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Ausgabe:

Mai/2003

Spalte:

490–492

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Siedler, Dirk Chr.

Titel/Untertitel:

Paul Tillichs Beiträge zu einer Theologie der Religionen. Eine Untersuchung seines religionsphilosophischen, religionswissenschaftlichen und theologischen Beitrages.

Verlag:

Münster-Hamburg-London: LIT 1999. 266, XXIII S. 8 = Theologie, 21. Kart. ¬ 25,90. ISBN 3-8258-4203-7.

Rezensent:

Horst Bürkle

Mit dieser vom Fachbereich 1 der Gerhard-Mercator-Universität-Gesamthochschule Duisburg als Promotionsleistung angenommenen Arbeit liegt über die zur Religionsthematik Tillichs bereits erschienenen Untersuchungen hinaus eine weitere Bearbeitung vor. In einer ausführlichen Einleitung (4-86) geht der Vf. auf die Quellenlage ein. Hier sind die im amerikanischen Paul-Tillich-Archiv befindlichen, bisher unveröffentlichten Texte und Fragmente von Bedeutung, die der Vf. einsehen und auswerten konnte. Eine Übersicht über "repräsentative systematisch-theologische Entwürfe zu einer Theologie der Religionen" referiert etwas willkürlich die Beiträge von K. Barth, C. H. Ratschow, J. Hick und P. F. Knitter (29-50).

Informativ für den deutschen Leser ist der die Einleitung abschließende 30-seitige Forschungsbericht, in dem der Vf. englischsprachige Autoren zu Tillich vorstellt.

Der zweite Teil der Arbeit (87-125) - dies wiederum abgehoben von dem Thema einer Theologie der Religionen bei Tillich- ist der Verwendung des Begriffs "Religion" bei ihm gewidmet. Unterschieden wird zwischen einem "metaphysischen" und einem "historischen Religionsbegriff". Zum Ersteren folgen Erläuterungen zu F. Schleiermacher und R. Otto im Vergleich zu Tillichschen Frühschriften. Als Beispiel des Letzteren wird E. Troeltsch angeführt.

Ein weiterer Teil behandelt die typologischen Unterscheidungen, die sich bereits im Frühwerk Tillichs finden. Unter dem nicht weiter begründeten, etwas willkürlich gewählten Begriff einer "dynamischen Typologie" werden die bekannten Tillichschen Bestimmungen des sakramentalen, mystischen und prophetischen Religionsverständnisses dargelegt (125-151) und durch eine auf O. D. Schwarz sich beziehende eigenwillige Ausdeutung des "protestantischen Prinzips" ergänzt ("... das Prinzip, das die Wahrheit des Christentums zu einer prinzipiell nur relativen Wahrheit erklärt ..." - 155). Hier wie in anderen Zusammenhängen der Arbeit zeigt es sich, welche Missverständnisse nahe liegen, wenn Begründungszusammenhänge spätester Gelegenheitsäußerungen bei Tillich ("Religious Relativism - P. Tillich's Last Word") mit grundlegenden Begriffen seines Gesamtwerkes gewaltsam hergestellt werden.

Als Kontext zeitgenössischer interdisziplinärer Theologie bei Tillich werden dann A. Schweitzer und als "idealtypische" Religionssoziologen M. Weber und J. Wach vorgestellt. Das Kapitel schließt mit Tillichs späten Erfahrungen im christlich-buddhistischen Dialog und mit seinen Reiseerinnerungen an Japan 1960.

Ein vierter Teil (204-246) der Arbeit wendet Tillichs Begriff der "Religion des konkreten Geistes" auf die Bestimmung des Verhältnisses des christlichen Glaubens zu den anderen Religionen an. Das geschieht in drei Schritten: Tillichs Interpretation der paulinischen Geistlehre gefolgt von Exkursen zur Geistthematik in AT und NT und "Offenbarungstheologischen Aspekten von Tillichs Religionstheologie" sowie "eschatologischen Aspekten" seiner Religionstheologie. "Die ganze Religionsgeschichte ist für Tillich ein Kampf für die Religion des konkreten Geistes, die ihren höchsten Ausdruck bereits in der paulinischen Geisteslehre erfahren habe" (205). Der Untermauerung dieser vom Vf. richtig eingeschätzten Bedeutung der Pneumatologie Tillichs wird aber zugleich kritisch der Stempel einer "exklusivistischen Christologie" aufgedrückt.

Es ist dankenswert, dass der Vf. in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Theologie Tillichs für eine Theologie der Mission in Erinnerung bringt. In "Theologische Grundlagen der Mission" hat dieser bereits 1954 die Mission als eine Funktion der Kirche gekennzeichnet. Sie gründet darin, dass Christus als die Mitte der Geschichte - hier deutlich in Aufnahme seines früheren kairos-Verständnisses - "das einigende Zentrum [sei], in dem alle Religionen geeint werden könnten" (230).

Ein interessanter Exkurs (238) gilt der Rekapitulationslehre bei Irenäus, die der Straßburger Theologe G. Siegwart 1987 in Beziehung zu Tillichs religionstheologischen Ansatz gebracht hat. Der Vf. spricht hier von einer "Zielperspektive der interreligiösen Begegnung", die "schon in der existentiellen Geschiedenheit fragmentarischer Erfahrungen" die endzeitliche Erfüllung erahnen lässt, in der Gott alles in Allen sein wird.

