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Ausgabe:

Mai/2003

Spalte:

513–515

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Steudel, Annette [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Texte aus Qumran. Bd. II. Hebräisch/Aramäisch und Deutsch. Mit masoretischer Punktation. Übersetzung, Einführung und Anmerkungen. Hrsg. unter Mitarbeit v. H.-U. Boesche, B. Bredereke, Ch. A. Gasser u. R. Vielhauer.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2001. XX, 277 S. 8. Geb. ¬ 49,90. ISBN 3-534-11613-5.

Rezensent:

Markus Müller

An Textausgaben der wichtigsten bei Khirbet Qumran gefundenen Textrollen(fragmente) mangelt es nach dem Wirbel um die Anfang der 90er Jahre des letzten Jh.s als Skandalgeschichte journalistisch-medial vermarktete Editionsproblematik und -geschichte nicht mehr. Die editio princeps, die Discoveries in the Judaean Desert, ist (beinahe) vollständig erschienen, eine weitere zweisprachige wissenschaftliche Editionsreihe (The Dead Sea Scrolls: Hebrew, Aramaic, and Greek Texts with English Translations, ed. J. H. Charlesworth u. a., Tübingen/Louisville 1994ff.) im Gange, und zu der von F. García Martínez verantworteten, ursprünglich spanischen, dann englischsprachigen Ausgabe der Dead Sea Scrolls Translated (Leiden u. a. 1994) gesellt sich inzwischen eine zweisprachige und zweibändige Study Edition der Dead Sea Scrolls (ed. F. García Martínez/E. J. C. Tigchelaar, Leiden u. a. 1997/98). Auch die Bibelmanuskripte, d. h. die Manuskripte der in Qumran in Gebrauch stehenden alttestamentlichen Texte, sind inzwischen als Dead Sea Scrolls Bible (übers. und kommentiert von M. Abegg, P. Flint und E. Ulrich, San Francisco 1999) in einer englischsprachigen Ausgabe erschienen. Auf dem deutschsprachigen Gebiet verdient die Übersetzung der zum Publikatonszeitpunkt fast vollständig vorliegenden Texte von Qumran (3 Bde. München 1994-96) und der Tempelrolle (München 31997) von J. Maier in diesem Zusammenhang Erwähnung, welcher sich in Pionierarbeit der Mühe unterzogen hat, einen Text editionstechnisch so zu gestalten, dass die Rekonstruktionsarbeit auch in der deutschen Übersetzung erkennbar wird.

Der von Annette Steudel unter Mitarbeit von Hans-Ulrich Boesche, Birgit Bredereke, Christoph A. Gasser und Roman Vielhauer herausgegebene zweite Band der Texte aus Qumran, ordnet sich in diese Editionsgeschichte ein und knüpft dabei bewusst an den von E. Lohse vor beinahe vierzig Jahren herausgegebenen ersten Band (Darmstadt 11964; 41986, vgl. ThLZ 95 [1970], 1-20) an. War es das damalige Ziel, wichtige Qumran-Texte als praktische Studienausgabe für Lehrende und Studierende zur Verfügung zu stellen, so ist dieses Konzept in der vorliegenden Fortführung grundsätzlich beibehalten worden.

Das heißt dreierlei: 1. Der Band bietet ursprachlich (hebräisch bzw. aramäisch) und deutsch nun auch solche Texte, die deutschsprachigen Leserinnen und Lesern, die nicht zu den Experten zählen, bislang unzugänglich gewesen sind. 2. Trotz aller damit verbundenen Problematik, derer sich die Bearbeiter bewusst sind (vgl. VII), erfolgt die Wiedergabe des hebräisch- bzw. aramäischsprachigen Textes vokalisiert. 3. Vollständigkeit tritt hinter dem Anspruch der Exemplarität zurück. So ergibt sich die gebotene Textauswahl aus den wichtigsten bisher publizierten nichtbiblischen Texten aus Qumran: die Tempelrolle, das Gebet des Nabonid, ein Gottessohn-Text (beide Texte aus der Höhle 4), der Melchisedek-Midrasch (aus Höhle 11), ein so genannter "Midrasch zur Eschatologie" (Höhle 4), ein Kommentar zu Micha (Höhle 1), zwei Fragmente zweier Jesaja-Pescher (4QpJesb u. 4QpJesd zu Jes 54,11 f.) und Fragmente zweier Kommentare zu Hosea (4Q166 und 4Q167) in einer Neubearbeitung von R. Vielhauer.

