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Ausgabe:

Mai/2003

Spalte:

512 f

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Navè Levinson, Pnina

Titel/Untertitel:

Volk Israel - Eine Kulturgeschichte des Judentums. Hrsg. u. bearb. v. I. Zepf. M. e. Vorwort v. N. P. Levinson.

Verlag:

Hannover: Lutherisches Verlagshaus 2001. 340 S. m. 14 Abb. gr.8. Geb. ¬ 24,90. ISBN 3-7859-0838-5.

Rezensent:

Martin Stöhr

Aus dem Nachlass der gerade auch an Deutschlands Hochschulen, Akademien und Gemeinden häufig vorgetragen habenden und durch zahlreiche, mehrfach aufgelegte Publikationen (das vorliegende Buch nennt ihre wichtigsten Bücher) bekannt gewordenen Wissenschaftlerin ist eine interessante Arbeit anzuzeigen. Wie in ihren großen Arbeiten zur Frauengeschichte in der Bibel und im Judentun oder in ihrer "Einführung in die rabbinische Literatur" gelingt es der Vfn., ein höchst komplexes Themenfeld in klarer Gliederung und Darstellung, in begründeter Auswahl und Prioritätensetzung zu elementarisieren. Historische und systematische Beschreibungen wechseln sich ab.

Fünf Themenblöcke gliedern das Ganze. Am Anfang steht eine knappe Skizze, die in die Grundlinien der jüdischen Geschichte einführt. Dabei ist bemerkenswert, dass die jüdische Geschichte weder auf eine "Leidens- und Verfolgungsgeschichte" noch auf die Diaspora reduziert wird. Sehr früh schon lebt das jüdische Volk - wie eine Ellipse mit zwei Brennpunkten - im Lande Israel und in der Diaspora. Die Vfn. bringt anschauliche Beispiele gegenseitiger Bereicherung zwischen Juden und Christen und zwischen Juden und Muslimen. Die Geschichte der Diskriminierung und Verfolgung durch die jeweilige Mehrheitsgesellschaft und ihre Gewaltausübung wird nicht verschwiegen. Im Gegenteil: "Diese bedrückende geschichtliche Erfahrung hält auch heute noch viele religiöse Juden davon ab, sich an irgendeiner Form des Gesprächs mit Christen zu beteiligen".

Der zweite Abschnitt schildert die "Einrichtungen der Gemeinde", betont dabei vor allem ihre demokratische und antihierarchische Struktur sowie ihre praktische Orientierung. Der Glauben lebt in einem Ethos der Diesseitigkeit und der Hoffnung, ohne weltflüchtig zu werden. Das "Jahr der Juden" schildert im dritten Kapitel den Festkreis der Feiertage, ihre Entstehung, ihren Wandel, ihren Ablauf und ihre Inhalte. Hier wird die Lehre des Judentums deutlich, die am Unterschied zu den (allerdings nur katholisch verstandenen) Auffassungen vom Priestertum und vom Dogma herausgearbeitet wird. Wenn allzu oberflächlich zu hören ist, dass die Hebräische Bibel Juden und Christen verbindet, so führt der vierte Abschnitt in das "Meer des Talmud" ein, in die "Mündliche Offenbarung", die Leben und Lehre des vielgestaltigen Judentums auf unterschiedliche Weise bis in die Gegenwart prägen. Die gemeinsame Bibel wird auch verschieden gelesen und interpretiert.

Aus einer anderen Perspektive weist die Vfn. auf den kulturellen Reichtum des Judentums und seine Vermittlungsleistung im fünften Kapitel hin. Hier werden die jüdisch-griechischen, jüdisch-persischen, jüdisch-aramäischen, jüdisch-arabischen, jüdisch-italienischen, jüdisch-französischen, jüdisch-provenzalischen Kulturen und Sprachen und natürlich das Ladino, das Jiddische und das Hebräische in ihrer Reichhaltigkeit vorgestellt.

Die vorliegende Kulturgeschichte kann nicht enden, ohne auf die gescheiterte Judenemanzipation, die in der Schoa gipfelte, hinzuweisen. Antisemitische Klischees zerstörten die Koexistenz zwischen einer Minderheit und der sich normativ und machtvoll durchsetzenden Mehrheitsgesellschaft. Das Buch, dem man eine sorgfältigeres Lektorat gewünscht hätte, inspiriert, sich mit der pluralen Geschichte des jüdischen Volkes zu befassen, und liefert dazu eine Fülle von Informationen und Anregungen.