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Ausgabe:

April/2003

Spalte:

461–464

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Fischer, Moritz

Titel/Untertitel:

Maasai gestalten Christsein. Die integrative Kraft traditionaler Religion unter dem Einfluß des Evangeliums.

Verlag:

Neuendettelsau: Erlanger Verlag f. Mission u. Ökumene 2001. 432 S. m. Abb. 8 = Missionwissenschaftliche Forschungen, Neue Folge, 14. Kart. ¬ 34,00. ISBN 3-87214-344-1.

Rezensent:

Heinrich Balz

Eine Fülle von missionswissenschaftlichen Untersuchungen wurde in den letzten Jahren über die Maasai geschrieben, katholische wie evangelische, mehr geschichtlich und mehr ethnologisch orientierte. Allein vier an deutschen Universitäten angenommene missionswissenschaftliche Dissertationen, sämtlich mit dem südlichen d. h. tanzanischen Maasai-Gebiet befasst und von deutschen wie einheimischen Mitarbeitern der Evangelical Lutheran Church in Tanzania geschrieben, sind im Erlanger Verlag für Mission und Ökumene erschienen: 1996 die Berliner Dissertation von Christel Kiel Christen in der Steppe, 1998 und 1999 die beiden Erlanger Dissertationen von den Tanzaniern L. M. Mtaita The Wandering Sheperds and the Good Sheperd sowie von J. W. Parsalaw A History of the Lutheran Church Diocese in the Arusha Region. Mtaita ist vom Bantu-Volk der Pare, während Parsalaw selber dem sesshaften Teil der Maasai, den Ilarusha, zugehört. Hierzu gesellt sich 2001 die Heidelberger Dissertation von Moritz Fischer. Alle vier Untersuchungen geben den Eindruck, dass die Maasai es an sich haben, eigenwillige Missionare und Forscher an sich zu ziehen. Für F. gilt dies in besonderem Maße. Dem kritisch vergleichenden Leser bleibt es, zu fragen, wie weit er dem formulierten Anspruch, nicht nur unser Wissen über die Maasai zu vermehren, sondern darüber hinaus auch die missionswissenschaftliche Theorie vom eigenen Forschungsertrag aus auf neuen Grund zu stellen, genügt.

Kap. 1 (11-56) der Untersuchung dient der Klärung des Untertitels "Die integrative Kraft traditionaler Religion unter dem Einfluß des Evangeliums". Gebildete Maasai betonen die unverminderte Lebenskraft ihrer Kultur, die dem Vf. selber sowohl beim theologischen Lehren wie in der praktischen kirchlichen Arbeit mit den Maasai begegnete. Dieser Kraft will er induktiv, aber zugleich mit einem eigenen, an V. Küster kritisch weiterbauenden Text-Kontext-Modell ausgerüstet auf den Grund gehen, was einen interdisziplinären Ansatz, nämlich "Missions-, religions- und kulturwissenschaftliche sowie hermeneutische Aspekte und ihre theologische Logik" voraussetzt. Der Stand der Forschung zu den Maasai ist reichlich; der Vf. hebt aber vornehmlich auf dessen Defizite, zumal auf Seiten der Theorie, ab, um sein eigenes Vorhaben zu konturieren.

