie auf die christliche Gemeinde. Was Lukas erzählt, ist im Rekurs auf die Schrift (Hab 1,5; Jes 49,6) eine "innerjüdische[] Auseinandersetzung" (106.116 ff. zum Licht der Völker, 166.217). Umgekehrt sei die Terminologie für die neu entstehenden christlichen Gruppen und ihre Systematik noch recht offen und flexibel (221 ff.). In historischer Hinsicht bildet sich nach D. in diesen Befunden ab, "dass die lukanische Gemeinde noch im Dialog mit der Synagoge" stehe und "dass Lukas hier um Akzeptanz ..." werbe (168, vgl. 152-164).

Die exegetische Arbeit am Text ist zumeist griffig, der guten Lesbarkeit dienen zuverlässig zusammenfassende Passagen (die zwölf Fehler in der Wiedergabe der elf Verse griechischen Textes auf S. 86 f. [Akzente und Spiritus; auch 100] sind ein Lapsus). Aus der Einzelexegese können hier nur wenige Beobachtungen herausgehoben werden.

Der "Eifer", der angesichts der These der Universalisierung des für Israel bestimmten Heils auf jüdischer Seite erwächst (Apg 13,45), meint nicht den Neid auf den Missionserfolg (96 f.), sondern ist in das Traditionsfeld des Eifers für die Tora einzuordnen (vgl. Gal 1,14; Phil 3,5 f.; Apg 22,3; vgl. Num 25,11; 1Kön 19,10.14; 1Makk 2,54.58).

Wichtig sind die Differenzen, die D. für die Antrittsrede des lk Jesus in Lk 4,16-30 gegenüber dem in der Apg leitenden Erzählschema herausarbeitet (170-188). Lk 4 ist damit nicht als "Minuszeichen" vor der lk Gesamterzählung hochzurechnen (172).

Was die Behandlung der Israelproblematik angeht, so bietet die Arbeit gute Beobachtungen und bedenkenswerte Erwägungen. Sie gibt freilich auch zu Fragen Anlass. Bei der Verwendung von Begriffen wie Israel oder der Synagoge meldet sich bisweilen die Gefahr von Äquivokationen ("Synagoge" [Apg 13,43; vgl. den Titel der Arbeit] bezeichnet nach D. ansonsten im NT stets den Versammlungsort [64]; vgl. aber Jak 2,2; und anders Hebr 10,25; IgnPol 4,2; Herm Mand XI 9.13 f.). Methodisch fragt sich, ob die Analyse immer ausreichend zwischen den jüdischen Gruppenbezeichnungen als einer literarischen Größe auf der einen Seite und der soziohistorischen Rückfrage nach der Vielfältigkeit ethnischer und religiöser Gruppen wie auch nach der lukanischen Erzählgegenwart auf der anderen Seite unterscheidet (vgl. 225).

Dass mit dem Begriff der Juden noch in der zweiten Hälfte der Apg "äußerst unterschiedliche spezielle Kreise" abgedeckt seien (so 83; vgl. 84.255: "höchst differenziertes Bild"), scheint bei aller Zustimmung zu der Aussage, dass die "Hörer der Verkündigung ... bei Lukas keine gesichtslose Masse" sind (84), und trotz des berechtigten und wichtigen Bemühens der Differenzierung ein zu weit reichendes Postulat (Apg 13,43 ist undeterminiert und damit nicht gegen die determinierten Belege auszuspielen [254]). Dass Lukas hier summiert und schematisiert, zeigt D.s eigene Untersuchung zum Missionsschema besonders, wo in der Erzählung erst jüdische Gruppen die heidnischen Autoritäten gegen die christlichen Zeugen mobilisieren (128 ff.).

Insgesamt hat die Konzentration auf das in jüngster Zeit kontroverse Thema zur Folge, dass die lukanische Erzählung in einem recht monochromen Licht zu stehen kommt. So ist die Aussage der Universalisierung des Heils - so sicher sie im Gegenüber zu jüdischen Auditorien mit Regelmäßigkeit den konfliktstiftenden Punkt darstellt - lukanisch nicht vom qualifizierten Inhalt der Christusbotschaft zu lösen (missverständlich: 144; vgl. dagegen Apg 13,26 ff.). Der enge Konnex der lukanischen Rede von der "Rettung" mit Israel als diachroner Größe (121; vgl. Lk 2,32) ist als Aussage nicht einfach aus dem Gefälle der Gesamterzählung herauszupräparieren in dem Sinn, dass "die Zugehörigkeit zu Israel" lukanisch per se "Rettung vermitteln" könnte (123; 260: "die sich bildende Gemeinschaft ... in Israel"). D. selbst sieht an anderer Stelle, dass die lukanische Erzählstrategie, dort wo sie solchen engen Konnex vollzieht, implizit dem Vorwurf entgegenläuft, die zur Erzählgegenwart hin angebahnte konfliktträchtige Trennung sei von der christlichen Seite her begründet (168: zu Paulus). Lukanisch ist zwar mit den christlichen Jüngergemeinden (13,52) kein "tertium genus" (32, vgl. 224 f.232.254), aber "aus Israels Mitte" (vgl. die Arbeit von G. Wasserberg) und in seiner Geschichte dezidiert rückverankert etwas qualitativ Neues entstanden. Dass Lukas hier in seinen Gruppenbezeichnungen nicht deutlicher wird, dürfte eben mit seinem Erzählziel zusammenhängen bzw. mit der sein Werk veranlassenden Unsicherheit in der Bestimmung des eigenen Standortes (vgl. Lk 1,1-4). Es bleibt darüber hinaus die hermeneutische Frage, ob sich das Problem eines möglichen Antijudaismus frühchristlicher Texte schon dadurch entschärfen lässt, dass man es in eine innerjüdische Kontroverse transformiert.

Können die Resultate der exegetischen Miniatur sowohl was die alttestamentlich-jüdischen Profilanteile der lukanischen Erzählung als auch was die historische Rückfrage angeht (vgl. 152- 165) nur sehr begrenzt ausfallen, so ist D.s Kritik der älteren Deutung der Sicht Israels in der Apg ernst zu nehmen, und seine Beobachtungen am konkreten Text werden für den Fortgang der Diskussion von Nutzen sein.