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Ausgabe:

Mai/2003

Spalte:

499 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Frevel, Christian

Titel/Untertitel:

Mit Blick auf das Land die Schöpfung erinnern. Zum Ende der Priestergrundschrift.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien-Barcelona-Rom-New York: Herder 2000. XII, 422 S. gr.8 = Herders Biblische Studien, 23. Lw. ¬ 50,00. ISBN 3-451-27251-2.

Rezensent:

Thomas Pola

Die von F.-L. Hossfeld angeregte, 1998/99 in Bonn eingereichte katholisch-theologische Habilitationsschrift versucht, erneut den Umfang der mit Gen 1,1-2,4a einsetzenden Grundschrift der Priesterschrift (= Pg - im Unterschied zu den Zusätzen Ps) im Pentateuch literar- und kompositionskritisch zu bestimmen.1 Martin Noth hatte 1943 gegenüber der Hexateuchthese und unter Aufnahme von Positionen aus dem 19. Jh. das Ende von Pg in Dtn 34* gefunden. Damit etablierte sich ein Konsens, der erst durch die sog. Pentateuchkrise seit ca. 1970 in Frage gestellt wurde. Nun war zwar das Vorhandensein priesterschriftlicher Texte im Pentateuch im Zuge dieser Krise nicht bestritten worden, wie besonders die Arbeiten von R. Rendtorff, E. Blum und seitens israelischer Forscher zeigen. Jedoch waren mindestens zwei grundlegende Fragen wieder offen: Handelt es sich um eine Bearbeitungsschicht oder um eine Quelle? Wann ist Pg entstanden, bereits vorexilisch, im sechsten oder gar im fünften Jh.? Wer dabei Pg für eine Quellenschrift hielt, war genötigt, deren Umfang und damit deren Ende zu bestimmen. Da sich Pg in bemerkenswerter Weise durch Diktion und Formeln strukturiert zeigt, hat die Bestimmung des Endes weit reichende Konsequenzen für die Herausarbeitung der theologischen Aussage des Werks.

Der Vf. verfolgt daher nach einem Vorwort (XII) und einer Einleitung (1 ff.) den Weg der Forschung bis zu Lothar Perlitt (6ff.). Dieser Weg war im 20. Jh. durch eine fortschreitende Reduzierung des Pg zugewiesenen Bestands gekennzeichnet. Perlitt hatte schließlich im Supplement-Heft zur ZAW 100 (1988) und nachgedruckt in seinen Deuteronomium-Studien (FAT 8), 1994, die Annahme von Pg-Versen im Deuteronomium falsifiziert (wogegen besonders L. Schmidt [1993] Einspruch erhoben hat) und damit die neuere Diskussion um das Ende von Pg eröffnet. Das dritte Kapitel (52 ff.) setzt sich mit den Argumenten von Perlitt auseinander, das vierte (68 ff.) mit den divergierenden Vorschlägen für das Ende von Pg im Hexateuch "nach Perlitt", insbesondere mit Thomas Pola (1995; Ende von Pg mit Ex 40,16.17a.33b), Eckart Otto (1997 ff.; Ex 29,42-46) und Erich Zenger (1995 ff.; Lev 9,23-24).2 Das fünfte Kapitel "Relecture einer Todesanzeige. Eine erneute Beschäftigung mit Dtn 34" (211 ff.) und das sechste "Mit Blick auf das Land die Schöpfung erinnern: Land als Thema der Priestergrundschrift" (349 ff.) bilden exegetisch das Herzstück der Monographie. Sie wird abgeschlossen durch eine mit "Schlußlichter" überschriebene Synthese (372 ff.) und durch einen aus instruktiven Übersichten bestehenden Anhang (388 ff.) und Register (393 ff.).

Ergebnis: P ist eine Quellenschrift (375 f. u. ö.) und Pg endet "aus inhaltlichen und kompositionellen Gründen" (185) nicht innerhalb der Sinaiperikope, sondern (doch wieder) in Dt 34,8 als einem "offenen Schluß" (386). Auch Ex 16* gehört dem Vf. zufolge (wieder) zu Pg (115 ff.). Neu ist jedoch die literarkritische Bestimmung des Pg zuzuweisenden Bestandes zwischen Ex 19 und Dtn 34.

