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Ausgabe:

Mai/2003

Spalte:

483–486

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bauschke, Martin

Titel/Untertitel:

Jesus - Stein des Anstoßes. Die Christologie des Korans und die deutschsprachige Theologie.

Verlag:

Köln-Weimar-Wien: Böhlau 2000. XV, 505 S. 8 = Kölner Veröffentlichungen zur Religionsgeschichte, 29. Kart. ¬ 50,00. ISBN 3-412-07600-7.

Rezensent:

Klaus Hock

Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie: Die Krise des sola-scriptura-Prinzips (und die klammheimliche Verabschiedung auch lutherischer Theologie von ihm) mündet ins solae-scripturae-Prinzip des interreligiösen Dialogs. Zumindest unter dem Aspekt der Frage nach dem Schriftprinzip, wenngleich nicht unmittelbar thematisiert, ließe sich eines der Ergebnisse dieses Buches - auch - auf diese Formel bringen. Wie der Autor nämlich feststellt, wird sich im christlich-islamischen Dialog "[e]ine mögliche christologische Annäherung ... wohl nur in dem Maße als tragfähig erweisen, wie sie in den heiligen Schriften der Religionen fundiert ist" (431). Dabei geht es ihm allerdings nicht um "eine Art christologischer Synthese", sondern, ganz im Gegenteil, um die "Achtung vor der Differenz" (434 ff.). Damit läuft zumindest ein Argument gegen einen nicht-missionarisch verstandenen Dialog, dem sich B. verbunden weiß, ins Leere: der Vorwurf, hier würden illegitimerweise Unterschiede verwischt und Widersprüche eingeebnet; und wenn der Autor in diesem Zusammenhang die Offenheit des christologischen Dialogs hervorhebt, wird diese Differenz nicht eskamotiert, sondern theologisch verantwortet mit dem Hinweis auf den theologischen Vorbehalt, dass alle Christologien lediglich Christo-Logien ad maiorem Dei gloriam bleiben, da "Gott selbst ... die Christusfrage offenhält - solange, bis Er sie am Ende aller Geschichte abschließend beantworten wird" (444; Hervorh. im Original).

Der Autor ist einen weiten, mühevollen Weg gegangen, bevor er in einem dritten, abschließenden Kapitel ("Jesus - Stein des Anstoßes") die Summe zieht und die Frage nach der Legitimität der koranischen Christologie positiv beantwortet, während er einer interpretatio christiana koranischer Aussagen über Jesus eine grundsätzliche Absage erteilt. In der Tat sind Unterschiede und Divergenzen oder gar unüberbrückbare Widersprüche nur dann erkennbar, wenn die koranische Christologie nicht nach Maßgabe christlicher Kriterien entschlüsselt wird. Genau daran hat jedoch die Rezeption der Christologie des Korans in der deutschsprachigen Theologie seit 1945 gekrankt- und nicht nur daran, wie B. in seiner ebenso gründlichen wie detaillierten "Anamnese" christlich-theologischer Auseinandersetzung mit dem Christus der Muslime (genauer: dem Jesus des Korans) aufzeigt.