Kapitel 2-5 füllen das Modell-Gerippe mit Fleisch, d. h. mit gründlich dokumentiertem, teilweise selbst gesammeltem Anschauungsmaterial. Kap. 2 (57-112) "Die Maasai und das Christentum: Identität, Widerstand und Ergebung" führt induktiv an drei Biographien, die freilich sehr schnell analytisch kommentierend aufgelöst werden, von drei Seiten in die gegenwärtige Maasai-Gesellschaft ein: von einem jungen Evangelisten, einer verheirateten Frau, die ihren Weg in die Gemeinde fand, und einem Ältesten und Familienvorstand der, weniger im Widerstand als zögernd, noch auf der Schwelle zwischen alter und neuer Religion verharrt. Die aus verschiedenen nicht nur religiösen Gründen derzeit schnell wachsende Maasai-Kirche ist ein "Fragment der Hoffnung" im Ganzen der Gesellschaft. - Kap. 3 (113-246), das längste, behandelt "Die Riten und ihre Interdependenz mit der Dynamik des Lebens". Zur Deutung der Riten knüpft der Vf. an A. v. Gennep und V. W. Turner an, gibt dem Ganzen aber eine neue Ausrichtung durch seine These, dass, was immer das Evangelium Neues bringt, es dieses nur über und durch die Kraft der alten Riten bei den Maasai zu Einfluss bringen kann. In der Konsequenz handelt er von der christlichen Kindertaufe bei den alten Geburts- und Namengebungsriten, von der Konfirmation bei den traditionalen Jugendinitiationen. Zur Mädchenbeschneidung bzw. "genitalen Verstümmelung" vertritt er, ungebrochener als C. Kiel, den alten missionarisch ablehnenden Standpunkt, weiß aber auch von notwendigen und praktischen Übergangslösungen, wie sie etwa durch afrikanische christliche Krankenschwestern eingeführt werden. Zur Vervollständigung schließt er den Übergangsriten im Leben des Einzelnen die Segnung des Kraals und anderer Räume sowie die Gemeinschaftsopfer, die im engeren religiösen Sinn nicht "Opfer" sind, an. - Kap. 4 (247-300) geht an den neuen und alten "Spezialisten" derselben These nach: Was immer Pfarrer, Evangelisten und freie Prediger für die Maasai-Christen sein können, hängt ab von und ist zu messen an den alten "Ämtern" der hierarchisch integrierten wahrsagenden Iloibonok und ihren ungebundenen charismatischen Gegenspielern in der Tradition. - Kap. 5 (301-364) als Zusammenführung und Krönung weist die zuvor auseinander gelegten Problemstellungen nach in der einen Gestalt des noch aktiven Maasai-Predigers und Propheten Isaya ole Ndokoti, der als orishi Versöhner, Seher, Prophet und Evangelist in einer Person ist. Aus eigenen Begegnungen sowie aus Aufzeichnungen und Interviews anderer entwickelt der Vf. ein eindrucksvolles Porträt von Ndokoti, insbesondere von der Wandlung von seiner ersten, noch ganz in der Tradition stehenden "Berufung" hin zu seiner zweiten christlichen Berufung im Jahr 1979: Die Opfer der alten Religion hören bei ihm auf, aber die Mittler- und Versöhnerfunktion bleibt ihm. Er arbeitet als Evangelist mit verschiedenen Kirchen in Kenya und Tanzania, hier besonders der lutherischen, zusammen, ohne seine Unabhängigkeit preiszugeben. Er bleibt Polygamist und Analphabet, beeindruckt aber alle durch seinen Weitblick, seine Heilergaben und seine praktisch rituellen Antworten auf die durch die Maasai-Tradition gestellten religiösen Aufgaben. Ndokoti "gestaltet Christsein": Hier bekommt der Titel der Untersuchung seine Füllung. Mancher Leser hätte gewünscht, dass der Vf. hier, wo er, u. a. auf Kiel aufbauend, zur Maasai-Forschung erkennbar Neues zu bringen hat, sich ausführlicher und in den mehr referierenden Kapiteln 3 und 4 kürzer gefasst hätte. Auch ein Vergleich Ndokotis mit den "hierarchischen" kirchlichen Führergestalten der Maasai, wie Pfr. Lazaro Laiser (ca. 1900-1958), um den herum J. W. Parsalaw einen großen Teil seiner geschichtlichen Darstellung der Kirche in Arusha aufbaut, wäre hier noch auszuführen. - Kap. 6 (365-384) verspricht als Zusammenfassung und Ausblick die Grundzüge einer "interreligiösen Missiologie", was leicht tautologisch anmutet. Hier spricht der Theologe, teilweise auch der Philosoph, der sein eingangs entwickeltes Text-Kontext-Modell nun lutherisch mit Gesetz und Evangelium in Verbindung setzt. Obwohl die integrative Kraft und in unbestimmter Weise auch das Heil schon in der traditionalen Religion der Maasai ist, genügt diese nicht, weil sie Zwang und Gesetz ist, die vom Evangelium überwunden werden: Die Religionen sind in der Erwartung des Endgültigen, das heißt, des kommenden Christus.

