Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2003

Spalte:

454–467

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kothmann, Thomas

Titel/Untertitel:

Apologetik und Mission. Die missionarische Theologie Karl Heims als Beitrag für eine Missionstheologie der Gegenwart.

Verlag:

Neuendettelsau: Erlanger Verlag f. Mission u. Ökumene 2001. 399 S. 8 = Missionwissenschaftliche Forschungen, Neue Folge, 15. Kart. ¬ 30,00. ISBN 3-87214-345-X.

Rezensent:

Peter Beyerhaus

In seiner bei der Philosophischen Fakultät I in Regensburg eingereichten Dissertation unternimmt der Autor den begrüßenswerten Versuch, eine umfassende Darstellung der Missionstheologie Karl Heims zu bieten, wie sie als zentrale Dimension seines Lebenswerks zu erschließen ist. Er tritt der bedauerlichen Tatsache, dass die Bedeutung Heims für die Systematische Theologie heute weitgehend unterschätzt wird, dadurch entgegen, dass er im Untertitel das erkenntnisleitende Interesse auf den Beitrag lenkt, den dessen [durch und durch!] missionarische Theologie "für eine Missionstheologie der Gegenwart" zu leisten vermag. Das ist um so anerkennenswerter, als eine kürzlich (1997) erschienene missionswissenschaftliche Dissertation, die von Henning Wrogemann zum Thema "Mission und Religion in der Systematischen Theologe der Gegenwart", es nicht für nötig erachtet hat, K. Heim in die Reihe der 12 hier behandelten deutschsprachigen Dogmatiker im 20. Jh. aufzunehmen. Man mag über die Wertbeständigkeit der eminent kontextual ausgerichteten Theologie Heims urteilen, wie man will; aber unleugbar hat kein anderer systematischer Theologe einen so tiefgreifenden Einfluss auf die Missionswissenschaft und Missionsbewegung seiner Zeit über vier Jahrzehnte hinweg, ja mancherorts bis in die Gegenwart ausgeübt wie er. Leider hat auch K. darauf verzichtet, die Rezeption von Heims Missionsverständnis durch seine Zeitgenossen (vor allem durch K. Hartenstein und W. Freytag) nicht nur en passent zu erwähnen, sondern dessen Wirkungsgeschichte in einem eigenen Unterteil nachzugehen, auch wenn er in seiner Einführung über das sich in mehreren neueren Arbeiten zu Einzelaspekten der Missionstheologie Heims (Hille, Erdmansdörfer, Kubik) dokumentierende Interesse instruktiv informiert. Jenes Unterlassen liegt offenbar darin begründet, dass er bei seiner ausführlichen Darstellung der evangelischen Missionstheologie im 20. Jh. sein Augenmerk auf die von der historischen Weltmissionskonferenz in Edinburgh 1910 ausgehende Tradition innerhalb der 1961 in die Genfer Ökumene eingegangenen Missionsbewegung konzentriert hat. Weniger Aufmerksamkeit findet die seither verselbständigte evangelikale Bewegung für Weltevangelisation, welche in ihrer operativen Dynamik und missiologischen Reflexion mit gleichem Recht ihre Kontinuität mit der im letzten Drittel des 19. Jh. aufbrechenden internationalen Missionsbewegung behaupten kann. Zwei markante theologische Manifeste evangelikalen Missionsdenkens - die Frankfurter Erklärung (1970) und die Lausanner Verpflichtung (1974) -, werden im Text zwar mehrfach erwähnt, aber nicht analysiert. Sie sind auch nicht in das Sachregister aufgenommen, das übrigens zusammen mit dem Orts-, Personen- und Bibelstellenregister eine willkommene Vervollständigung dieses inhalts- und themenreichen Werks darstellt und seinen Gebrauch erleichtert.

Das Buch gliedert sich in fünf Teile, von denen die Teile I und II sowie III und IV jeweils sachlich zusammengehören und die beiden Hauptaspekte entfalten, die bei der Frage nach der Relevanz von Heims apologetisch-missionarischer Theologie für eine [sic!] Missionstheologie der Gegenwart zueinander in Beziehung zu setzen sind, nämlich zunächst die begriffliche Klärung von Apologetik und Mission sowie deren neuzeitliche Darstellung und sodann die analytische Beschreibung von Heims missionarischer Biographie und der apologetisch-missionarischen Dimension seines theologischen Lebenswerks. In der Einleitung stellt der Autor die Veranlassung, Quellenlage, Intention und Methodik seiner Untersuchung vor. Er bezeichnet es (17) als sein Anliegen, "die in unterschiedlichen Zusammenhängen thematisierte missionarische Dimension der Theologie Heims in ihrer Relevanz für die [sic!] gegenwärtige Missionstheologie aufzuzeigen". An diesem Vorhaben wird sich der Ertrag der Dissertation messen lassen müssen.

