Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/2003

Spalte:

486–488

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Keown, Damien

Titel/Untertitel:

The Nature of Buddhist Ethics.

Verlag:

Basingstoke-New York: Palgrave 2001. XII, 269 S. 8. Kart. £ 14,99. ISBN 0-333-91309-4.

Rezensent:

Michael von Brück

Der Ethik-Diskurs ist zu einem zentralen Bereich der inner- und interreligiösen Theoriebildungen geworden. Das ist nicht neu, jedoch kann man aus nahe liegenden Gründen konstatieren, dass eine neue Dringlichkeit in die Debatten gekommen ist. Der Vf. ist in diesem Bereich international bekannt, zumal er eine Internet-Zeitschrift zur buddhistischen Ethik maßgeblich betreut. Der Buddhismus sei keineswegs nur Philosophie der Weisheit (panna bzw. prajna), wobei der Ethik (sila bzw. sila) bestenfalls eine propädeutische, nicht aber eine soteriologische Funktion zukommen würde, sondern die Ethik sei konstitutiv für das Verständnis des buddhistischen Lebenszieles, des Nirvana. Das ist die Grundthese des klug gegliederten und - zumindest für die Traditionen des "Kleinen Fahrzeugs" - hervorragend argumentierenden Buches des Vf.s. Emotion sei nicht reduzierbar auf Weisheit (72), Ethik sei nicht Mittel zu einem anderen Ziel (14), und schon gar nicht könne die These vom kammatischen (auf das rechte Handeln ausgerichteten) Laienbuddhismus gegenüber dem nirvanischen (auf die Befreiung aus dem Daseinskreislauf durch Meditation und Einsicht beruhenden) Buddhismus der Mönche (88 ff.) aufrecht erhalten werden. Vielmehr sei der Buddhismus dadurch ausgezeichnet, dass Einsicht bzw. Weisheit (prajna) und barmherziges tätiges Handeln (sila bzw. karuna) zu integrieren seien (43f.). So arbeitet der Vf. aus den Quellen eine interessante These zum Verständnis des Nicht-Selbst (anatta bzw. anatman) heraus, das eine kognitive Seite habe, die durch prajña abgedeckt würde, und eine affektive, die durch s-la repräsentiert sei. Sila und panna konstituieren, so ein weiter Zentralgedanke dieses Buches, "primary dimensions of perfection with samadhi providing the impetus for their full development" (55).

Die Ethik im Mahayana wird behandelt, allerdings zu wenig differenziert und vom historischen Kontext weitgehend abgelöst. Entsprechende Entwicklungen z. B. im chinesischen Ch'an bzw. japanischen Zen oder im zentralasiatischen Tantrismus lassen sich nicht allein mit Hinweisen auf wenige Mahayana-Sutras und einige Kommentare klären, sondern sie sind eingebunden in sozialgeschichtlich zu erhellende Transformationen, die kaum Eingang in die Argumentation finden. In diesem Rahmen wäre auch eine Textkritik gefordert, die - jedenfalls im Blick auf Mahayana - nur marginal zu Buche schlägt (z. B. 113 f.). Richtig ist sicherlich, dass die Entstehung des Mahayana als Paradigmenwechsel (130) gedeutet werden kann, wobei es um einen markanten Wechsel in der Terminologie geht, bei dem Wandeln und Kontinuität (135) auftreten. Auch hier wäre nach den sozialen Trägergruppen zu fragen. (Ich vermisse im Übrigen nicht-englischsprachige Literatur zum Thema, bes. auch die Arbeiten von L. Schmithausen zur buddhistischen Ethik.) Nützliche Untersuchungen zum upaya-Begriff (die "geschickten Mittel") und seiner Bedeutung für die Ethik machen aber auch die Abschnitte zum Mahayana wertvoll, zumindest als erste Orientierung.

Der Vf. steckt aber ein noch weiteres Ziel ab: Er vergleicht die Grundstrukturen der buddhistischen Ethik mit dem Utilitarismus (165-192) und der aristotelischen Tugendethik (193-227), um vom Bekannten zum weniger Bekannten fortzuschreiten (21 f.), und er kommt zu dem Schluss, dass die aristotelische Ethik die engste Analogie zur buddhistischen darstelle (21). Der Vf. demonstriert auf knappem Raum seine gründlichen Kenntnisse der verschiedenen Traditionen und seine Fähigkeit, die Strukturen der jeweiligen Argumentation griffig darzustellen. Aber methodisch gäbe es hier doch einige Bedenken anzumelden: Zu unterschiedlich sind die psycho-sozialen Grundmuster des Aristotelismus (und seiner Wirkungsgeschichte in Europa!) und der sehr unterschiedlichen "Buddhismen" in Asien und der jüngsten Buddhismusrezeptionen in Europa/Amerika. Ohne kulturwissenschaftliche Differenzierungen kommt man zu schnell zu abstrakten und letztlich unhistorischen Allgemeinaussagen. Um nur ein Beispiel zu geben (200 f.): Der Vf. argumentiert im Zusammenhang mit der aristotelischen Tugendlehre, dass Konflikte von Tugenden durch Taxonomien gelöst werden müssten, die aristotelisch und buddhistisch durchaus vergleichbar seien, z. B. wenn es um Diebstahl versus Suche nach Erkenntnis gehe und nun der Diebstahl eines Textes bzw. Buches beurteilt werden müsse. Wenn - wie der Vf. gerade ablehnt, aber von anderen Autoren immer wieder behauptet wird - Erkenntnis (prajna) das letzte alleinige buddhistische Ziel wäre, so könnten/müssten auch extreme Handlungen wie "cruelty and torture as means to knowledge" (201) legitimiert werden können, was im Rahmen der buddhistischen Soteriologie natürlich absurd ist. Das Problem liegt m. E. daran, dass prajna eben mehr ist als prohairesis und auch sophrosyne, und dass das summum bonum beider Traditionen, eudaimonia und nirvana, eben nicht ohne weiteres von den unterschiedlichen psychologischen und metaphysischen Voraussetzungen gelöst werden können.

Ein interessantes Buch, hervorragend geeignet für eine Einführung in den Buddhismus und in das weitere Studium der Texte, und übersichtlich sowie flüssig geschrieben.