Es handelt sich laut S. 380 um: Ex 19,1.2a*; 24,15b-16.[17].18aa; 25,1.2aa.8 f.; 26,1-19*.30; 29,43.44a*.45 f.; 35,1; 39,32.43; 40,17. 33b.34 f.; Num 10,11a.12a*; 12,16; 13,1.2a.3aa.17a.21.25.26a.32; 14,1a.2.5-7.10.26-29aa.[31].35-38; 20,1a.2.3b*.4.6 f.8aa*b*b.10.11b. 22b.23a*.24aa.25-29; 21,4*.10 f.; 22,1; Dtn 1,3a; 32,48-50.52; 34,1*. 5*.[6].7a.8. Dabei weist der Vf. darauf hin, dass er für Ex 35-40 nur den Minimalbestand angibt, bei Num 13 f. "die Hauptlinie" (380 Anm. 9). - Unlesbare Stellenlisten dieser Art erhöhen nicht gerade die Attraktivität diachroner Arbeit. Deshalb erlaubt sich der Rezensent an dieser Stelle anzukündigen, dass er derzeit eine knapp kommentierte zweisprachige Textausgabe der Priesterschrift vorbereitet, aus der auch die als "klassisch" angesehenen Umfangsangaben von Pg ersichtlich sind.

In dieser Abgrenzung führt Pg keinen Nachfolger von Mose ein. Auch stirbt Mose nicht auf Grund einer konkreten Verfehlung, sondern der Protagonist der Volksgeschichte stirbt an der Schwelle zum Eintritt in das Land, weil er der Exodusgeneration zugehört (375; das gilt auch für Aaron). Pg endet mit der Notiz über das Ende der Trauerzeit: Durch "die Beendigung der kollektiven Trauer" wurde "eine erhebliche Dynamik auf das Land hin freigesetzt" (375). Das Land ist das zentrale Thema der Quellenschrift. Pg ist "ein unkultischer, unpriesterlicher, hoffnungsvoll utopischer Geschichtsentwurf mit demokratischen Elementen ohne staatliche, rechtliche oder kultische Verfassung" (Einbandtext) aus der Zeit zwischen 530 und 520, eher für die Diaspora bestimmt und zeigt besondere Nähe zu Deuterojesaja (382 f.). Das als Trost zu verstehende Motiv der Gottesnähe bzw. -gegenwart wird in Pg noch unkultisch gefasst. "Aaron ist der Anfang des Priestertums, zwar akzentuiert, aber nicht besonders priesterlich betont oder kultisch gewichtet" (381, vgl. 148 u. ö.).

Damit liegt der Vf. in der gegenwärtig zu beobachtenden Tendenz zur weitestmöglichen Ausklammerung des Kultischen. Wird er aber damit gerade der Priesterliteratur und den Berührungen mit der Ezechielschule gerecht (vgl. 381)? Impliziert die Annahme einer "demokratischen Verfassungswirklichkeit" (ebd.) nicht anachronistische Elemente? Die Logik traditionsgeschichtlicher Argumente scheint dem Vf. jedenfalls weitgehend verschlossen zu bleiben. So befremdet bei seinem wichtigsten Anliegen, der Bedeutung des Landes, angesichts der historisch und traditionsgeschichtlich vorauszusetzenden Kultzentralisation die vom Vf. betonte Trennung von Zion und "ganzem" Land (107 f.). Darüber hinaus bleibt bei ihm der Gebrauch des Perfekts in Bezug auf die Landgabe an Abraham bzw. auch Isaak in Gen 28,4 und 35,12 unberücksichtigt und damit die kompositorische und theologische Bedeutung des gerade beim Familiengrab auch religionsgeschichtlich deutlichen pars pro toto-Prinzips in Gen 23 (vgl. 363 f.).

Trotz der anregenden Beobachtungen in dieser Monographie, der in den gewählten Formulierungen mehr Sachlichkeit gut getan hätte, bleibt zu folgern: Das letzte Wort zum Umfang von Pg steht noch immer aus.

Fussnoten:

1) Der Vf. hat wichtige Ergebnisse seiner Arbeit bereits veröffentlicht in seinem Beitrag Kein Ende in Sicht? Zur Priestergrundschrift im Buch Levitikus: Levitikus als Buch. Ed. H.-J. Fabry u. H.-W. Jüngling (BBB 119), 1999, 85-123.

2) Die den Vorschlag von Pola modifizierenden Arbeiten von Michaela Bauks (1997 ff.; Ex 40,34b) hat der Vf. nicht mehr berücksichtigt.