Dem analytischen Hauptteil des Buches geht ein Kapitel voran, das zunächst "Die Christologie des Korans" selber thematisiert. Ziel des Autors ist es dabei, das koranische Jesusbild entsprechend dem Selbstverständnis des Korans nachzuzeichnen. Dabei berücksichtigt er zwar auch die islamische Interpretation, ist jedoch bemüht, zwischen der Auslegung in der islamischen Tradition und der "ursprünglichen" koranischen Sicht strikt zu unterscheiden: Islamische Christologie ist nicht gleich koranische Christologie! Auf Grund seiner äußerst reflektierten, differenzierten Analyse gelingt es B., den wissenschaftlichen Blick bei der Erforschung der koranischen Christologie zu schärfen und für kritische, neue Fragestellungen zu sensibilisieren. Zu Recht stellt er fest, dass selbst in Hinsicht auf eine so wichtige Studie wie die von Günter Riße von einem Abschluss der wissenschaftlichen Erforschung des Christusbildes im Koran nicht die Rede sein kann. Entsprechend ergeben seine eigenen Recherchen, dass wir bei der Erschließung der koranischen Christologie zum Teil erst noch am Anfang stehen. Dessen ungeachtet gelingt es B. jedoch, wichtige Ergebnisse zu erarbeiten, an denen der künftige wissenschaftliche Diskurs nicht vorbeigehen kann. Beispielhaft genannt sei hier nur sein Hinweis darauf, wir müssten die koranische Christologie in ihrer Komplexität noch differenzierter wahrnehmen und beispielsweise unterschiedliche Akzentuierungen der mekkanischen gegenüber der medinensischen Christologie berücksichtigen, oder seine Kategorisierung der theozentrischen Christologie als "Zeichen-Christologie" innerhalb des Kontextes koranischer "Zeichen-Theologie", oder seine Herausarbeitung des vierfach "antithetischen" Charakters koranischer Christologie, die sich gegen jeglichen Doketismus, gegen eine Christologie "von oben", gegen den Tritheismus der zeitgenössischen orientalisch-christlichen Volksfrömmigkeit und gegen den Kreuzestod Jesu wendet. Von religionswissenschaftlicher - und in ihrer Konsequenz für den christlich-islamischen Dialog dann auch von ganz besonderer theologischer - Brisanz ist in diesem Zusammenhang u. a. das Ergebnis, dass "[e]ine Antithese zur christlich-soteriologischen Kreuzestheologie ... - jedenfalls im Kontext des Kreuzigungsverses - nicht erkennbar" (194) sei.

In einer fulminanten Detailanalyse durchforscht der Autor im Hauptteil der Arbeit "Die Rezeption der Christologie des Korans in der deutschsprachigen Theologie seit 1945" - so auch der Titel dieses Abschnittes, der mehr (ent)hält, als er verspricht, da der Autor in Exkursen darüber hinaus auch exemplarisch die Rezeption koranischer Christologie durch Nicht-Fachtheologen mit christlich-fundamentalistischer Zielsetzung darstellt und einen bibliographischen Überblick über islamische, islamologische, religionswissenschaftliche sowie sonstige (u. a. lexikalische) Darstellungen koranischer Christologie im 20. Jh. präsentiert - ganz abgesehen von einem Exkurs, der die problematische "Renaissance der interpretatio christiana im 20. Jahrhundert" kritisch beleuchtet. Gründlichkeit, Finesse, detailtreue Genauigkeit kennzeichnen dieses analytische Kapitel, an dessen Ende eine systematische Auswertung steht, mit der B. vier verschiedene Richtungen der Rezeption koranischer Christologie in der deutschsprachigen Theologie unterscheidet: Die antithetische, die emphatische, die historisch-kritische und die dogmenkritische. So komplex und differenziert die Analyse, so eindeutig das Ergebnis: "Gerade diejenigen Theologen, die sich auf der Basis einer inhaltlichen Toleranz und einer religionstheologischen Offenheit ... sowie der Bereitschaft zu theologischer (Selbst-) Kritik den Aussagen des Korans über Jesus zuwenden, haben ... zum Verständnis der koranischen Christologie per se am meisten beigetragen" - und sie haben "zugleich den christologischen Dialog mit dem Islam vorangebracht" (394 f.; Hervorh. im Original).

