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Ausgabe:

September/1998

Spalte:

862–864

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Lewis, Bernard u. Friedrich Niewöhner [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religionsgespräche im Mittelalter.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz i. Komm. 1992. 388 S. gr. 8 = Wolfenbütteler Mittelalter-Studien, 4. Kart. DM 148,-. ISBN 3-447-03349-5.

Rezensent:

Adolf Martin Ritter

Bei dem hier anzuzeigenden Sammelband handelt es sich um die Veröffentlichung von Vorträgen, gehalten anläßlich des 25. Wolfenbütteler Symposiums vom 11.-15. Juni 1989 in der Herzog August Bibliothek, soweit diese zum Manuskript ausgearbeitet werden konnten. Das gilt, bedauerlicherweise, z. B. nicht vom Eröffnungsreferat von B. Blumenkranz (Paris) über "Christliche antijüdische Polemiken im Mittelalter", weil der - bestens bekannte und um die Erforschung der christlich-jüdischen Beziehungen in Antike und Mittelalter hochverdiente - Referent wenige Monate nach dem Symposium verstarb, ohne noch Hand an seine Aufzeichnungen legen zu können. Die Reihe der zum Druck vorliegenden Vorträge erfolgt in drei Gruppen, ohne daß deren Grenzen schärfer zu ziehen gewesen wären; sie sind infolgedessen auch nicht besonders kenntlich gemacht und seien erst recht in diesem Kurzbericht ignoriert zugunsten der schieren Auflistung der Einzelbeiträge in der Reihenfolge ihrer Publizierung:

Haggai Ben-Shammai, The Karaite Controversy: Scripture and Tradition in Early Karaism (11-26); Steven S. Schwarzschild, Proselytism and Ethnicism in R. Yehudah HaLevy (27-41); Marianne Awerbuch, Die Religionsgespräche in Salomo Ibn Vergas Schevet Jehuda (43-59); William Chester Jordan, Marian Devotion and the Talmud Trial of 1240 (61-76); Robert Chazan, The Barcelona Disputation of 1263: Goals, Tactics, and Achievements (77-91); Jeremy Cohen, Towards a Functional Classification of Jewish anti-Christian Polemic in the High Middle Ages (93-114); David Berger, Christians, Gentiles, and the Talmud: A Fourteenth-Century Jewish Response to the Attack on Rabbinic Judaism (115-130); Anna Sapir Abulafia, Christians disputing disbelief: St Anselm, Gilbert Crispin und Pseudo-Anselm (131-148); Arych Grabois, Le dialogue religieux au XIIe siècle. Pierre Abélard et Jehudah Halévi (149-167); Gedaliahu G. Stroumsa, Anti-Cathar Polemics and the Liber De Duobus Principiis (169-183); Daniel Sahas, The Arab character of the Christian disputation with the Islam. The case of John of Damascus (ca. 655-ca. 749 [185-205]); Emmanuel Sivan, Islam and the Crusades: Antagonism, Polemics, Dialogue (207-215), Eusebio Colomer, Raimund Lulls Stellung zu den Andersgläubigen: Zwischen Zwie- und Streitgespräch (217-236); Vicente Cantarino, Juan de Torquemada’s Crusade against Islam (237-250); Sidney H. Griffith, Disputes with Muslims in Syriac Christian Texts: from Patriarch John (d. 648) to Bar Hebraeus (d. 1286 [251-273]); Kristin Arat, Gregor von Tat’ew und seine Einstellung zum Islam (275-287); Elizabeth A. Zachariadou, Religious Dialogue between Byzantines and Turks during the Ottoman Expansion (289-304); Abdel-Magid Turki, Pour ou contre la légalité du séjour des musulmans en territoire reconquis par les chrétiens: Justification doctrinale et réalité historique (305-323); Etan Kohlberg, ’Ali B. Musa ibn Tawus and his Polemic against Sunnism (325-350); Moshe Perlmann, Samau’al al-Maghribi (XII century [351-356]); Friedrich Niewöhner, Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit. Ibn Kammuna’s historisch-kritischer Religionsvergleich aus dem Jahre 1280 (357-369); Bernard Lewis, The Other and the Enemy: Perceptions of Identity and Difference in Islam (371-382).