Um mein Gesamturteil vorwegzunehmen: Es ist dem Vf. zumindest implizit gelungen, diese Bedeutsamkeit gerade für die heute in eine recht diffuse Lage geratene Missionstheologie aufzuzeigen, insofern nämlich, als der mit den aktuellen Fragestellungen und Positionen vertraute Theologe, wie sie hier im Wesentlichen korrekt skizziert werden, sich der Brisanz des apologetisch-missionarischen Engagements Heims sofort bewusst werden wird. Für sie dürfte Heim als postumer Gesprächspartner als eben solcher Querdenker erscheinen, wie er es auch für die Fachgenossen seiner Zeit war. Um welche Fragestellungen es im gegenwärtigen missionstheologischen Gespräch geht, hat der Vf. in Teil II durch seine Gegenüberstellung eines "heilsgeschichtlich-eschatologischen" und eines "verheißungsgeschichtlichen Modells" (Terminologie nach Theo Sundermeier) ebenso gut herausgestellt wie in seiner ausführlichen Berichterstattung über das Verhältnis von Zeugnis und Dialog in den beiden gegenwärtigen Haupttypen der Religionstheologie, dem "inklusiven" und dem "pluralistischen". Da, wo der Inhalt des missionarischen Zeugnisses, nämlich das Bekenntnis zur Universalität Jesu Christi als Herrn und Heiland, von dem Heims ganze Existenz als Christ, theologischer Lehrer und wortgewaltiger Prediger bestimmt war, nunmehr verkümmert zu einer "funktionalen" bzw. "repräsentativen Christologie" - Christus als Chiffre für eine soteriologische Funktion, wie sie in andern Religionen und Ideologien unter anderen Namen und Symbolen angeboten wird -, könnte der Einspruch eines Heimus redivivus nur ein radikaler sein.

Dies ist im abschließenden gegenüberstellenden Teil V von K. klar, wenn auch - angesichts seiner bisweilen harmonisierenden Tendenz - in verhaltenem Ton herausgestellt. Dieser Schlussteil "Karl Heims missionarische Theologie als Beitrag zu einer Theologie christlicher Mission" fällt mit seinen nur 23 der insgesamt 323 Textseiten gegenüber den analytisch darstellenden vorigen Teilen rein quantitativ stark ab, und weil auch er im Wesentlichen eine Zusammenfassung des schon zuvor ausführlich Entwickelten ist, bleibt die explizite Erörterung der Relevanz Heims für die Missionstheologie der Gegenwart hinter den geweckten Erwartungen zurück - wohl eine in der Bescheidenheit des wissenschaftlichen Debütanten begründete typische Schwäche mancher Inaugural-Dissertationen! Dieses Manko hätte methodisch dadurch vermieden werden können, dass die beiden Hauptblöcke im Korpus der Arbeit von vornherein korrelativ aufeinander konzipiert worden wären, statt als in sich abgeschlossene und dadurch sachlich kaum verbundene Einheiten, die je für sich genommen durchaus ihre Verdienste aufweisen.

So gelingt es dem Vf. in Teil II, einen guten Überblick über den Verlauf der missionstheologischen Diskussion im 20. Jh. zu geben, in welcher die von den Pionieren im 19. Jh. überkommenen Konzeptionen teils weiterentwickelt, teils verändert bzw. durch neuartige Modelle ersetzt wurden.