Doch mit diesem Ergebnis kommen zugleich Desiderate zur Sprache: Zutreffend moniert der Autor, dass im letzten Vierteljahrhundert keine neue Gesamtdarstellung koranischer Christologie veröffentlicht wurde, die exegetisch befriedigend gearbeitet wäre. Schlimmer noch sieht es auf systematisch-theologischem Gebiet aus: Hier spielt die koranische Christologie keine Rolle - weil sie überhaupt nicht wahrgenommen wird! Vor diesem Hintergrund ist B.s dynamischer Optimismus, der das Buch durchzieht, um so bemerkenswerter. Seine Feststellung, dass es keine Alternative zum Dialog der Religionen gibt, bleibt nicht bloße Proklamation, sondern wird programmatisch überführt in die Forderung nach einer reflektierten Reflexion der koranischen Christologie als religionswissenschaftliche Aufgabe als auch in die Affirmation einer theologischen Anerkennung der Legitimität koranischer Christologie, aus der sich dann in einem weiteren Schritt die Thematik der theologischen Relevanz des christologischen Dialogs mit dem Islam entfalten lässt. Dabei mag strittig bleiben, ob diese Perspektiven alleine aus einer Position der pluralistischen Religionstheologie zu gewinnen sind - zu dieser jedenfalls "bekennt" sich der Autor ausdrücklich (29 u. ö.); bedeutsamer scheint mir diesbezüglich das Vorhandensein einer grundsätzlichen religionstheologischen Offenheit, die auch der Autor als wichtigen Faktor, quasi als "Katalysator" sowohl einer wissenschaftlich validen Rezeption der koranischen Christologie als auch des Bemühens um einen christologisch orientierten islamisch-christlichen Dialog identifiziert.

Die vorliegende Veröffentlichung setzt neue Standards sowohl für den religionswissenschaftlichen als auch für den theologischen Umgang mit der Frage nach dem koranischen Christus, hinter die die künftige Forschung nicht zurückfallen sollte. B. gelangt hierbei zu neuen Einsichten, ohne die Ergebnisse seiner Analyse einfach bloß festzuschreiben - im Gegenteil, er fordert ja geradezu ihre Fortschreibung. Die Breite, in der die Thematik ausgeführt wird, der Enthusiasmus, mit dem der Autor seine Fragestellung verfolgt, erinnert manchmal an Navid Kermanis Arbeit über die Ästhetik des Korans - wie der Islamwissenschaftler, so findet auch B. vielfältige Zitate aus dem außer-akademischen Bereich, der Poesie und Literatur, die bisweilen in verdichteter Sprache das Gemeinte trefflich zum Ausdruck bringen: Rilkes Hinweis auf den koranischen Jesus als "Fingerzeig" Gottes, oder Goethes Wunsch zu beten "wie Moses im Koran [Sure 20,25]: Herr, mache mir Raum in meiner engen Brust!".

Selbstverständlich lassen sich auch einige kritische Anfragen stellen. Mir beispielsweise bleibt - auch angesichts und trotz der ausführlichen Reflexionen in den "Hermeneutisch-methodischen Vorbemerkungen" zur Christologie des Korans (97 ff.) - fraglich, ob die ipsissima vox coranica "per se" identifizierbar ist - womit mittelbar auch das eingangs erwähnte solae-scripturae-Prinzip des interreligiösen Dialogs in Frage gestellt wäre; und mit der Programmatik, der christlich-islamische Dialog könne "missionarische Wirkung nach außen, gegenüber anderen Ideologien und Religionen, entfalten", da Christen und Muslime nun "eine gemeinsame Mission auf Erden" haben, die "der Konversion aller zu dem einen lebendigen Gott" dient (92 f.; Hervorh. im Original), hätte ich meine allergrößten Schwierigkeiten - eine christlich-islamische Einheitsfront halte ich theologisch für ebenso wenig akzeptabel wie eine gemeinsame (jüdisch-)christlich-muslimische, abrahamitisch-monotheistische "Missionsoffensive". Davon unberührt bleibt die Tatsache, dass mit B.s Arbeit sowohl die akademische Beschäftigung mit der koranischen Christologie als auch der wissenschaftlich reflektierte und verantwortete christlich-islamische Dialog ein Niveau erreicht hat, an dem sich hoffentlich auch künftige Studien innerhalb dieses thematischen Bereiches orientieren.