Die Auswahl repräsentiert typische Gattungen bzw. Textsorten. Zugleich führt die Anthologie an zwei wesentliche Themen heran, die den Qumrantexten eigen sind und deren zentrale Bedeutung sich im Verlauf der Qumranforschung gegenüber den Anfängen durch eben jene Texte erst erschlossen hat: Die Rolle des "Gesetzes" und die Bedeutung der Eschatologie für die Verfasser dieser Schriften. Dem Textteil der Studienausgabe insgesamt gehen sowohl ein Abkürzungsverzeichnis und eine Zeichenerklärung voraus als auch vier Seiten kurz kommentierter Literaturhinweise, die es dem Laien ermöglichen, anhand von Einführungen, Lexika, Hilfsmitteln und eines Überblicks über die wichtigsten Editionen und Publikationsorgane einen transparenten Einblick in die Qumran-Forschung zu gewinnen. Wer immer noch an der Redlichkeit der Qumranforscherinnen und -forscher zweifelt oder sie dem Verdacht der Unredlichkeit aussetzt - was zu deren Diskreditierung schon genügt -, dürfte allein schon dadurch eines Besseren belehrt werden. Das ist wichtig, weil diese Studienausgabe mit einer gewissen Verbreitung über die Studien- bzw. Fachgrenzen hinaus rechnen kann und darf.

Den Texten sind drei Apparate beigegeben worden. Ein erster macht auf vorhandene Parallelhandschriften aufmerksam. Der zweite Apparat erklärt Schwierigkeiten der Textkonstitution und ein dritter, neu hinzugekommener Apparat führt, soweit möglich, die wahrscheinliche Lesart einer beschädigten Handschrift auf. Darüber hinaus sind dem deutschen Text wie schon in Bd. I erklärende Anmerkungen zu Editionsfragen, Interpretationsfragen, alternativen Lesarten, alttestamentlichen, neutestamentlichen und anderen Texten hinzugefügt. Den Texten selbst ist jeweils eine kurze Einführung über literatur- und religionsgeschichtliche Einordnungen sowie entsprechende Hinweise auf die Textausgaben und wichtige Sekundärliteratur vorangestellt. Was die gebotene Textauswahl angeht, so ist hier vor allem auf die so genannte Tempelrolle kurz einzugehen, weil die Bearbeiter/innen auf der Grundlage der Forschungen von J. Maier zu der äußerst komplexen Editionsproblematik der Tempelrolle eine Neubearbeitung darbieten, die sich durch eine erstmalige Zählung der tatsächlichen Kolumnen-Zeilen auszeichnet, die den Vorteil hat, einen besseren Überblick über den Umfang des im oberen Handschriftenbereich der Rolle verloren gegangenen Textes zu ermöglichen.

In die Studienausgabe ist auch der so genannte Midrasch zur Eschatologie (4QMidrEschat - 4Q174+4Q177) aufgenommen, dessen Textkonstitution auf der Arbeit der Hauptherausgeberin und der von ihr applizierten, so genannten "Stegemann-Methode" der materiellen Textrekonstruktion basiert (vgl. auch XIX f.). Inhaltlich geht es, wie St. zeigen konnte, um das Problem der so genannten Naherwartungsverzögerung auf Grund des von den Essenern berechneten Endes der "letzten Tage". Der Midrasch ist gerade dafür ein Beleg und eine Forderung, an der Naherwartung festzuhalten. Es bietet sich an, diesen Text zukünftig noch stärker in die Debatte um das Verständnis und die Ansätze frühjüdischer und frühchristlicher Eschatologie bzw. Apokalyptik einfließen zu lassen.

Dass die Textsammlung den gerade Anfang der 1990er Jahre umstrittenen so genannten Gottessohn-Text (4Q246) bietet (auch wenn dieser in messianischer Hinsicht dies nicht leistet, was auf ihn fälschlicherweise projiziert wurde), verdient zum Schluss ebenso Erwähnung wie die Aufnahme des Gebets des Nabonid (4Q242), das die Qumranforschung seit der Entdeckung in großem Maße fasziniert hat, und nach wie vor von Bedeutung für die Erforschung des Danielbuches (Dan 3,31- 4,34) ist. So aber kann abschließend formuliert der ausdrücklich als Gemeinschaftswerk - das wissenschaftspraktisch dadurch einen vorbildlichen Weg eingeschlagen hat - entstandene Band den Lesern empfohlen werden, in der Hoffnung, dass der angekündigte weitere Teilband bald folgen wird, in dem dann auch so spannende wie umstrittene Texte wie 4QMMT in ebenso zuverlässiger Weise im Studienformat geboten werden.