Das abschließende Kapitel würdigt Tillichs theologische Sicht der Weltreligionen für die Begegnung des Christentums mit ihnen. Dem Vf. ist zuzustimmen im Blick auf die heute schematisch gehandhabten Klassifizierungen, mit denen man seit J. Hick und P. Knitter die religionstheologische Thematik festzuschreiben versucht: Weil er keinem dieser Modelle "eindeutig zuzuordnen ist", "kann Tillichs Ansatz aus dem gegenseitigen Lagerdenken in der gegenwärtigen religionstheologischen Diskussion herausführen" (265).

Unbegründet bleibt seitens des Vf.s die Feststellung, dass die katholische Kirche einen "ambivalenten Standpunkt im Dialog der Weltreligionen einnimmt". Nach einer Würdigung der Erklärung Nostra aetate zum Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen (257 ff.) kommt er zu dem Ergebnis, dass die Religionen in ihrer Hinordnung auf Jesus Christus positiv gewertet werden. "Hier ist die Universalität christologisch begründet". Und für Tillich gilt: "Die Universalität des Christentums sieht [er] ebenfalls in der Logoslehre als dem universalen Prinzip der göttlichen Selbst-Manifestation verwirklicht, durch die sich das Christentum in die Lage versetzte, fremde Religionen differenziert zu beurteilen". Warum also erscheinen die Unterschiede gegenüber Tillichs Position nur "auf den ersten Blick gar nicht so groß"? (259) L. Scheffzcyk hat kürzlich gravierende Unterschiede im Blick auf das Verständnis von "Symbol und Sakrament in der Theologie Paul Tillich" aufgewiesen (in: K. Krämer und A. Paus [Hg.]: Die Weite des Mysteriums. FS H. Bürkle. Freiburg 2000, 118-145). In Bezug auf die theologische Bestimmung des Zugangs zu den Religionen wird man dies in dieser Weise nicht sagen können. Durch nostra aetate ist es verwehrt, den Zugang zu den Religionen auf die Schmalspur eines "Weltethos" zu verdünnen. Dem würde auch Tillich im Blick auf sein Verständnis des Neuen Seins kräftig zustimmen, wie der Vf. in anderem Zusammenhang feststellt.

Es bleiben Fragen. Hat Tillich bereits in den 50er Jahren die Bedeutung des Themenbereichs der "Begegnung der Weltreligionen" für die Systematische Theologie erkannt "und sich auch praktisch der interreligiösen Begegnung gestellt"? Tillichs religionstypologischen Unterscheidungen, wie sie in seinem Schrifttum jener Jahre, insbesondere in den beiden ersten Bänden seiner Systematischen Theologie vorliegen, wollten und können diesen Anspruch nicht erheben. Mit Recht verweist der Vf. auf den erst in der Zeit seiner Begegnungen mit Kollegen an der Harvard Divinity School wie D. T. Suzuki und Gästen wie S. Hisamatsu, insbesondere aber seit seinen Gesprächen und Eindrücken während seines Japanbesuchs 1960 explizit geführten theologischen Dialog mit dem Buddhismus.

Feststellungen wie, "daß der interreligiöse Dialog in der deutschsprachigen Theologie erst seit den achtziger Jahren intensiver diskutiert wird" und dass Tillichs Vorlesungen der Jahrhundertmitte "seiner Zeit vorauseilen" (8), sind zwar ihn ehrende chronologische Zuschreibungen, treffen aber nicht zu. Solche Einschätzungen liegen nahe, wenn der Vf. "zum Programm einer Theologie der Religionsgeschichte bzw. Theologie der Religionen ... die entscheidenden Ansätze aus dem deutschsprachigen Raum" auf eine Fußnote (69) mit Nennung von fünf Namen beschränkt. Ein Blick in die von H. R. Schlette bereits 1964 aufgearbeitete Literatur zum Thema hätte ein anderes Bild ergeben.

Jenseits solcher Fragen und Einwände ist Siedler zu bescheinigen, dass er mit diesem Band eine seinem Thema adäquate Leistung vorgelegt hat. Der Gewinn der Lektüre liegt nicht allein in der Verarbeitung bisher nicht veröffentlichten Archivmaterials, in der Behandlung einer breiten englischsprachigen Literatur zur Thematik und in der Bezugnahme auf theologische Entwicklungen in der Gegenwart. Für viele wird es eine willkommene Zusammenfassung sein der "current discussion" zur religionstheologischen Relevanz des Tillichschen Werkes und des Aufweises seiner sich wandelnden Perspektiven, die in diesem selbst wahrzunehmen sind. Für den Vf. dieser Besprechung stellt die Lektüre des Buches nicht nur eine verlebendigende Erinnerung an das 1951/52 in Hörsaal und Seminar bei Paul Tillich Gehörte dar. Sie ergänzt, was an breiter Beschäftigung und Auseinandersetzung mit ihm weltweit bis heute stattgefunden hat.