Die Hauptleistung der Arbeit liegt zweifellos in den Heim selber gewidmeten Teilen III und IV, d. h. seiner apologetisch-missionarischen Existenz und seinem umfangreichen literarischern uvre - beides lässt sich bei ihm nicht trennen! Frühzeitig erkannte Heim seine Berufung, die ihn selbst in der Tiefe erfassende Christusbotschaft gerade denen als Lösung ihrer geistigen Probleme nahe zu bringen, die unter dem Banne der Aufklärung Schöpfungsglauben und naturwissenschaftliches Denken für unvereinbar hielten. Ihnen gegenüber verschmähte er das Ausweichen in einen pietistischen Fideismus ebenso wie in eine neo-protestantische Bewusstseinstheologie als Flucht vor der Aufgabe, die gesamte sichtbare und übersinnliche Wirklichkeit von Gott als ihrem letzten Grunde her zu verstehen. Hier tritt Heim als moderner Apologet, für den sich Glauben und Denken nicht trennen lässt, in das Ringen um die Wahrheit ein, die für ihn eine ist und alle Bereiche des Forschens, auch die kosmischen, umfassen muss. Darum stellte er sich seinerzeit als einziger neuzeitlicher Theologe der Auseinandersetzung mit dem sich rapide wandelnden naturwissenschaftlichen Weltbild der Gegenwart, welches - von den Theologen kaum bemerkt - im Zuge von aufeinander folgenden physikalischen Theorien das empiristische, kausal-mechanisch geschlossene Weltbild des 19. Jh. erschütterten und ablösten:

Die Energetik W. Ostwalds, die Relativitätstheorie Einsteins und die Quantentheorie in deren "Kopenhagener Deutung" (Niels Bohr) als Komplementär-Theorie. Für Heim wichtig wird die sich hier eröffnende Schau von der Aufhebung des bisherigen Absolutheitscharakters der Kategorien Zeit und Raum im kausal-mechanisch bestimmten dreidimensionalen Raum durch die hypothetische Konzeption einer Vielzahl sich überlagernder und durchdringender, jeweils unendlicher Räume. Das konstituiert ein neues auch philosophisch tragfähiges Verständnis von Transzendenz und zugleich die prinzipielle Möglichkeit des Einwirkens einer überlegenen Wirklichkeit in die uns irrtümlich als allein real erscheinende, empirisch wahrgenommene Wirklichkeit. Damit kann der christliche Theologe dem kritisch denkenden Zeitgenossen einen neuen Zugang zu den religiösen Wirklichkeiten bereiten, die in biblischer Sprache mit "Offenbarung", "Wunder" und "Gebet" bezeichnet werden. In das neue Koordinatensystem trägt Heim die Zentralbegriffe des christlichen Glaubens mit philosophisch umschreibenden Bezeichnungen ein: Gott wird ihm zum überpolaren Ursein, der sich in seiner Selbsterschließung in Christus als Mittler und Ziel der Schöpfung den Menschen rettend offenbart in ihrer irdischen Wirklichkeit, die ihnen auf Grund ihrer Urschuld, d. h. ihres willenhaften Aufstandes gegen Gott, als eine in leidbringende polare Gegensätzlichkeit aufgespaltene zeigt. Diese Polarität wird erst am Ende durch die sichtbare Aufrichtung der Gottesherrschaft durch Christus aufgehoben werden, wenn nach der am Kreuz bereits geschehenen Lösung der Schuldfrage durch die Überwindung jedes widergöttlichen Willens, insbesondere aber des Satans als Urprinzip des Widerstandes, auch die Machtfrage gelöst sein wird. Dann nämlich wird Gott alles in allem sein, philosophisch gesprochen die Polarität der Zeit-Räumlichkeit in die Überpolarität der Urwirklichkeit aufgehoben sein. Die sich universal-menschheitlich in den Elendsdiagnosen der verschiedenen Religionen und säkularen Weltanschauungen dokumentierende Erlösungssehnsucht und deren vergebliche, eigenmächtige Lösungsversuche werden dann durch Jesus Christus - und in Ihm allein! - ihre authentische Antwort finden.

Die gesamte apologetisch-missionarische Theologie Heims ist das immer erneute und in vielfachen Situationen kontextualisierte Bemühen, seinen Hörern und Schülern den Sinn der heilsgeschichtlichen Spannung zwischen der schon gelösten Schuldfrage und der dereinst zu lösenden Machtfrage besonders in seelsorgerlichem Eingehen auf ihre persönlichen Lebensprobleme aufzuweisen. Das anhand zahlreicher Texte eingehend darzustellen, und zwar in einer für christologischen Absolutheitsanspruch ebenso wie für apokalyptischen und - horribile dictu! - satanologischen Realismus weithin verständnislosen missions- und religionstheologischen Situation, ist das eigentliche Verdienst der vorliegenden Untersuchung.