Dem Band ist wohl ein Register aller Eigennamen der Texte (in der Schreibweise der einzelnen Beiträge) beigegeben (383-388), nicht aber ein Sachregister und ein Verzeichnis der Referentinnen und Referenten (mit Kurzbiogrammen, womöglich). Auch hat man auf jegliche Dokumentation der Diskussion sowie auf eine Schlußzusammenfassung verzichtet. So blieb der Charakter einer - locker gefügten - "Bestandsaufnahme", ohne jeden "Vollständigkeitsanspruch" (9), erhalten, wie ihn die Leiter des Symposiums, die zugleich als Herausgeber des Vortragsbandes fungierten, einzig intendieren zu können glaubten. Gleichwohl sind die erzielten Ergebnisse, ist das tatsächlich Gebotene, wichtig genug, um von allen an der Geschichte des interreligiösen Dialogs, insbesondere an deren mittelalterlichem Kapitel, Interessierten zur Kenntnis genommen zu werden. Ich deute nur an:

a) Wenn das in diesem Band vermittelte Bild annähernd repräsentativ ist, dann hat es im Mittelalter zwischen Juden, Christen und Muslimen (sowie zwischen dissentierenden Gruppen innerhalb des Judentums und des Islam) kaum "Religionsgespräche" im eigentlichen Sinne gegeben. Man hat weit weniger mit- als übereinander gesprochen, hat auf dem Papier Argumente getauscht, wie es in der Realität zumeist verwehrt war (ganz analog der Situation der frühchristlichen Apologetik). Hauptfunktion dieser überwiegend apologetischen Literatur war es, die eigene Gruppe zu stärken, indem ihr Antworten auf die Polemik von außen zur Verfügung gestellt wurden.

b) Zur Überraschung sicherlich nicht weniger Leser hat es im jüdisch-christlichen Verhältnis im Laufe des Mittelalters, zumal des Hochmittelalters, bedeutende Verschiebungen und auch Erkenntniszuwächse gegeben. Die Argumente wurden z. T. philosophischer; die Kenntnis des Judentums seitens der Christen nahm zu und bezog (spätestens seit dem 13. Jh.) auch den Talmud ein; das Wiederaufleben des Städtewesens konnte sich zumindest positiv auswirken auf das Klima der Auseinandersetzungen (vgl. bes. 115 ff. 149 ff.) und hat es, in bestimmten Regionen, auch getan.

c) In die Augen springend sind beträchtliche Schieflagen und Asymmetrien, wie sie schon das Vorwort der Herausgeber benannt hat (8 f.; vgl. auch 375 ff.). Von Anfang an waren die Voraussetzungen für und das Interesse am Dialog zwischen Juden, Christen und Muslimen grundverschieden (und sind es im wesentlichen bis heute geblieben), wie auch die Gespräche zwischen dissentierenden Gruppen innerhalb der drei monotheistischen Religionen kaum miteinander verglichen werden können: zum einen wurden "von der Orthodoxie abweichende Minderheiten in christlichen Ländern ... als Ketzer verfolgt, während im Judentum und Islam im Mittelalter nur die Atheisten als Ketzer galten"; zum andern bestimmte das "Fehlen jeglicher das Judentum als ganzes bzw. den Islam als ganzen umgreifender hierarchischer Strukturen ... auch deren Umgang mit ihren Religionsparteien" (9).

Ich bemerke noch, daß das schön gedruckte und stabil broschierte Buch relativ viele Druckfehler enthält, bezweifle die Richtigkeit der Feststellung, daß es Christen (im Mittelalter) "nur in muslimischen Gebieten" gab, "und auch dort nur als Minderheiten" (7; das war noch annähernd zwei Jahrhunderte nach Eroberung des Mittelmeerraums von Kleinasien bis nach Spanien sicherlich anders) und wäre sehr pessimistisch, wenn man tatsächlich in der völligen Historisierung "die einzig mögliche Weise von Toleranz" zu sehen hätte (367).