Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2003

Spalte:

494–496

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Anderson, Gary A.

Titel/Untertitel:

The Genesis of Perfection. Adam and Eve in Jewish and Christian Imagination.

Verlag:

Lousville-London-Leiden: Westminster John Knox 2001. XX, 257 S. m. 21 Abb. gr.8. Geb. £ 20,00. ISBN 0-664-22403-2.

Rezensent:

Thomas Knittel

Unter dem etwas ungewöhnlichen Titel "The Genesis of Perfection" verfolgt der Vf. die Wirkungsgeschichte der biblischen Adam-und-Eva-Überlieferung im Judentum und im Christentum. Er bezieht dabei ganz verschiedene Gebiete in die Untersuchung ein: antike biblische Kommentare, apokryphe Nacherzählungen des biblischen Stoffes, ikonographische Zeugnisse und liturgische Überlieferungen. Entstanden ist dadurch trotz der exemplarischen Vorgehensweise des Vf.s eine beeindruckende Synthese der jüdisch-christlichen Adam-und-Eva-Rezeption, welche die Vitalität und Bedeutsamkeit des biblischen Stoffes anschaulich vor Augen zu führen vermag.

"Was Adam Jewish? Was Eve Mary?" Mit diesen beiden Fragen führt uns der Vf. in sein Thema ein (1-20). Er geht dabei von Michelangelos Darstellung der biblischen Sündenfallgeschichte in der Sixtinischen Kapelle aus, welche eine Beziehung zwischen Eva und Maria herstellt. Exemplarisch verdeutlicht der Vf. daran den Grundzug der jüdisch-christlichen Adam-und-Eva-Rezeption, nämlich die In-Beziehung-Setzung von Anfang, Mitte und Ende der Heilsgeschichte: "Genesis is not only about the origins of sin; it is also about the foundations of human perfection" (8). Im Judentum - so die meines Erachtens zutreffende These des Vf.s - werde daher die Paradieserzählung vom Sinaigeschehen her interpretiert, während das Christentum die Linie hin zur Inkarnation, Passion und Auferstehung Jesu Christi zog.

Damit ist gleichsam der rote Faden für die folgenden Kapitel vorgegeben, welche jeweils einzelne Motive und Probleme der Rezeptionsgeschichte von Gen 1-3 untersuchen. Im ersten Kapitel (21-41) untersucht der Vf. den Zusammenhang von Adams Erhöhung und Satans Fall. Die mit der Gottebenbildlichkeit bezeichnete Sonderstellung des Menschen ruft den Widerstand Satans hervor, der seine Rebellion freilich mit dem Sturz aus der himmlischen Welt bezahlen muss. Danach wendet sich der Vf. dem Problem der Sexualität im Paradies zu (43-62: "Where did Adam know Eve?"), bezüglich dessen es in der Rezeptionsgeschichte unterschiedliche Meinungen gab. Betrachteten die einen Eden gleichsam als einen heiligen Raum und verneinten daher sexuelle Kontakte im Paradies (Jubiläenbuch; Ephraem), so verstanden andere die Sexualität als einen Ausdruck eschatologischer Freude (z. B. b Ket 8a unter Rückgriff auf Jer 7,34), die auf Grund der Entsprechung von Urzeit und Endzeit bereits im Paradies vorhanden gewesen sei. Für Augustin stellte sich die Frage anders: "How did Adam know Eve?" (Kapitel 3: 63-73). Er unterschied die (potentielle) paradiesische Sexualität von deren durch die Sünde korrumpierter Form.

In Kapitel 4 (75-97) untersucht der Vf. die Rolle Marias als "second Eve". Sie wurde zum Gegenbild Evas, indem sie der sexuellen Empfängnis der Sünde durch Eva - so wird z. B. im Protoevangelium des Jakobus die Verführung Evas als sexuelle Verführung verstanden - die Empfängnis Christi (verstanden als conceptio per aurem) entgegensetzte. Damit sei auch neues Licht auf die Frage nach der Negativrolle Evas in 1Tim 2,14 f. geworfen, die der Vf. im nächsten Kapitel untersucht (99-116: "Is Eve the Problem?"). Er zeigt anhand der Auslegungen der Kirchenväter (Augustin, Origenes, Ephraem), dass diese Stelle nicht zwangsläufig als einseitige Schuldzuweisung an Eva verstanden werden muss. Vielmehr lasen die Väter als Vollhörer der Schrift, wie der Vf. betont, die Stelle im Zusammenhang mit Passagen wie Röm 5,12 ff., die ja gerade die Schuld Adams betonen. Dass die Aussagen über Eva in 1Tim 2 differenziert gesehen werden müssen, halte ich für richtig, ob sie freilich durch Röm 5,12 ff. und andere Stellen in ihrer frauenfeindlichen Tendenz so einfach abgeschwächt werden können, wie der Vf. meint (z. B. 116: "Adam's guilt is greater than Eve's"), ist fraglich.