Bei aller intendierten Vollständigkeit des Porträts des Maasai-Christentums verwundert, wie wenig man über das nur beiläufig erwähnte Verhältnis der tanzanischen Maasai zur sie umgebenden Bantu-Mehrheitsgesellschaft und -Kultur erfährt, und dies auf zwei Ebenen: zunächst auf der lutherisch-kirchlichen. Die Maasai haben nur ausnahmsweise noch weiße Missionare zum Gegenüber und werden auch nicht in eine neutrale Weltkirche integriert, sondern in eine von Bantu-Suaheli Anschauungen und Vorverständnissen beherrschte. Nicht wie die verbliebenen weißen Missionare, sondern wie die Bantu-Pfarrer mit ihnen umgehen, ist für die Maasai-Gemeinden bestimmend; hierfür hätte der Kontextualisierungsansatz in Mtaitas Dissertation mehr Aufmerksamkeit durch den Vf. verdient. Die andere Ebene ist die der unterschiedlichen alten Religionen, die nicht allein durch den Unterschied zwischen Hirten und Ackerbauern bestimmt ist. Hier hätten durch genauere Kontrastierung beide Seiten an Profil gewonnen: Zum Tod und zu den Toten, die für die Bantu-Religion im Zentrum stehen, haben die Maasai fast gar kein Verhältnis, was umgekehrt ihrem Gott-Glauben, ihren Altersklassen und ihren Übergangsriten einen anderen, von den Bantu zuweilen als "unafrikanisch" empfundenen Sinn gibt.

Bei der Theoriebildung ist der eigene, neue Beitrag des Vf.s in der integralen Kraft traditionaler Religion unter dem Einfluss des Evangeliums zu suchen. Darin steckt, außer der Weiterarbeit an V. Küsters Modell der Kontextualisierung, Anknüpfung an und Auseinandersetzung mit T. Sundermeiers Modell primärer und sekundärer Religionserfahrung. Beiden gegenüber verstärkt F. weithin einleuchtend den Nachdruck auf das, was immer schon war und auch bleibt: Maasai-Kultur ist mehr als nur "Kontext", nämlich "Text 1", zu welchem das Evangelium zunächst nur als neuer Kontext hinzutritt, bevor es dann selber zum "Text 2" wird. Interessant und fraglich ist dabei, ob, wenn die "Integration" letztlich auch bei den Maasai-Christen von der traditionalen Religion geleistet wird, dem neuen Glauben bzw. dem "Einfluss" des Evangeliums selber dann solche Integrationskraft fehlt und das "Gestalten" von Christsein eigentlich nur eine Anpassung an das immer währende Alte ist. Vermutlich meint es der Vf. so nicht; doch gerade hier, wo die kritische Weiterarbeit am eher harmonischen Zweistufenmodell Sundermeiers wichtig wäre, vermisst man Schärfe und Klarheit.

Diese Undeutlichkeit hat mit der gewählten Diskurs-Form der Dissertation insgesamt zu tun und mit ihrem hohen, nicht überall gedeckten Anspruch. Sie will die gesamte Ethnologie und Anthropologie der Maasai aufnehmen, lässt sich auf ein tieferes Gespräch dann doch nur mit Theologen und allenfalls Philosophen ein. Erkenntnisse der Humanwissenschaften bestimmen die Metasprache, nicht aber die eigene Fragestellung; sie sind nicht wirklich verdaut. Die Hände sind, wie in Gen 27,22, Esaus Hände, aber die Stimme ist Jakobs Stimme. V. W. Turners Begriff der "Antistruktur", vom Vf. auf das hereinkommende christlich Neue angewandt, ist eindeutig missverstanden; vom verschiedentlich zitierten C. Geertz und seiner Idee der erfahrungsnah "dichten Beschreibung" ist die Sprache des Vf.s, eben weil er alles und immer, man weiß nicht für wen, erklärt, denkbar weit entfernt. Das Dilemma dahinter ist das, dem Rezensenten durchaus einfühlbare, von den genannten anderen Maasai-Dissertationen bescheidener gelöste, des missionarischen Feldarbeiters, der, was er weiß und erfahren hat, nachträglich und, wenigstens teilweise autodidaktisch, für die heimische deutsche Wissenschaft zubereitet: Redet er zu erfahrungsnah einfach, wird sein wissenschaftlicher Sinn bezweifelt; redet er dagegen anspruchsvoll und kompliziert, trifft ihn die Ungeduld und Irritation derer, die, ohne eines neuen Systems zu bedürfen, an der afrikanischen Sache interessiert sind und mitreden wollen.

Weniger Nachsicht verdienen die formalen äußeren Nachlässigkeiten. Es wurde zu wenig Korrektur gelesen; mit Autorennamen - auch von Maasai!- verfährt der Vf. willkürlich und unordentlich: Er schreibt hartnäckig Parselaw statt Parsalaw, Laizer statt Laiser, Magessa statt Magesa, Barret statt Barrett, Bourdiue statt Bourdieu, Van statt Venn - und dergleichen mehr, was in einer veröffentlichten deutschen Dissertation nicht sein sollte.