Kapitel 6 (117-134) widmet sich der Auslegungsgeschichte von Gen 3,21. Lautete die Ankündigung Gottes in Gen 2,17, dass der Mensch sterben werde, sobald er vom verbotenen Baum gekostet hätte, so scheint dies in Gen 3 ja nicht in Erfüllung zu gehen. Vielmehr erhalten die Protoplasten Röcke aus Fellen. Die antiken Interpreten versuchten diesen Widerspruch dadurch zu lösen, dass sie Eden als einen heiligen Raum verstanden, in dem der Mensch in enger Gemeinschaft mit dem Schöpfer lebte. Diese besondere Gemeinschaft des Menschen mit Gott spiegelte sich auch in seiner besonderen Leiblichkeit wider, die durch Herrlichkeit charakterisiert gewesen sei. Nach dem Fall verlor der Mensch diese Herrlichkeit und erhielt eine andere Leiblichkeit, von welcher Gen 3,21 spreche. Diese Veränderung der Leiblichkeit des Menschen stellt keinen Gegensatz zur Todesankündigung in Gen 2 dar, wie der Vf. hervorhebt, wenn man Leben nicht zeitlich, sondern qualitativ als enge Gemeinschaft mit Gott versteht. Von einer leiblichen Veränderung nach dem Fall spricht auch das "Leben Adams und Evas", wonach Adams Leib nach der Übertretung mit 70 Plagen belegt worden sei. Die christliche Tradition identifizierte schließlich jene ursprüngliche Leiblichkeit im Paradies, die durch den Fall verloren ging, mit der erwarteten Herrlichkeit des Auferstehungsleibes (vgl. z. B. 1Kor 15,53), die in der Taufe bereits vorwegnehmend geschenkt wird, weshalb die Bekleidungsmetaphorik in der Tauftheologie eine wichtige Rolle (z. B. Gal 3,27) spielt.

Kapitel 7 (135-154) widmet sich der Auslegung der Urteilssprüche Gottes in Gen 3,14-19. Sie seien weniger als Strafe, sondern besser als Möglichkeit zur Buße zu verstehen, wie ja auch die spätere Auslegungstradition verschiedentlich ausdrücklich von einer Buße Adams und Evas spricht (z. B. "Leben Adams und Evas"). Das Paradoxon der Buße bestehe darin, dass gerade in der Akzeptanz der veränderten Lebensbedingungen außerhalb des Paradieses die Möglichkeit zum Wiedereintritt in dasselbe verborgen liege (vgl. 153 f.). Kapitel 8 ("The Genesis of Perfection": 155-176) thematisiert ausgehend von der so genannten Höllenfahrt Christi (vgl. z. B. NikEv, Descensus 4 ff.) die Frage nach der Erlösung. Durch die Inkarnation Christi und durch seinen unverschuldeten Tod am Kreuz wurde die Macht des Satans gebrochen und wurden die Folgen des Sündenfalls "repariert". Die Tore des Hades mussten sich öffnen und der Tod musste Christus als Sieger bekennen. Was bei Paulus angelegt ist, wird in der patristischen Tradition des "Christus victor" kosmologisch entfaltet: Christus hat dem durch Adam und Eva zur Herrschaft gelangten Tod die Macht genommen.

Es folgt ein Nachwort (177-188), in welchem der Vf. noch einmal hervorhebt, dass Gen 3 ein Bestandteil unserer Geschichte von Schöpfung, Fall und Erlösung ist. Die verschiedenen Etappen der jüdisch-christlichen Auslegungsgeschichte von Gen 3 lassen sich als je neue Vergegenwärtigung von Heilsgeschichte verstehen. Abgeschlossen wird das Werk durch ein Glossar, vier Appendices, ein Abkürzungsverzeichnis, den Anmerkungsteil, eine Auswahlbibliographie sowie ein Stellen- und ein Sachregister (mit Autorennamen). Die vier Anhänge bestehen aus einer Abhandlung über das Verhältnis der paulinischen Interpretation von Gen 3 zur Vorlage selbst (A), aus einer kommentierten Übersetzung von Gen 1-3 (B), aus einer englischen Übersetzung des "Lebens Adams und Evas" in der armenischen Fassung (C) sowie aus einer englischen Übersetzung von NikEv, Descensus 3-8 (D).

Das hier zu besprechende Werk bietet zweifellos eine äußerst sachkundige und zugleich für Nichtspezialisten gut handhabbare Einführung in die jüdisch-christliche Rezeption von Gen 1-3. Beeindruckt hat mich die Breite des behandelten Stoffes und die theologische Tiefe, die für religionsgeschichtlich orientierte Arbeiten nicht immer charakteristisch ist. Wenn gleichwohl neben den bereits genannten einige wenige Fragen und kritische Anmerkungen bleiben, so kann dies das Verdienst des Vf.s nicht schmälern:

1. Der Aufbau des Buches hat sich mir nicht bis zum Letzten erschlossen, und so manche Überschrift ließ kaum erahnen, worum es in dem betreffenden Abschnitt ging. Ferner waren manche Doppelungen zu verzeichnen (vgl. z. B. die identischen Abbildungen S. 57 und 80).

2. Ist die Interpretation der Urgeschichte im Sinne einer "Genesis of Perfection" nicht zu einseitig? Wird in Genesis 3 nicht auch die Geschichte der Sünde und des Todes erzählt, und wurden nicht gerade diese Aspekte in der Wirkungsgeschichte (z. B. im Vierten Buch Esra) besonders hervorgehoben?

3. Abschließend sei am Rande erwähnt, dass ich hinsichtlich der Datierung und religionsgeschichtlichen Einordnung des "Lebens Adams und Evas" eine andere Position als der Autor vertrete (vgl. dazu Th. Knittel, Das griechische Leben Adams und Evas, TSAJ 88, Tübingen 2002). Man kann dieses Werk durchaus als eine frühjüdische Schrift des 1. bzw. frühen 2. Jh.s n. Chr. verstehen.